1.Der Inkassobegriff der §§ 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2 Abs. 2 S. 1 RDG umfasst Geschäftsmodelle, die ausschließlich oder vorrangig auf eine gerichtliche Einziehung der Forderung abzielen. Dies gilt auch im Fall des sog. „Sammelklage-Inkasso“.

2.Eine weiche Patronatserklärung kommt als Mittel zur Vermeidung der rechnerischen Überschuldung nicht in Betracht. Wenn sich in der Ertrags- und Finanzplanung bereits Liquiditätslücken abzeichnen, lässt sich eine positive Fortführungsprognose bei einer bereits in der Krise befindlichen Gesellschaft damit nur ausnahmsweise begründen.

BGH, Urt. v. 13.7.2021II ZR 84/20, NJW 2021, 3046

Sachverhalt

Der Bekl. war ab Februar 2017 Executive Director der A. PLC, einer Gesellschaft nach englischem Recht, die Komplementärin der A. PLC & Co. KG (im Folgenden: Schuldnerin) war. Über das Vermögen der Schuldnerin wurde am 1.11.2017 auf Antrag des Bekl. v. 15.8.2017 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Kl., eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die über eine Registrierung gem. § 10 RDG für den Bereich der Inkassodienstleistungen verfügt, macht aus abgetretenem Recht Schadensersatzansprüche mit der Behauptung geltend, der Bekl. habe den Insolvenzantrag für die Schuldnerin nicht rechtzeitig gestellt. Den Forderungen i.H.v. 24.217,– EUR liegen Flugbuchungen von sieben Kunden zu Grunde, die im Zeitraum vom 5.5.2017 bis zum 6.7.2017 bei der Schuldnerin Flüge gebucht und bezahlt hatten. Die Flüge wurden infolge der Insolvenz der Schuldnerin nicht mehr durchgeführt.

Die im Verhältnis zu den Kunden einbezogenen AGB der Kl. sahen u.a. vor, dass die Kl. im Erfolgsfall 35% der Nettoerlöse aus dem Forderungseinzug erhalten sollte, andernfalls den Kunden keine Kosten (z.B. aus der Einschaltung von Anwälten, Gerichten, Sachverständigen etc.) entstehen sollten.

Auf der von der Kl. betriebenen Webseite hieß es unter der Rubrik „Häufige Fragen“ u.a.: „Habe ich einen Anspruch gegen A. auf Rückzahlung des gezahlten Flugpreises? Den Anspruch haben sie. Leider ist er nichts wert, denn bei A. ist aller Voraussicht nach nichts zu holen … . Warum kann ich das nicht selber tun? Das können Sie selbstverständlich. Doch das Verhältnis zwischen Aufwand/Risiko und Ertrag ist sehr ungünstig. Ein Beispiel: Beauftragen Sie einen Anwalt, 1.000,– EUR einzuklagen, riskieren Sie bei zwei Instanzen über 1.500,– EUR, also mehr als 150% der eingeklagten Forderung. Würde AI. [Kl.] gesammelte Ansprüche von 10 Mio. EUR einklagen, läge das Prozessrisiko selbst bei drei Instanzen nur noch bei rund 12% der eingeklagten Summe. Außerdem kann AI. das Risiko durch Musterverfahren weiter reduzieren. …“

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Kl. hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Kl. ihr Klagebegehren weiter.

Aus den Gründen

6Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

7I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

8Die Kl. sei nicht aktivlegitimiert, da die Abtretungen der Kundenforderungen nach § 134 BGB i.V.m. § 3 RDG nichtig seien. …

9I.Ü. bestünden in der Sache durchgreifende Bedenken gegen die geltend gemachten Ansprüche. Selbst wenn man zu Gunsten der Kl. unterstelle, dass die Schuldnerin ab dem 1.2.2017 überschuldet gewesen sei, habe der Bekl. subjektiv im fraglichen Zeitraum von einer positiven Fortführungsprognose ausgehen dürfen. …

11II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

121. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind die Abtretungen der durch die Kl. geltend gemachten Kundenforderungen nicht gem. § 134 BGB i.V.m. § 3 RDG nichtig. Eine Inkassodienstleistung nach §§ 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2 Abs. 2 S. 1 RDG liegt auch dann vor, wenn die abgetretenen Forderungen ausschließlich oder vorrangig in Form eines sog. „Sammelklage-Inkasso“ gerichtlich eingezogen werden sollen.

13a) In Rspr. und Lit. herrscht Uneinigkeit darüber, ob das sog. „Sammelklage-Inkasso“, bei dem sich das Inkassodienstleistungsunternehmen eine Reihe von Forderungen, die sich gegen denselben Schuldner richten und die im Wesentlichen gleichgelagerten Lebenssachverhalten entspringen, abtreten lässt, um sie gebündelt geltend zu machen, dann keine Inkassodienstleistung i.S.d. § 2 Abs. 2 RDG mehr darstellt, wenn von vornherein damit zu rechnen ist, dass der Schuldner zu einer außergerichtlichen Regulierung nicht bereit sein wird und das Geschäftsmodell demnach, jedenfalls vorrangig, auf eine gerichtliche Geltendmachung der abgetreten Forderung gerichtet ist.

14Nach einer Auffassung überschreitet ein nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG registriertes Unternehmen seine Inkassodienstleistungserlaubnis, wenn sich die ggü. dem Kunden übernommenen Pflichten ausschließlich bzw. bei realistischer Betrachtung vorrangig auf eine gerichtliche Durchsetzung der Ansprüche richten (vgl. LG München I AnwBl Online 2020, 284 (295 ff.); LG Hannover U. v. 4.5.2020 – 18 O 50/16, Rn. 151; U. v. 1.2.2021 – 18 O 34/17, Rn. 274 ff.; LG Augsburg U. v. 27.10.2020 – 11 O 3715/18, Rn. 23 ff.; LG Ravensburg U. v. 22.12.2020 – 1 O 112/20, Rn. 42; LG Ansbach U. v. 29.3.2021 – 3 O 16/21, Rn. 40; LG Trier U. v. 14.4.2021 – 5 O 549/20, Rn. 42; LG Rottweil U. v. 10.5.2021 – 2 O 525/20, Rn. 69 ff.; Greger, MDR 2018, 897 (899); Henssler, NJW 2019, 545 (546 ff.); ders., AnwBl Online 2021, 180 (182 ff.); Mann/Schnuch, NJW 2019, 3477 (3480); Prütting, ZIP 2020, 49 (52); Dötsch, in: Deckenbrock/Henssler, RDG, 5. Aufl., Anh. § 1 Rn. 6a).

