1. Als Indiz für eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von § 651h III BGB gilt eine Reisewarnung.
2. Das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung während Busfahrten stellt keine erhebliche Beeinträchtigung dar.
LG Frankfurt/M, Urt. v. 24.2.2022 – 2-24 S 107/2, NJW-RR 2022, 706
Sachverhalt
Die Kl. buchte bei der Bekl. für August 2020 eine Buspauschalreise nach Polen. Hierfür leistete sie eine Anzahlung von 266 EUR. Im Juni 2020 erklärte sie den Rücktritt vom Reisevertrag. Die Klage auf Rückzahlung der Anzahlung vor dem (Urt. v. 27.5.2021 – 387 C 396/20) hatte Erfolg. Die Berufung der Bekl. führte zur Klageabweisung.
Aus den Gründen
II. Die zulässige, insbesondere fristgemäß eingelegte und fristgemäß begründete Berufung der Bekl. ist in der Sache auch begründet.
II. Der Kl. steht kein Anspruch auf Rückzahlung ihrer Anzahlung iHv 266 EUR für die bei der Bekl. gebuchten Pauschalreise in der Zeit 17.8.2020 – 28.8.2020nach Polen zu.
§ 651h I BGB grundsätzlich zur Folge, dass die Bekl. den Anspruch auf den Reisepreis verliert.
Zwar hat die Kl. vor Reiseantritt den Rücktritt von dem Pauschalreisevertrag erklärt. Eine solche Rücktrittserklärung hat gem.§ 651h I 3 iVm Abs. 2 BGB eine Rücktrittsentschädigung in Höhe der geleisteten Anzahlung zu.
Allerdings steht der Bekl. gem.§ 651h II BGB kann sie diese auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen pauschalieren. Dass die in Nr. 9.3 der AGB der Bekl. vereinbarte Pauschale nicht den Anforderungen des § 651h II BGB entspricht, ist nicht ersichtlich. Einwendungen erhebt die Kl. insoweit nicht.
GemäßDa die Kl. den Rücktritt zwei Monate vor Reisebeginn erklärt hat, beträgt die Rücktrittsentschädigung (ebenso wie die Anzahlung) 20 % des Reisepreises.
§ 651h III BGB. Denn nach dieser Vorschrift schuldet der Reisende nur dann keine Rücktrittsentschädigung, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen dorthin erheblich beeinträchtigen.
Die Rücktrittsentschädigung entfällt nicht wegenDiese Voraussetzungen liegen auch nach dem Vortrag der Kl. in Bezug auf die gebuchte Reise nicht vor.
§ 651h III BGB aufgrund seines Wortlauts nur dann einschlägig ist, wenn die Reise tatsächlich aufgrund eines unvermeidbaren außergewöhnlichen Umstandes erheblich beeinträchtigt wurde, was nach dem unbestrittenen Vortrag der Bekl. nicht der Fall war, weil die Busreise nach Polen stattgefunden hat, ober ob die Frage einer erheblichen Beeinträchtigung durch außergewöhnliche unvermeidbare Umstände iSd § 651h III BGB aufgrund einer Prognoseentscheidung ex ante im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung zu bewerten ist (so Schmidt-Staudinger/Achilles-Pujol BGB Rechtsfragen zur Corona-Krise, 3. Aufl. 2021, § 7 Rn. 26; Binger RRa 21, 207 (210) jew. mwN). Denn auch auf der Grundlage der letztgenannten Auffassung wären die Voraussetzungen des § 651h III BGB nicht erfüllt.
Hierbei kann dahinstehen, obIm Zeitpunkt der Rücktrittserklärung im Schreiben vom 15.6.2020 bestand keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass die Busreise in der geplanten Zeit 17.8.2020 – 28.8.2020 an die Ostseeküste von Polen wegen der Corona-Pandemie nicht stattfinden oder erheblich beeinträchtigt werden wird.
Eine Reisewarnung für Reisen nach Polen, die als Indiz für eine erhebliche Beeinträchtigung berücksichtigt werden könnte, hat nicht bestanden. Die zuvor ausgesprochene Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für Reisen nach Polen wurde vielmehr am 13.6.2020 aufgehoben. Polen hatte seine Grenzen für die Einreise von Touristen wieder geöffnet.
