ÖOGH, Beschl. v. 25.1.2022 – 8Ob130/21g
I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Art 12 Abs 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 25. 11. 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen dahingehend auszulegen,
– [a] dass für die Beurteilung der Berechtigung des Rücktritts nur jene unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände maßgeblich sind, die im Zeitpunkt des Rücktritts bereits aufgetreten sind,
– [b] oder dahingehend, dass auch außergewöhnliche Umstände zu berücksichtigen sind, die nach dem Rücktritt, aber noch vor dem geplant gewesenen Beginn der Reise (= spätest möglicher Rücktrittszeitpunkt) sodann tatsächlich auftreten?
Falls [a] bejaht wird:
– [aa]: Ist Art 12 Abs 2 der Richtlinie dahingehend auszulegen, dass sich der Reisende in der gerichtlichen Auseinandersetzung über die Berechtigung seines Rücktritts auch auf solche unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände berufen kann, die im Zeitpunkt seines Rücktritts bereits aufgetreten, ihm aber erst später bekannt geworden sind?
2. Ist Art 12 Abs 2 der Richtlinie dahingehend auszulegen, dass ein kostenfreies Rücktrittsrecht dann nicht zusteht, wenn die Umstände, auf die sich der Reisende stützt, bei der Buchung bereits vorgelegen haben und dem Reisenden bekannt waren?
II.2. Das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.
Sachverhalt:
Am 15.02.2020 buchten die Kläger, die ursprünglich eine Kreuzfahrt von Singapur nach Indonesien und Australien gebucht hatten, die aber wegen Covid vom Veranstalter abgesagt worden war, eine Pauschalreise in den Oman mit planmäßiger Abfahrt am 06.03.2020. Sie entschieden sich für das neue Ziel, weil ihre Recherchen ergaben, dass Oman nicht von Covid betroffen war. Am 24.02.2020 wurden im Oman zwei Fälle von Covid-Infektionen bestätigt, von denen die Kläger am 25.02. erfuhren und ihr Paket noch am selben Tag kündigten, um das Infektionsrisiko zu vermeiden. Anfang März stieg die Zahl der Infektionen im Oman auf 2300.
Die erst- und zweitinstanzlichen Gerichte stellten fest, dass zum Zeitpunkt der Vertragsbeendigung keine unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstände vorgelegen hätten und dass danach eingetretene Entwicklungen unerheblich seien.
Der Oberste Gerichtshof hatte Zweifel an der korrekten Auslegung der Richtlinie und legte die Fragen dem EuGH vor.
Aus den Gründen:
[17] Zur Frage [2] wird angemerkt, dass der Wortlaut der Richtlinie nur darauf abstellt, ob die Umstände „unvermeidbar“ und „außergewöhnlich“ sind. Dass der Reisende sein Rücktrittsrecht verliert, wenn er etwas vorausgesehen hat oder voraussehen hätte können, besagt zumindest der Wortlaut der Richtlinie nicht.
[18] In der Buchung einer Reise in Kenntnis gewisser Umstände könnte aber eine Inkaufnahme dieser vom Reisenden offenbar nicht als „unvermeidbar, außergewöhnlich“ angesehenen Umstände liegen. Dies könnte nach dem allgemeinen Grundsatz „pacta sunt servanda“ dazu führen, dem Reisenden einen Rücktritt wegen dieser Umstände zu verweigern.
[19] Die Präjudizalität der Frage [2] ergibt sich daraus, dass im Falle, dass bereits das Wissen der Kläger über die Existenz von Covid-19 im Zeitpunkt der Buchung ihrem Rücktrittsrecht entgegenstehen sollte, ihre Klage abzuweisen wäre. Denkbar wäre aber auch, mit den Klägern darauf abzustellen, dass sie Covid-19 nicht in Kauf genommen haben, entschlossen sie sich doch für eine Reise in ein Land, von dem sie (wenngleich irrig) annahmen, dieses werde von der – damals neuen – Infektionskrankheit nicht betroffen sein. Bei einer solchen Betrachtung wäre nicht Covid-19 an sich der „Umstand“ iSv Art 12 Abs 2 der Richtlinie, als „Umstand“ iSv Art 12 Abs 2 wäre vielmehr die mögliche Betroffenheit des Reisezieles von dieser Infektionskrankheit anzusehen.