15Nach der Gegenauffassung steht das RDG der Zulässigkeit von sog. Sammelklagen bzw. einem „Masseninkasso“ nicht entgegen. Es sei anerkannt, dass Inkassounternehmen Forderungen auch gerichtlich geltend machen dürften, sofern sie sich eines Rechtsanwalts bedienten (LG Braunschweig WM 2020,

BGH: Sammelklage-Inkasso nach Insolvenz einer Fluggesellschaft zulässig(MMR 2021, 718)

1743, Rn. 73 ff.; Fries, AcP 221 (2021), 108 (118); Krüger/Seegers, BB 2021, 1031 (1035); Petrasincu/Unseld, NZKart 2021, 280 (283); Römermann, AnwBl Online 2020, 273 (274 f.); Stadler, JZ 2020, 321 (328); Tolksdorf, ZIP 2019, 1401 (1405); Deckenbrock, in: Deckenbrock/Henssler, a.a.O., § 1 Rn. 24c; Rillig, in: Deckenbrock/Henssler, a.a.O., § 10 Rn. 46j). Ob sie dies im Einzelfall oder im Wege einer sog. „Sammelklage“ täten, sei kein entscheidender Gesichtspunkt (Krüger/Seegers, BB 2021, 1031 (1033); Stadler, JZ 2020, 321 (328 f.)).

16b) Die zuletzt genannte Ansicht trifft zu. Der Inkassobegriff der §§ 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2 Abs. 2 S. 1 RDG umfasst Geschäftsmodelle, die ausschließlich oder vorrangig auf eine gerichtliche Einziehung der Forderung abzielen. Dies gilt auch im Fall des sog. „Sammelklage-Inkasso“.

17aa) Weder dem Wortlaut noch der Systematik der §§ 1 Abs. 1 S. 1, 3 RDG lässt sich ein Ausschluss solcher Geschäftsmodelle entnehmen.

18Die Legaldefinition der Inkassodienstleistung in § 2 Abs. 2 S. 1 RDG spricht weder von außergerichtlicher noch von gerichtlicher Forderungseinziehung. Das Gesetz verwendet den Ausdruck der außergerichtlichen Rechtsdienstleistung vielmehr in §§ 1 Abs. 1 S. 1, 3 RDG. Dort dient er allerdings nicht dazu, den Begriff der Rechts- bzw. Inkassodienstleistung einzuschränken. Vielmehr grenzt § 1 Abs. 1 S. 1 RDG formal den Anwendungsbereich des Rechtsdienstleistungsgesetzes von dem der einzelnen Verfahrensordnungen ab, die ihrerseits jeweils Vorschriften zur Postulationsfähigkeit enthalten. Für den Zivilprozess finden sich diese in §§ 78 f. ZPO. Aus dieser formalen Abgrenzung der Anwendungsbereiche lassen sich für den materiellen Inhalt des Inkassobegriffs unmittelbar keine zwingenden Rückschlüsse ziehen (vgl. Krüger/Seegers, BB 2021, 1031 (1035); Morell, ZWeR 2020, 328 (331 ff.); Petrasincu/Unseld, NZKart 2021, 280 (283); Römermann, AnwBl Online 2020, 273 (275); Stadler, JZ 2020, 321 (328 f.)).

19Der Begriff der „außergerichtlichen Rechtsdienstleistung“ in §§ 1 Abs. 1 S. 1, 3 RDG ist adressatenbezogen in dem Sinn zu verstehen, dass lediglich an das Gericht adressierte Handlungen nicht darunterfallen (BGH U. v. 26.6.2013 – IV ZR 39/10, Rn. 42). Alle übrigen Rechtsdienstleistungen sind auch dann als außergerichtlich einzuordnen, wenn sie inhaltlich allein auf eine gerichtliche Durchsetzung eines Anspruchs ausgerichtet sind und nur in diesem Zusammenhang sinnvoll erscheinen, wie etwa der Entwurf einer Klageschrift (RegE eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts (im Folgenden: RegE RDG), BT-Drs. 16/3655, 45; Deckenbrock, a.a.O., Rn. 18). Es wird auch nicht in Frage gestellt, dass registrierte Inkassodienstleister abgetretene Forderungen im eigenen Namen auf fremde Rechnung und damit als Partei im gerichtlichen Verfahren geltend machen dürfen, sofern sie dabei anwaltlich vertreten sind (BGH U. v. 27.11.2019 – VIII ZR 285/18 [= MMR 2020, 499 (Ls.)], Rn. 227 mwN; U. v. 27.5.2020 – VIII ZR 45/19, Rn. 54). Davon geht die Regelung über die gerichtliche Vertretung der registrierten Inkassodienstleister im Parteiprozess in § 79 Abs. 1 S. 2 2. Alt. i.V.m. Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO ohne Weiteres aus (Morell, ZWeR 2020, 328 (333); Tolksdorf, ZIP 2019, 1401 (1405)). Für den Anwaltsprozess gem. § 78 ZPO gilt nichts anderes (Rillig, a.a.O., Rn. 46k). Wenn dem registrierten Inkassodienstleister die gerichtliche Geltendmachung einer Forderung erlaubt ist, sofern er einen Rechtsanwalt beauftragt, darf er sich im Inkassodienstleistungsvertrag hierzu auch verpflichten (Morell, ZWeR 2020, 328 (334); Deckenbrock, a.a.O., Rn. 24a ff.; Rillig, a.a.O., Rn. 46j; a.A. Henssler, NJW 2019, 545 (546 f.); ders., AnwBl Online 2020, 168 (169 f.)).

