Bei Vertragsschluss bekannte Corona-Pandemie
Viele Urlauber meinen derzeit, sie könnten ihre in diesem Jahr gebuchten Pauschalreisen wegen der Corona-Pandemie ganz einfach kostenfrei stornieren. Prof. Führich, der als einer der führenden Experten des Reiserechts gilt, warnt: „Kostenfrei ist vorbei!“ Führich: „Die meisten bisher ergangenen Gerichtsurteile betrafen Buchungen vor dem Ausrufen der Corona-Pandemie Anfang des Jahres 2020. Wer heute sehenden Auges und in Kenntnis der dynamischen Wellen der Ausbruchsgeschehen der Pandemie Reisen bucht, kann er sich bei einer Stornierung nicht auf die Entlastung eines unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstandes berufen, wenn später die Behörden das Reisen einschränken. Da die weltweite Infektionsgefahr durch die Corona-Pandemie bereits bei Vertragsschluss einem verständigen Reisenden bekannt ist, greift der Schutz des EU-Pauschalreiserechts nicht“.
Reisender ist nicht mehr schutzbedürftig
Der Reiserechtler weist auf oft übersehene Tatsachen hin:
- Ein kostenloser Rücktritt ohne Stornoentschädigung bei Pauschalreisen besteht nach § 651h III BGB nur unter zwei Voraussetzungen: „(1) Unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe, welche (2) die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen“. Wenn damit die erste Voraussetzung des außergewöhnlichen Umstandes nicht erfüllt ist, kommt es juristisch nicht mehr auf die zweite Voraussetzung einer erheblichen Beeinträchtigung an.
- Der unvermeidbare, außergewöhnliche Umstand ist die seit dem 11.3.2020 durch die WTO ausgerufene weltweite Corona-Pandemie. Dass die Corona-Pandemie als Risiko für die menschliche Gesundheit ein unvermeidbarer außergewöhnlicher Umstand darstellt, haben die Gerichte einzelfallbezogen in den Jahren 2020 und 2021 für Reisen, die „vor dem Ausbruch gebucht“ wurden, weitgehend bejaht.
- Die durch die Pandemie in der Folge verursachten Einschränkungen und behördlichen Maßnahmen wie Einreiseverbote und Reisewarnungen zählen nicht zu den unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umständen, sondern sind eine Folge der Pandemie und können nur bei der der Frage, ob eine erhebliche Beeinträchtigung vorliegt, berücksichtigen werden.
- Das EU-Recht geht davon aus, dass die Corona-Pandemie im „Zeitfenster nach Vertragsschluss und vor dem Reisebeginn auftritt“. Wenn die Pandemie also bereits bei der Buchung der Reise aufgetreten ist, kann dieser außergewöhnliche Umstand für ein kostenloses Storno nicht berücksichtigt werden. Dann kommt es aber auf die zweite Voraussetzung einer erhebliche Beeinträchtigung nicht mehr an.
Entscheidend ist damit die Vorhersehbarkeit der Pandemie bereits bei der Buchung. Ist die Pandemie bereits „bei der Auswahl der Reise bekannt“, ist die vereinbarte Entschädigung als Normalfall zu zahlen. Der Urlauber kann bei der Buchung nicht die Augen vor dieser seit zwei Jahren andauernden weltweiten Gefahr für Leib und Leben verschließen und hoffen, die Pandemie werde bald vorbei sein. Führich, der Autor des Standardwerkes „Reiserecht“ ist, betont: „Ein Reisender handelt rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 242 BGB und ist nicht schutzbedürftig, wenn er sich auf einen entschädigungslosen Rücktritt vor Reisebeginn iSd § 651h III BGB beruft, obwohl er bei Vertragsschluss wissen konnte, dass die Behörden, die immer noch bestehende europa- und weltweite Infektionsgefahr durch die Pandemie weiter versuchen einzudämmen.
Von dem Vorliegen des außergewöhnlichen Umstandes der Pandemie zu unterscheiden sind die Beeinträchtigungen z. B. des Luftverkehrs durch die Pandemie aufgrund der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionsgefahr. Diese politischen Maßnahmen sind eine Folge der Pandemie! Die dadurch verursachten Beeinträchtigungen einer Reise durch behördliche Maßnahmen wie Flugverbote sind keine unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände, sondern zählen als Folge der Pandemie zur den mehr oder weniger starken Beeinträchtigen einer Reise iSd. § 651h III BGB. So ist auch die kürzlich durch das Auswärtige Amt erfolgte Hochstufung Südafrikas als Virusvariantengebiet auf Grund der Variante Omicron ein politischer Ermessensakt zur Eindämmung der Infektionsgefahr, aber für sich genommen noch kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Gesetzes.