Auch darüber hinaus bestanden keine hinreichenden Anzeichen, dass sich die Pandemie-Lage während der geplanten Reisezeit wieder verschlechtern wird. Zwar bestanden nach wie vor für das Staatsgebiet von Polen Infektionen mit dem Covid-19-Virus. Diese stiegen nach dem Vortrag der Kl. von 23786 Fälle am 1.6.2020 auf 29392 Fälle am 15.6.2020. Allerdings gibt die Kl. nicht an, in welchen Regionen von Polen sich diese Infektionen ereignet haben. Die Erfahrung des Infektionsgeschehens in Deutschland im Laufe des Sommers 2020 hat gezeigt, dass die Verteilung der Infektionszahlen innerhalb eines Staatsgebiets deutliche Unterschiede aufweisen können. So können sich in einer Region deutlich höhere Infektionszahlen ereignen, während in anderen Regionen die Fallzahlen stark zurückgegangen sind. Insofern lassen Gesamtzahlen von Infektionen in einem Staatsgebiet keinen sicheren Rückschluss auf die Frage zu, ob die Pauschalreise an einem bestimmten Ort von unvermeidbaren außergewöhnlichen Umständen beeinträchtigt werden wird. Demgegenüber bewirkte der Umstand, dass die Reisewarnung kurz vor der Rücktrittserklärung aufgehoben wurde und Einreisehindernisse nicht mehr bestanden haben, die begründete Aussicht, dass sich die Pandemielage in Polen wieder normalisieren wird und die Reise im geplanten Zeitraum ohne erhebliche Beeinträchtigungen durchgeführt werden kann.
§ 651h III BGB. Allein die latente Gefahr einer Infektion begründet ohne weitere Anhaltspunkte nicht die Annahme, dass die Durchführung der Reise unzumutbar ist. Insofern zeigte die bisherige Erfahrung im Umgang mit der Pandemie, dass jeder Reisende durch entsprechende Vorsichtsmaßnahmen wie das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen, das Abstandhalten und das Einhalten von Hygienemaßnahmen erfolgreich der Gefahr einer Ansteckung vorbeugen kann. Das Einhalten solcher bereits im Alltag eingeübter Regeln ist auch auf einer Urlaubsreise nicht unzumutbar. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Bekl. solche Regeln im Rahmen eines Hygienekonzepts angeordnet hat, wozu die Bekl. in der ersten Instanz nichts vortragen konnte. Denn das Einhalten solcher Regeln oblag der Kl. schon im eigenen Interesse selbst.
Der Umstand, dass sich die Kl. zu einer Risikogruppen zugehörig einschätzt, führt nicht per se zu einem Rücktrittsrecht unter Anwendung des§ 651h III BGB nicht (Schmidt-Staudinger/Achilles-Pujol, BGB Rechtsfragen zur Corona-Krise, 3. Aufl. 2021, § 7 Rn. 27).
Subjektive Unwohl- und Angstgefühle vor einer Krankheit rechtfertigen allein einen außergewöhnlichen Umstand iSd§ 651h III BGB. Busfahrten waren auf der geplanten Reise nur für die Hin- und Rückfahrt sowie auf zwei Ausflügen innerhalb des insgesamt 12-tägigen Reiseverlaufs vorgesehen. Im Übrigen stand der Aufenthaltsort zur freien Verfügung und hätte individuell genutzt werden können, auch ohne größere Menschenansammlungen.
Auch der Umstand, dass auf den Busfahrten eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen werden sollte, führt nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung iSdDie Notwendigkeit des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung während der Hin- und Rückfahrt sieht das Gericht nicht als erhebliche Beeinträchtigung an, weil während der Fahrt Pausen eingelegt werden, in denen der Bus verlassen werden und während derer die Mund-Nasen-Bedeckung abgelegt werden kann. Die Fahrt vom Wohnort der Kl. zum Urlaubsort an der Ostseeküste von Polen hat auch keine derartige Länge, dass von einer Unzumutbarkeit auszugehen ist. Auch die geplanten Ausflugsfahrten bedingten keinen ständigen Aufenthalt im Bus, sondern dienten ausweislich der Beschreibung insbesondere der Besichtigung von Sehenswürdigkeiten außerhalb des Busses.
Der Vortrag der Kl., dass die weitere Entwicklung der Pandemielage nicht absehbar gewesen sei, bewirkt ebenfalls nicht die Notwendigkeit eines Rücktritts mehr als zwei Monate vor Reisebeginn. Die Tatsache, dass am 13.6.2020 die Reisewarnung aufgehoben wurde und die Einreise nach Polen wieder möglich war, hätte die Kl. veranlassen müssen, die weitere Entwicklung der Pandemie in Polen abzuwarten, um in zeitlicher Nähe zum Reisezeitpunkt die Entscheidung zu treffen, ob die Teilnahme an der Reise wegen unvermeidlicher außergewöhnlicher Umstände abzusagen ist. Der Zeitraum von zwei Monaten hätte der Kl. weitere Erkenntnisse über den Verlauf der Pandemie vermitteln können, um dann auf sicherer Grundlage eine Prognoseentscheidung treffen zu können. Letztlich hat der weitere Verlauf der Pandemie in Polen gezeigt, dass die Reise durchgeführt werden konnte.