20bb) Der Inkassobegriff der §§ 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2 Abs. 2 S. 1 RDG umfasst Geschäftsmodelle, die ausschließlich oder vorrangig auf eine gerichtliche Einziehung der Forderung abzielen. Dies gilt auch im Fall des sog. „Sammelklage-Inkasso“.

21(1) Die Gegenauffassung verweist darauf, es müsse die Kernfunktion der Inkassodienstleistung, Unternehmen eine einfache und kostengünstige Möglichkeit zu verschaffen, ausstehende Forderungen durch hierauf spezialisierte Dienstleister einzutreiben, ins Zentrum der Betrachtung gerückt werden. Gehe es hingegen um Forderungen, gegen welche der Schuldner substanzielle Einwendungen erhebe, sodass sicher oder jedenfalls mit ganz hoher Wahrscheinlichkeit mit einer gerichtlichen Auseinandersetzung zu rechnen sei, biete sich die Beauftragung eines Inkassodienstleisters nicht an (vgl. Greger, MDR 897, 899; Hartmann, NZM 2019, 353 (357 f.); Henssler, NJW 2019, 545 (546); Knauff, GewArch 2019, 414 (415 f.); Nuys/Gleitsmann, BB 2020, 2441 (2445)).

22(2) Orientiert man sich an den von der Rspr. des BGH und des BVerfG aufgezeigten Wertungsgesichtspunkten (vgl. BGH U. v. 27.11.2019, a.a.O., Rn. 110; BVerfGE 97, 12 (28 ff.); BVerfG NJW 2002, 1190 (1191 f.); NJW-RR 2004, 1570 ff.), ist die von der Gegenauffassung vorgenommene Einschränkung des Inkassobegriffs nicht zu rechtfertigen. Der in § 1 Abs. 1 S. 2 RDG genannte Schutzzweck des RDG gebietet es, insb. unter Berücksichtigung der Berufsausübungsfreiheit des Inkassodienstleisters (Art. 12 Abs. 1 GG), den Begriff der Inkassodienstleistung so auszulegen, dass Geschäftsmodelle, die ausschließlich oder vorrangig auf die gerichtliche Einziehung der Forderung abzielen, umfasst sind. Dies gilt regelmäßig auch dann, wenn das Geschäftsmodell eine Bündelung einer Vielzahl von Einzelforderungen vorsieht.

23(a) Jede Einschränkung des Begriffs der Inkassodienstleistung i.S.d. § 2 Abs. 2 S. 1 RDG und damit der Inkassodienstleistungserlaubnis nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG beinhaltet einen Eingriff in den Schutzbereich der nach Art. 12 Abs. 1 GG gewährten Berufsausübungsfreiheit (vgl. RegE RDG, BT-Drs. 16/3655, 26 f.; BVerfG NJW 2002, 1190 f. zu Art. 1 § 1 RBerG; Burgi, DVBl 2020, 471 (474); Knauff, GewArch 2019, 414 f.). Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung sind nur dann mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden (vgl. BVerfGE 101, 331 (347); 117, 163 (181 ff.)).

24Die aus Gründen des Gemeinwohls unumgänglichen Beschränkungen des Grundrechts stehen unter dem Gebot der Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Das gewählte Mittel muss zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich sein, und bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe muss die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt sein (vgl. BVerfGE 30, 292 (316 f.); 101, 331 (347 ff.); 117, 163 (181 ff.); BGH U. v. 9.6.2008 – AnwSt (R) 5/05, Rn. 24). Das RDG benennt in § 1 Abs. 1 S. 2 RDG selbst seinen Normzweck, nämlich die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen. Dabei handelt es sich grds. um beachtliche Gründe des Gemeinwohls (BVerfGE 41, 378 (390); 97, 12 (26 f.); BVerfG NJW 2004, 2662; NJW-RR 2004, 1570 f. jew. zum RBerG; RegE RDG, BT-Drs. 16/3655, 45; Overkamp/Overkamp, in: Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl., Einl. RDG Rn. 10).

25(b) Ob das Ausscheiden von Geschäftsmodellen wie dem der Kl. aus dem Begriff der Inkassodienstleistung i.S.d. § 2 Abs. 2 S. 1 RDG zur Erreichung der genannten Schutzzwecke überhaupt geeignet ist, kann dahinstehen. Jedenfalls ist es nicht erforderlich und steht zu der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsausübungsfreiheit außer Verhältnis. Wenn und soweit der Anbieter über die zur Registrierung nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

BGH: Sammelklage-Inkasso nach Insolvenz einer Fluggesellschaft zulässig(MMR 2021, 718)

RDG erforderliche Sachkunde verfügt und für das gerichtliche Verfahren einen Rechtsanwalt beauftragt, erhöht sich dadurch, dass die abgetretenen Ansprüche statt außergerichtlich in erster Linie gerichtlich durchgesetzt werden sollen, die Gefahr einer unqualifizierten Rechtsdienstleistung nicht in einem solchen Maße, dass dies den mit einem Verbot verbundenen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit rechtfertigen könnte.

26(aa) Für den Schutz der rechtsuchenden Bürger, die vor Rechtsnachteilen und dem Verlust von Rechtspositionen, die durch fehlerhafte Rechtsdienstleistungen entstehen können, bewahrt werden sollen (Deckenbrock, a.a.O., Rn. 6; Wolf, in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 1 RDG Rn. 5; Overkamp/Overkamp, a.a.O., § 1 RDG Rn. 12), kommt es regelmäßig nicht darauf an, ob das fragliche Geschäftsmodell auf eine außergerichtliche oder gerichtliche Geltendmachung des zur Einziehung abgetretenen Anspruchs abzielt; dies gilt jedenfalls dann, wenn für das gerichtliche Verfahren, wie es § 78 Abs. 1 bzw. § 79 Abs. 1 S. 2 ZPO zwingend vorschreiben, ein Rechtsanwalt einzuschalten ist.

