Die Buchungsbestätigung des Reisebüros für mehrer Teilflüge einer Flugreise ist als eine einheitliche Buchung anzusehen.
Auch wenn das Reisebüro mehrere Teilflüge verschiedener Airlines zusammenfasste, liegen direkte Anschlussflüge und somit eine Gesamtstrecke vor. Unerheblich ist, dass weder Swiss noch American in einer rechtlichen Beziehung zueinander standen.
Ausschlaggebend ist die Buchungsbestätigung des Reisebüros, dass sämtliche Flüge zu einem Gesamtpreis und einer einheitlichen Buchungsnummer auswies. Die Fluggastrechteverordnung sieht nicht vor, dass zwischen den Fluggesellschaften eine rechtliche Beziehung bestehen muss. Nur so kann ein hohes Schutzniveau für die Flugreisende erreicht werden.
EuGH, Urteil vom 6. Oktober 2022, C-463/21
EuGH, Pressemitteilung vom 06.10.2022 zum Urteil C-436/21 vom 06.10.2022
Der Ausgleichsanspruch für Fluggäste wegen großer gilt auch bei einem Flug mit direkten Anschlussflügen, bei dem die Flüge von unterschiedlichen ausführenden Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden.
Wurden die Flüge von einem Reisebüro kombiniert, das einen Gesamtpreis in gestellt und einen einheitlichen Flugschein ausgegeben hat, ist unerheblich, dass zwischen den Luftfahrtunternehmen keine rechtliche Beziehung besteht.
Ein Fluggast erwarb über ein Reisebüro einen elektronischen Flugschein für den 25. Juli 2018 über drei Flüge für die Strecke Stuttgart – Kansas City. Der erste Flug, von Stuttgart nach Zürich, wurde von Swiss International Air Lines durchgeführt, während die beiden Flüge von Zürich nach Philadelphia und von Philadelphia nach Kansas City von American Airlines durchgeführt wurden. Auf den Bordkarten für diese Flüge war die Nummer des elektronischen Flugscheins verzeichnet. Außerdem war auf dem Flugschein American Airlines als Dienstleistungserbringerin angegeben, und der Flugschein war mit einer einheitlichen Buchungsnummer für die gesamte Strecke versehen. Darüber hinaus stellte das Reisebüro eine Rechnung aus, die einen Gesamtpreis für die gesamte Strecke sowie für den Rückflug auswies. Die Flüge von Stuttgart nach Zürich und von Zürich nach Philadelphia fanden planmäßig statt. Der Flug von Philadelphia nach Kansas City dagegen war bei der Ankunft um mehr als vier Stunden verspätet.
Vor den deutschen Gerichten klagte flightright, eine Gesellschaft für Rechtshilfe für Fluggäste, an die die durch diese Verspätung entstandenen Ansprüche abgetreten worden waren, gegen American Airlines auf eine Ausgleichszahlung von 600 Euro nach der Verordnung Nr. 261/2004 über Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen. Der mit der Sache befasste deutsche Bundesgerichtshof hat dem Gerichtshof Fragen zur Auslegung dieser Verordnung vorgelegt.
Mit seinem Urteil vom 06.10.2022 entscheidet der Gerichtshof, dass der Begriff „direkte Anschlussflüge“ einen Beförderungsvorgang mit Ausgangspunkt in einem Mitgliedstaat erfasst, der aus mehreren Flügen besteht, die von unterschiedlichen, nicht durch eine rechtliche Beziehung miteinander verbundenen ausführenden Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden, wenn diese Flüge von einem Reisebüro zusammengefasst wurden, das für diesen Vorgang einen Gesamtpreis in Rechnung gestellt und einen einheitlichen Flugschein ausgegeben hat.
Der Gerichtshof weist darauf hin, dass der Begriff „direkte Anschlussflüge“ so zu verstehen ist, dass er zwei oder mehr Flüge bezeichnet, die für die Zwecke des in der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Ausgleichsanspruchs von Fluggästen eine Gesamtheit darstellen. Eine solche Gesamtheit liegt vor, wenn die Flüge Gegenstand einer einzigen Buchung waren. Im vorliegenden Fall verfügte der Fluggast über einen Flugschein, der einen Beleg dafür darstellte, dass die Buchung der gesamten Reise von Stuttgart nach Kansas City von einem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert worden war. Bei einem solchem Beförderungsvorgang ist davon auszugehen, dass er auf einer einzigen Buchung beruht, so dass es sich um „direkte Anschlussflüge“ handelt.
Die Flüge, um die es vorliegend geht, wurden von unterschiedlichen ausführenden Luftfahrtunternehmen, nämlich Swiss International Air Lines und American Airlines, durchgeführt, zwischen denen keine rechtliche Beziehung bestand. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Verordnung über Ausgleichsleistungen für Fluggäste keine Bestimmung enthält, wonach die Einstufung als Flug mit direkten Anschlussflügen davon abhängt, dass eine besondere rechtliche Beziehung zwischen den ausführenden Luftfahrtunternehmen besteht, die die einzelnen Flüge, aus denen sich der Flug zusammensetzt, durchführen. Eine solche zusätzliche Bedingung würde dem Ziel der Sicherstellung eines hohen Schutzniveaus für Fluggäste zuwiderlaufen, da dadurch namentlich deren Ausgleichsanspruch bei großer Verspätung ihres Fluges beschränkt werden könnte.
Quelle: EuGH, Pressemitteilung vom 06.10.2022 zum Urteil C-436/21 vom 06.10.2022
Die Entscheidung C-436/21 – flightright geht mE von falschen Prämissen aus: Reisebüros stellen (insb. als IATA-Agenturen) Flugscheine („Tickets“) im Namen von Luftfahrtunternehmen aus. Damit ein im Namen eines bestimmten Luftfahrtunternehmens (hier: American Airlines) ausgestelltes einheitliches Ticket unter einem einheitlichen (Airline-)Buchungscode überhaupt Flüge eines anderen Luftfahrtunternehmens (hier: Swiss) enthalten kann, bedarf es einer Vertragsbeziehung zwischen den beiden Luftfahrtunternehmen, idR in Form eines sog. „Interline Agreements“. Auf der Website von Swiss ist ersichtlich, dass Swiss und American Airlines auch tatsächlich Interline-Partner sind (https://www.swiss.com/at/de/prepare/baggage/baggage-provisions-partners).
Die Auslegung des Begriffs „direkte Anschlussflüge“ unter Bezugnahme auf einen von einem Reisebüro ausgegebenen einheitlichen Flugschein über Flüge unterschiedlicher „nicht durch eine besondere rechtliche Beziehung miteinander verbundener“ ausführender Luftfahrtunternehmen ist daher widersinnig.
Der EuGH scheint die Abläufe und Rechtsbeziehungen in der Reisebranche ebenso wenig zu kennen wie schon der vorlegende BGH. Das Ergebnis sind dann Auslegungen, über die man sich als Branchenkenner nur noch wundern kann …
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