Objektive Kenntnis der Pandemie und nicht der einzelnen Corona-Maßnahmen entscheidend
Da die Corona-Pandemie mit ihren Ausbruchswellen zwischenzeitlich seit fast zwei Jahren das beherrschende Thema aller Medien ist, kann der sich Reisende nicht mehr darauf berufen, gerade er habe von dem wellenförmigen Ausbruchsgeschehen des Corona-Virus nichts gewusst. Entscheidend ist, dass der verständige Reisende, der bei der Buchung vorhersehen kann, dass die Infektionsgefahr durch die Corona-Pandemie immer noch besteht, nicht schutzwürdig ist, wenn er später aus Angst vor behördlichen Beeinträchtigungen aus dem Vertrag aussteigen will. Maßgeblich ist nicht die Frage, ob Behörden Urlaubsgebiete als „Hochrisikogebiete oder Virusvariantengebiete“ ausweisen, da dies nur wechselnde Folgen der bereits bei der Buchung bekannten Pandemie sind.
Davon sind die aus Kulanz durch Reiseveranstalter vorgenommenen Reiseabsage zu unterscheiden. Wenn heute Reiseveranstalter bei Reisen in Virusvariantengebiete wie Südafrika freiwillig aus Kulanz ihre Reisen absagen, bringen sie ihre vertraglichen Leistungen wegen des außergewöhnlichen Umstands der Corona-Pandemie nicht. Das Gesetz geht in diesem Fall davon aus, dass ein von einem Kunden gezahlter Preis binnen 14 Tagen zurückzuzahlen ist.
Corona-Beschränkungen sind heute Lebensrisiko
Letztlich ist festzustellen, dass die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie auch dem Schutze des Reisenden dienen. Staatliche Reisebeschränkungen zählen damit nicht nur zur Verantwortungssphäre des Veranstalters, sondern auch zum Privatrisiko des Reisenden. Mit zunehmender Dauer der Pandemie erscheint es angemessen, die behördlichen Reisehindernisse zum privaten Lebensrisiko des Reisenden zu zählen. Insoweit ist keine Unterscheidung gerechtfertigt zu den bisher anerkannten privaten Risiken wie seiner fehlenden behördlich notwendige Impfung für eine Reisedestination, seinem persönlichen Impfrisiko oder seiner Erkrankung.
Verbraucherschutz im Gleichgewicht zum Unternehmerschutz
Der Verbraucherschutz muss im Gleichgewicht zum Unternehmerschutz stehen. Das EU-Recht will nicht nur den Verbraucher schützen, sondern auch den Veranstalter als Unternehmer. So stellt der Reiserechtler Führich, der Sachverständiger im Gesetzgebungsverfahren war, klar: „Unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vertragspartner, erleidet der Reiseveranstalter ohne eine Stornoentschädigung so erhebliche finanzielle Nachteile, dass der Wesensgehalt der Grundrechte der Unternehmerfreiheit und des Eigentums der EU-Grundrechte-Charta verletzt wird. Damit ist das Gleichgewicht zwischen den Grundrechten des Unternehmerschutzes und des Verbraucherschutz gestört.
Führich macht damit keine Hoffnungen, dass Urlauber bei Reisen, die während der Pandemie gebucht werden, kostenfrei aus ihren Verträgen herauskommen. Er ist sich sicher, dass auch die Gerichte, die über Stornierungen der vierten Wellen dies genauso sehen. Führich rät daher bei der Buchung von Reisen, etwas teuere Flex-Tarife zu währen, die ein möglichst lange kostenfreie Stornierung ermöglichen.
Kempten, den 10.12.2021
Klare und unmissverständliche Aussage zu Stornierungen unter aktuellen Bedingungen. Im Umkehrschluss kann man Verbrauchern nur nahelegen, zur Kostenminimierung und dem finanziellen Restrisiko aktuell auf mittel- und langfristige Reisebuchungen zu verzichten und bei klarerer Gesundheitslage adhoc zu verreisen.
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