27Dass der Inkassodienstleister über die Sachkunde verfügt, die für die von ihm selbst zu erbringenden, außergerichtlichen und damit nicht an das Gericht gerichteten Rechtsdienstleistungen erforderlich ist, gewährleisten nach der Gesetzessystematik des RDG die Registrierungsvoraussetzungen in § 12 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 RDG (vgl. Freitag/Lang, ZIP 2020, 1201 (1203)). … Soweit die Tätigkeit des Inkassounternehmens in größerem Umfang auf eine klageweise Durchsetzung ausgerichtet ist und deswegen umfangreichere zivilprozessuale Kenntnisse erforderlich sein mögen, ist eine hieraus folgende wesentliche Erhöhung der Gefahr fehlerhafter Rechtsdienstleistungen nicht erkennbar. Denn auch bei geringen Streitwerten ist zwingend ein Rechtsanwalt zu beauftragen, bei dem entsprechende Kenntnisse ohne Weiteres zu erwarten sind (§ 79 Abs. 1 S. 2 ZPO).

28Dem steht, anders als die Gegenansicht meint (LG München I AnwBl Online 2020, 284 (298); Henssler, NJW 2019, 545 (547); BRAK-Mitt. 2020, 6 (10); Henssler, AnwBl Online 2021, 180 (183); Valdini, BB 2017, 1609 (1612)), nicht entgegen, dass nach der Rspr. des BGH durch die Einschaltung eines Rechtsanwalts aus einer unzulässigen keine zulässige Rechtsdienstleistung werden kann (BGH U. v. 3.7.2008 – III ZR 260/07, Rn. 19 ff. (zu Art. 1 § 5 Nr. 1 RBerG); U. v. 29.7.2009 – I ZR 166/06, Rn. 23 mwN – Finanz-Sanierung; U. v. 10.5.2012 – IX ZR 125/10, Rn. 34 (zu Art. 1 § 1 S. 1 RBerG); B. v. 12.11.2015 – I ZR 211/14, Rn. 10 ff.; U. v. 7.12.2017 – IX ZR 45/16, Rn. 14). Den Entscheidungen lagen jeweils Sachverhalte zu Grunde, bei denen es um nicht nach § 10 Abs. 1 RDG registrierte Rechtsdienstleistungsunternehmen ging. Das Registrierungserfordernis nach § 10 Abs. 1 RDG und das daran anknüpfende Verbot mit Erlaubnisvorbehalt nach § 3 RDG dürfen nicht durch die Einschaltung eines Rechtanwalts umgangen werden, da sie anderenfalls praktisch leerliefen (vgl. BGH U. v. 3.7.2008, a.a.O.; a.a.O., Rn. 24 – Finanz-Sanierung). Eine vergleichbare Umgehungsgefahr ist in den vorliegenden Fallgestaltungen jedoch nicht ersichtlich (vgl. BGH U. v. 27.11.2019, a.a.O., Rn. 226; U. v. 27.5.2020, a.a.O.).

29Zuzugeben ist zwar, dass bei der klageweisen Anspruchsdurchsetzung ein Rechtsverlust, der bei vorheriger Abtretung den rechtsuchenden Bürger mittelbar ebenfalls betreffen würde, aus einem nicht sachgerechten Prozessverhalten folgen und dieses bereits in der Sachverhaltsaufbereitung und Schriftsatzerstellung angelegt sein kann. Jedoch wird der durch den Inkassodienstleister mandatierte Rechtsanwalt für eine sachgerechte prozessuale Anspruchsdurchsetzung zu sorgen haben. In der Konstellation des sog. „Sammelklage-Inkasso“ wird oftmals erst die Bündelung vieler gleichgelagerter Einzelansprüche eine intensive Befassung auf Seiten des Rechtsberaters wirtschaftlich erscheinen lassen, was eher zu einer Steigerung der Qualität der Beratung zum Vorteil aller Zedenten führen kann (Fries, AcP 221 (2021), 108 (119); Kleine-Cosack, AnwBl Online 2019, 6 (10 f.); Krüger/Seegers, BB 2021, 1031 (1033)). …

31(bb) Auch der Schutz des Rechtsverkehrs, der immer dann betroffen ist, wenn mit der Tätigkeit des Rechtsdienstleisters Dritte, etwa der Anspruchsgegner des Rechtsuchenden, sonstige Beteiligte wie Drittschuldner oder Behörden, aber auch Gerichte, auf deren Tätigkeit außergerichtliche Rechtsdienstleistungen ausstrahlen (RegE RDG, BT-Drs. 16/3655, 45; Deckenbrock, a.a.O., Rn. 9), betroffen sind, erfordert nicht, Geschäftsmodelle aus dem Begriff der Inkassodienstleistung auszunehmen, die ausschließlich oder vorrangig auf eine klageweise Anspruchsdurchsetzung im sog. „Sammel-Inkasso“ abzielen.

32Der Schutz der Gerichte vor unsachgemäßer Prozessführung, insb. durch offensichtlich unzulässige oder unbegründete Klagen (vgl. Freitag/Lang, ZIP 2020, 1201 (1203); Wolf, a.a.O., Rn. 9; Deckenbrock, a.a.O., Rn. D 10) wird wiederum durch die zwingende Beteiligung eines Rechtsanwalts, und zwar auch bei niedrigen Streitwerten (§ 79 Abs. 1 S. 2 ZPO), sichergestellt (Freitag/Lang, ZIP 2020, 1201 (1203)).

33Wenn Geschäftsmodelle wie das der Kl. zu insgesamt höheren Verfahrenszahlen bei den Zivilgerichten führen, wird dies in aller Regel auf der Überwindung des rationalen Desinteresses der Rechtsuchenden beruhen. Der hierin zum Vorschein kommende erleichterte „Zugang zum Recht“ rechtfertigt keinen Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 117, 163 (185); Morell, JZ 2019, 809 (812) (zu Art. 14 GG)). Hinzu kommt, dass gerade Geschäftsmodelle wie das der Kl., bei denen einzelne Rechts- bzw. Tatsachenfragen, die im Wesentlichen gleichen Lebenssachverhalten entspringen, in einem oder wenigen Musterprozessen geklärt werden sollen, die Justiz nach den Vorstellungen des Gesetzgebers insgesamt eher entlasten können (vgl. Kerstges, GVRZ 2020, 15, Rn. 12; Krüger/Seegers, BB 2021, 1031 (1033)). …

35(cc) Der Schutz der Rechtsordnung erfordert eine Einschränkung des Inkassobegriffs in der von der Gegenauffassung befürworteten Weise ebenfalls nicht.

36Dieser Schutzzweck zielt darauf ab, dass das Recht als höchstrangiges Gemeinschaftsgut nicht in die Hände unqualifizierter Personen gelangen soll, da es als „gelebtes Recht“ maßgeblich durch die Personen beeinflusst und fortentwickelt wird, die Recht beruflich anwenden. Eine Freigabe der beruflichen Anforderungen hätte negative Auswirkungen auf die Rechtskultur und könnte die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege insgesamt gefährden (RegE RDG, BT-Drs. 16/3655, 45).

37Eine Beeinträchtigung dieser Belange ist nicht zu befürchten. Bei den gem. § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG registrierten Inkassodienstleistern handelt es sich im Hinblick auf die von ihnen als Voraussetzung der Registrierung nachzuweisende Sachkunde in den in § 11 Abs. 1 RDG bezeichneten Rechtsgebieten gerade nicht um unqualifizierte Personen. Zudem sind im gerichtlichen Verfahren mit dem zwingend zu mandatierenden Rechtsanwalt und dem Gericht weitere hinreichend qualifizierte Personen mit der Anwendung der Rechtsvorschriften auf die konkreten Sachverhalte befasst.

38(c) Die Kritik der Gegenansicht an der Ausdehnung des Inkassobegriffs und der damit verbundenen Öffnung des Rechtsdienstleistungsmarkts für Anbieter eines sog. Legal-Tech-Inkassos wird vielfach damit begründet, hierdurch entstehe ein struktureller Wettbewerbsnachteil der Rechtsanwaltschaft (vgl. Freitag/Lang, ZIP 2020, 1201 (1203 ff.); Greger, MDR 2018, 897

BGH: Sammelklage-Inkasso nach Insolvenz einer Fluggesellschaft zulässig(MMR 2021, 718)

(899); Henssler, NJW 2019, 545 (547); ders., AnwBl Online 2020, 168 (172); Prütting, ZIP 2020, 1434 (1441 f.); Remmertz, AnwBl Online 2020, 186 (188); Römermann, VuR 2020, 43 (51)). Dieser Gesichtspunkt rechtfertigt keine Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit der Inkassodienstleister.

39Es trifft zwar zu, dass die berufsrechtliche Regulierung der Inkassounternehmen im Vergleich zu der Rechtsanwaltschaft weniger streng ausgestaltet ist. Insb. ist es Rechtsanwälten berufsrechtlich, von engen Ausnahmen abgesehen, bisher weder gestattet, mit ihren Mandanten ein Erfolgshonorar zu vereinbaren (§ 49b Abs. 2 S. 1 BRAO, § 4a RVG), noch den Mandanten im Fall einer Erfolglosigkeit der Inkassotätigkeit eine Freihaltung von den entstandenen Kosten zuzusagen (§ 49b Abs. 2 S. 2 BRAO; BGH U. v. 20.6.2016 – AnwZ (Brfg) 26/14, Rn. 17; U. v. 27.11.2019, a.a.O., Rn. 171). Aus den nicht gänzlich von der Hand zu weisenden Widersprüchen, die sich aus der eher strengen Regulierung im anwaltlichen Berufsrecht im Vergleich zu der der Inkassounternehmen im Einzelfall ergeben mögen (vgl. Hellwig, AnwBl Online 2020, 260 f.; Kilian, NJW 2019, 1401 (1406)), lässt sich, auch unter Berücksichtigung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG; dazu Freitag/Lang, ZIP 2020, 1201 (1204); Knauff, GewArch 2019, 413 (420)), i.E. keine Überschreitung der Inkassobefugnis herleiten (BGH U. v. 27.11.2019, a.a.O., Rn. 170, 185 f.; BGH U. v. 8.4.2020 – VIII ZR 130/19 [= MMR 2020, 461], Rn. 69 ff.; U. v. 27.5.2020, a.a.O., Rn. 55).

40Zu berücksichtigen ist zunächst, dass dem RDG der Schutz der Anwaltschaft vor Konkurrenz kein selbstständiges Regelungsanliegen ist (Deckenbrock, a.a.O., Rn. 13; BeckOK RDG/Römermann, Stand: 1.7.2019, § 1 Rn. 32 f.; Overkamp/Overkamp, a.a.O., § 1 RDG Rn. 11; Kleine-Cosack, RDG, 3. Aufl., § 1 Rn. 41 f.; Krenzler/Remmertz, RDG, 2. Aufl., § 1 Rn. 66). Bedeutung erlangt der Gedanke mittelbar allerdings insoweit, als er dem primären Gesetzeszweck „Schutz einer funktionsfähigen Rechtspflege“ dient (Deckenbrock, a.a.O., Rn. 13; Wolf, a.a.O., Rn. 16, 16a).

41Im vorliegenden Zusammenhang gebietet es der Gesichtspunkt des Schutzes der Anwaltschaft als Ganzes nicht, Geschäftsmodelle wie das der Kl. als nicht mehr von ihrer Inkassodienstleistungsbefugnis nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG gedeckt anzusehen, weil sie ausschließlich bzw. vorrangig auf eine gerichtliche Geltendmachung im Wege des sog. „Sammel-Inkasso“ gerichtet sind. Für etwaige „Musterprozesse“, sofern solche angestrebt werden, bedarf es der anwaltlichen Vertretung (Kerstges, GVRZ 2020, 15, Rn. 34). Demgemäß ist nicht ersichtlich, dass der Rechtsanwaltschaft als Ganzes, soweit es die klageweise Geltendmachung der Forderungen betrifft, Anteile am Rechtsdienstleistungsmarkt in erheblichem Umfang verloren gingen.

42Zwar mag sich die Mandatierung auf wenige Kanzleien konzentrieren, sofern die Inkassodienstleistungsunternehmen für die gerichtliche Durchsetzung der bei ihnen gebündelten Ansprüche stets dieselben Kanzleien beauftragen. Um einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Inkassodienstleistungsunternehmen rechtfertigen zu können, müssten allerdings wiederum zumindest Anhaltspunkte für eine Monopolbildung im Rechtsdienstleistungsmarkt erkennbar sein, die die Funktionsfähigkeit der Anwaltschaft insgesamt (vgl. Kleine-Cosack, a.a.O., Rn. 42; Deckenbrock, a.a.O., Rn. 13) fühlbar beeinträchtigt (vgl. zum RBerG BVerfGE 97, 12 (30 f.)). Solche Anhaltspunkte sind nicht dargelegt. …

43cc) Entgegen einzelner Stimmen im Schrifttum (Henssler, AnwBl Online 2020, 168 (169) (171); vgl. Grothaus/Haas, ZIP 2020, 1797 (1802 f.); Heese, JZ 2019, 429 (438)) führen Geschäftsmodelle des sog. „Sammelklage-Inkasso“ auch nicht zu einer Umgehung der Voraussetzungen der Musterfeststellungsklage gem. §§ 606 ff. ZPO (Rillig, a.a.O., Rn. 46i).

44Richtig ist, dass nach § 606 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 ZPO Musterfeststellungsklagen nicht zum Zwecke der Gewinnerzielung erhoben werden dürfen. Hieraus den klaren Willen des Gesetzgebers abzuleiten, keine Modelle zur kollektiven Rechtsdurchsetzung zuzulassen, wenn sie zum Zwecke der Gewinnerzielung eingesetzt werden (Henssler, AnwBl Online 2020, 168 f.), findet in den Gesetzesmaterialien keine Stütze. Bei Schaffung der §§ 606 ff. ZPO durch das Gesetz v. 12.7.2018 zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage (BGBl. I 1151 ff.) waren die hier in Rede stehenden Geschäftsmodelle bekannt. Die Gesetzesbegründung enthält keinen klarstellenden Hinweis, dass solche Geschäftsmodelle eingeschränkt werden sollten (RegE, BT-Drs. 19/2439, 22 ff.). Zudem handelt es sich um unterschiedliche Formen der kollektiven Rechtsdurchsetzung. Dies zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Gegenstand der Musterfeststellungsklage nur Rechtsverhältnisse mit Verbrauchern sein können, weshalb sie etwa für Kartellschadensersatzklagen für ungeeignet gehalten wird (Kremer/Nowak, NZKart 2020, 311 (313); Krüger/Seegers, BB 2021, 1031 (1033)).

452. Die Abtretung der von der Kl. geltend gemachten Forderungen ist auch nicht deshalb gem. § 134 BGB nichtig, weil die Kl. mit ihrer Tätigkeit gegen § 4 RDG verstößt, sodass dahinstehen kann, ob es sich um ein Verbotsgesetz handelt. Anders als das LG noch angenommen hat, lässt sich eine Unvereinbarkeit mit einer anderen Leistungspflicht im Sinne dieser Vorschrift nicht feststellen. Ein Interessenkonflikt, der eine entsprechende Anwendung des § 4 RDG auf den vorliegenden Fall rechtfertigen könnte, liegt nicht vor. …

46a) … Der Sinn und Zweck des § 4 RDG besteht darin, Interessenkollisionen zu vermeiden (BGH U. v. 14.1.2016 – I ZR 107/14, Rn. 31; U. v. 27.11.2019, a.a.O., Rn. 189 mwN). Eine Unvereinbarkeit, die der rechtsdienstleistenden Tätigkeit entgegensteht, liegt allerdings nicht bei jeder Form einer möglicherweise bestehenden Interessenkollision vor, sondern nur dann, wenn die Rechtsdienstleistung unmittelbar gestaltenden Einfluss auf den Inhalt der bereits begründeten Hauptleistungspflicht des Leistenden haben kann. Zudem muss gerade hierdurch die ordnungsgemäße, d.h. objektive, frei von eigenen Interessen erfolgende Erfüllung der Rechtsdienstleistungspflicht gefährdet sein (RegE RDG, BT-Drs. 16/3655, 51; BGH U. v. 5.3.2013 – VI ZR 245/11, Rn. 12).

47b) Entgegen der Ansicht des LG und der Revisionserwiderung kann ein solcher Verstoß der Kl. gegen § 4 RDG nicht festgestellt werden. Dieser lässt sich weder damit begründen, dass die Kl. nach 3.1 und 3.2 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen (im Folgenden: AGB Kl.) ein Erfolgshonorar und zugleich die Freihaltung ihrer Kunden von etwaigen Kosten der Rechtsdurchsetzung vereinbart hat, noch damit, dass das Geschäftsmodell der Kl., wie in 1.6 ihrer AGB vorgesehen, auf die Bündelung und gesammelte Geltendmachung von Ansprüchen (angeblich) geschädigter Kunden der Schuldnerin ausgerichtet ist. Hieran ändert auch nichts, dass die Kl. nach 1.9 ihrer AGB für die Zedenten ggf. auch unwiderrufliche Vergleiche abschließen durfte.

48aa) Was die gleichzeitige Vereinbarung von Erfolgshonorar und Kostenfreihaltung betrifft, fehlt es bereits an einer anderen Leistungspflicht. …

49bb) Eine andere Leistungspflicht i.S.d. § 4 RDG wird dadurch begründet, dass die Kl. auch ggü. anderen Kunden jeweils zur bestmöglichen Durchsetzung der abgetretenen Forderungen verpflichtet ist. Die von der Kl. zu erbringende Rechtsdienstleistung ist indes nicht mit diesen anderen Leistungspflichten unvereinbar.

BGH: Sammelklage-Inkasso nach Insolvenz einer Fluggesellschaft zulässig(MMR 2021, 718)

50(1) Eine andere Leistungspflicht kann eine weitere Verpflichtung zur Erbringung einer Rechtsdienstleistung sein, wobei diese auch ggü. einem Dritten geschuldet sein kann (Deckenbrock, a.a.O., § 4 Rn. 16; Dreyer/Müller, in: Dreyer/Lamm/Müller, RDG, § 4 Rn. 10, 17; Johnigk, in: Gaier/Wolf/Göcken, a.a.O., § 4 RDG Rn. 12, 15; Krenzler/Remmertz, a.a.O., § 4 Rn. 12).

51Das Geschäftsmodell der Kl. besteht, wie sich aus 1.6 AGB Kl. ergibt, darin, sich die Ansprüche mehrerer (angeblich) geschädigter Kunden der Schuldnerin abtreten zu lassen und gesammelt ggü. Dritten geltend zu machen. Auf Grund der den Abtretungen zu Grunde liegenden Inkassodienstleistungsverträgen ist die Kl. ggü. allen ihren Kunden damit jeweils zur bestmöglichen Durchsetzung der abgetretenen Forderungen verpflichtet (vgl. Deckenbrock, a.a.O., § 4 Rn. 28g).

52(2) Jedoch ist, jedenfalls nach der konkreten Ausgestaltung der Vertragsverhältnisse mit den Kunden, nicht feststellbar, dass die von der Kl. zu erbringende Rechtsdienstleistung unmittelbar gestaltenden Einfluss auf den Inhalt der ggü. den übrigen Kunden zu erbringenden Leistungspflichten dergestalt ausüben kann, dass hierdurch die ordnungsgemäße Erfüllung der Rechtsdienstleistungspflicht gefährdet wäre.

53Richtig ist zwar, dass die Kl. i.R.d. gesammelten Geltendmachung und ggf. auch prozessualen Durchsetzung der Kundenforderungen nach 1.9 AGB Kl. u.a. dazu ermächtigt ist, Vergleiche abzuschließen, dabei auch auf die Geltendmachung von Ansprüchen gegen einzelne Anspruchsgegner zu verzichten und auch, Ansprüche Zug um Zug gegen Entschädigungszahlungen an Anspruchsgegner weiter abzutreten. Hieraus allein lässt sich jedoch noch nicht auf einen Interessenkonflikt schließen, der einen Verstoß gegen § 4 RDG und damit i.E. die Nichtigkeit der Inkassodienstleistungsverträge sowie der daraufhin erfolgten Abtretungen der Kunden der Kl. zur Folge hätte.

54Entgegen der Ansicht des LG lässt sich ein solcher Interessenkonflikt nicht damit begründen, der Bekl. verfüge lediglich über endliche Mittel, weshalb die Kl. bereit sein werde, ggf. deshalb einen Vergleich abzuschließen, der die Forderungen aller Kunden nur anteilig befriedige. Abgesehen davon, dass es an Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Bekl. fehlt und jedenfalls im Hinblick auf die hier streitgegenständlichen Kundenforderungen eine finanzielle Überforderung des Bekl. fernliegt, widerspräche ein solcher Vergleichsschluss letztlich gerade nicht dem Interesse der Kunden. …

55Soweit die gebündelte Durchsetzung der Forderungen möglicherweise unter Berücksichtigung der Interessen der anderen Kunden zu einer nur anteiligen Befriedigung führt, folgt daraus kein i.R.d. § 4 RDG bedeutsamer Interessenkonflikt auf Seiten der Kl. Prinzipiell sind nicht nur die Interessen des einzelnen Kunden und der Kl., sondern auch aller Kunden untereinander gleichgerichtet, nämlich darauf, eine möglichst hohe Befriedigung aller Forderungen zu erhalten (Petrasincu/Unseld, NZKart 2021, 280 (285)). Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass der einzelne Kunde durch einen Vergleichsschluss, der mehrere an die Kl. abgetretene Forderungen umfasst, möglicherweise das Risiko übernimmt, dass der auf ihn entfallende Anteil der Vergleichssumme deshalb geringer ausfällt, weil die Kl. Forderungen mit geringerer Durchsetzungsaussicht gebündelt geltend gemacht hat (Rillig, a.a.O., Rn. 46o; BeckOGK RDG/Grunewald, Stand: 31.12.2020, § 4 Rn. 25). Diesem Risiko stehen erhebliche Vorteile einer gebündelten Geltendmachung im Vergleich zu einer jeweils individuellen Anspruchsdurchsetzung gegenüber, etwa die Nutzbarmachung der Gebührendegression bzw. -deckelung, die Streuung des Kostenrisikos einer etwaig vorausgegangenen Beweisaufnahme und eine erhebliche Stärkung der Verhandlungsposition gerade im Hinblick auf einen Vergleichsschluss (Stadler, VuR 2021, 123 (125); Fries, AcP 221 (2021), 108 (119); Krüger/Seegers, BB 2021, 1031 (1033)). Das beschriebene Risiko des einzelnen Kunden fällt dagegen umso weniger ins Gewicht, je mehr die Durchsetzungsaussichten der jeweiligen Forderungen in rechtlicher bzw. tatsächlicher Hinsicht übereinstimmen. Verbleibenden Unterschieden hinsichtlich der Durchsetzungsaussichten lässt sich darüber hinaus durch entsprechende Gruppierung der Ansprüche Rechnung tragen (Stadler, JZ 2020, 321 (325 f.); Deckenbrock, a.a.O., § 4 Rn. 28g). …

57Entgegen der Ansicht des LG ist es, soweit es das Interesse aller Zedenten an einer jeweils bestmöglichen Rechtsverfolgung betrifft, auch unerheblich, dass die Ermächtigung der Kl. zum Vergleichsschluss keine Beschränkung auf widerrufliche Vergleiche vorsah. An dem beschriebenen prinzipiellen Interessengleichlauf der Kl. und der Gesamtheit der Zedenten änderte sich hierdurch nichts.

58c) Der zuletzt genannte Gesichtspunkt vermag auch i.Ü. keinen Verstoß gegen § 4 RDG zu begründen. Auf Seiten der Kl. lässt sich dadurch, dass die Vereinbarung mit ihren Kunden in den Inkassodienstleistungsverträgen einerseits die Kostenfreihaltung und eine erfolgsbasierte Vergütung vorsehen, andererseits die Kl. aber zum Abschluss unwiderruflicher Vergleiche mit den etwaigen Anspruchsgegnern ermächtigt war, kein Interessenkonflikt erkennen, der in entsprechender Anwendung des § 4 RDG zur Nichtigkeit der Forderungsabtretungen an die Kl. führt.

59aa) Zuzugeben ist, dass sich auf Grund eigenen wirtschaftlichen Interesses, das aus der im Streitfall in den AGB vereinbarten Vergütungsvereinbarung folgt, nicht ausschließen lässt, dass die Kl. verglichen mit den Kunden eher zum Abschluss eines Vergleichs über die jeweilige Einzelforderung geneigt sein könnte. Denn sie trägt auf Grund der Kostenfreihaltungsvereinbarung das volle Kostenrisiko, ist an einem etwaigen Erfolg jedoch nur mit 35% der Forderungssumme beteiligt, während der Kunde im Verlustfall kein Kostenrisiko trägt. Dies wirkt sich vor allem aus, sobald der auf die Kl. entfallende Anteil die entstehende Kostenlast deckt. Hierbei ist in den Blick zu nehmen, dass bei einer Bündelung einer Vielzahl von Ansprüchen die eigenen Kosten der Kl. pro Forderung geringer ausfallen dürften, sodass die Kl. in diesem Fall bereits bei einer geringeren Vergleichssumme eine Kostendeckung wird erreichen können (Morell, JZ 2019, 809 (810 f.)). Diese z.T. unterschiedliche Interessenlage zwischen der Kl. und den einzelnen Kunden bei der Erbringung ihrer Rechtsdienstleistung betrifft jedoch nicht die für die direkte Anwendung des § 4 RDG im Streitfall maßgeblichen Leistungspflichten, die die Kl. ggü. den übrigen Zedenten zu erbringen hat.

60bb) Die unterschiedliche Interessenlage zwischen der Kl. und den einzelnen Kunden bei der Erbringung ihrer Rechtsdienstleistung rechtfertigt keine entsprechende Anwendung des § 4 RDG.

61Der BGH hat zwar nicht ausgeschlossen, dass es Fälle geben kann, in denen zum Schutz des Rechtsverkehrs und der rechtsuchenden Kunden des Inkassodienstleisters eine erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung des § 4 RDG geboten sein kann, wenn zwar deren Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt sind, gleichwohl aber eine Interessenkollision besteht. …

62Daraus folgt jedoch nicht im Umkehrschluss, dass die dargestellte Interessenlage, wie sie sich aus den AGB der Kl. und der darin vereinbarten Kombination aus erfolgsabhängiger Vergütung und Kostenfreihaltung einerseits und Berechtigung zum Abschluss auch unwiderruflicher Vergleiche andererseits ergibt, stets eine entsprechende Anwendung des § 4 RDG rechtfertigen könnte und damit die Unwirksamkeit der Forderungsabtre-

BGH: Sammelklage-Inkasso nach Insolvenz einer Fluggesellschaft zulässig(MMR 2021, 718)

tungen nach § 134 BGB nach sich zöge (Stadler, JZ 2020, 321 (325); Deckenbrock, a.a.O., § 4 Rn. 28f). Allein die Tatsache, dass auf Seiten des Inkassodienstleistungsunternehmens möglicherweise vom Kunden abweichende Interessen vorhanden sind, bedeutet nicht, dass es diese auch auf Kosten des Kunden verfolgen darf. Im Gegenteil stehen, sofern der Inkassodienstleister zum Nachteil seiner Kunden eigennützig seine Interessen verfolgt, diesen entsprechende Schadensersatzansprüche zu (Deckenbrock, a.a.O., § 4 Rn. 28f).

63Der Kunde, zumal wenn es sich um einen Verbraucher handelt, dürfte zwar ein vertragswidrig eigennütziges Handeln des Inkassodienstleisters oftmals und jedenfalls ohne die Beratung durch einen außenstehenden Dritten kaum erkennen. Gleichwohl hängt das Risiko eines derartigen Verhaltens des Inkassodienstleisters in hohem Maße von den Umständen des Einzelfalls ab, sodass ein struktureller Interessenkonflikt, der es geboten erscheinen ließe, die Abtretung der Kundenforderungen pauschal für nichtig zu erachten, nicht vorliegt. Denn je aussichtsreicher die Forderungsdurchsetzung und je geringer die Kosten einer Prozessfortsetzung sind, umso höher fällt das Interesse an der Gewinnmaximierung des Inkassodienstleisters ins Gewicht, das mit den Interessen des Kunden prinzipiell gleichgerichtet ist (Morell, JZ 2019, 809 (812); Deckenbrock, a.a.O., § 4 Rn. 28f; BeckOGK RDG/Grunewald, a.a.O., Rn. 24; Rillig, a.a.O., Rn. 46t). Entsprechendes gilt, wenn die Durchsetzung der Forderungen nicht sehr aussichtsreich erscheint, da dann auch dem Zedenten daran gelegen sein wird, durch einen Vergleichsabschluss überhaupt eine Auszahlung zu erhalten, was wiederum mit dem Interesse des Inkassodienstleisters an Kostenminimierung korrespondiert. …

65III. Die Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Die Hilfsbegründung des Berufungsgerichts, mit der es eine Haftung des Bekl. wegen Insolvenzverschleppung verneint, ist nicht frei von Rechtsfehlern.