Müssen vor Ausbruch der Covid19-Pandemie gebuchte Hotelzimmer pandemiebedingt storniert werden, kann dies eine hälftige Teilung der Buchungskosten rechtfertigen.
… mit der Corona-Pandemie [ist] im Vertragsverhältnis der Parteien eine Störung der „großen Geschäftsgrundlage“ eingetreten. Zur Geschäftsgrundlage der Parteien als Anbieter und Nachfrager von Beherbergungsleistungen gehörte danach die Vorstellung, dass es nicht zu einer weltweiten Pandemie mit weitgehender Stilllegung des öffentlichen Lebens kommen würde, so dass das Auftreten der Pandemie mit den entsprechenden weitreichenden staatlichen Eingriffen in das wirtschaftliche und soziale Leben eine schwerwiegende Änderung der für die Vertragsabwicklung vorgestellten Umstände bedeutet und damit das tatsächliche Element der Störung der Geschäftsgrundlage verwirklicht (vgl. a. OLG Dresden, Urt. v. 24.2.2021 – 5 U 1782/20, juris Rz. 37 = MietRB 2021, 104 [Burbulla] = MDR 2021, 553; Beschl. v. 15.2.2021 – 5 U 1782/20, NZM 2021, 231 = juris Rz. 42; OLG München, Beschl. v. 17.2.2021 – 32 U 6358/20, NZM 2021, 226 = juris Rz. 11 ff.; LG Mönchengladbach, Urt. v. 2.11.2020 – 12 O 154/20, juris Rz. 48; LG Heidelberg, Urt. v. 30.7.2020 – 5 O 66/20, MietRB 2020, 301 [Mettler)] = ZMR 2021, 44 = juris Rz. 50 je m.w.N.). Es liegt insoweit eine Systemkrise vor, weil durch sie das allgemeine soziale und wirtschaftliche Gefüge nachhaltig erschüttert wird (OLG Dresden v. 24.2.2021, a.a.O.; Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017, 1021; Häublein/Müller, NZM 2020, 481, 486 f.; je m.w.N.). …
Diese Krise hat sich auch bei der Klägerin verwirklicht und damit die vorgenannte Geschäftsgrundlage nach Vertragsschluss schwerwiegend zu Lasten der Klägerin verändert, ohne dass ihr ein unverändertes Festhalten am Vertrag zumutbar wäre. Die Auflösung (oder Anpassung) eines Vertrages wegen Störung der Geschäftsgrundlage muss zur Vermeidung untragbarer, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbarer Folgen unabweislich erscheinen (BGH, Urt. v. 26.9.1996 – I ZR 265/95, BGHZ 133, 321 = juris Rz. 27 = MDR 1997, 569; …; Grüneberg in Palandt, BGB, § 313 Rz. 24; je m.w.N.). Dabei kommt der vertraglichen Risikoverteilung besondere Bedeutung zu. § 313 BGB ist nicht anwendbar, wenn sich durch die Störung ein Risiko verwirklicht, das eine Partei zu tragen hat. …
Gemessen daran ist im Streitfall der Klägerin ein Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zumutbar. Zwar fällt das Risiko, dass der Anlass der Reise, für den sie die Hotelzimmer gebucht hat, wegfällt und sie deshalb keine Verwendung mehr für die Hotelzimmer hat, als bloße Störung des Verwendungszwecks grundsätzlich in ihren Risikobereich. Dies berücksichtigt aber nicht hinreichend, dass sich im Streitfall mit einer weltweiten Pandemie ein außergewöhnliches Risiko verwirklicht hat, das nicht mehr eindeutig in den Risikobereich einer Partei fällt (so für den Bereich der Gewerberaummiete etwa OLG Frankfurt, Urt. v. 19.3.2021 – 2 U 143/20, Rz. 43 ff.; …; LG München I, Urt. v. 12.2.2021 – 31 O 11516/20, MietRB 2021, 140[Mettler] = juris; vgl. auch Grüneberg, a.a.O., § 313 Rz. 37a; Zehelein, NZM 20, 390 ff.; …). Insoweit ist der Risikobereich der Klägerin überschritten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Beklagte die Durchführung der Messe ihrerseits in ihre Preisgestaltung aufgenommen hat. Zwar ist die Vermietbarkeit der Zimmer nicht von der Durchführung der Messe abhängig, diese bestimmt jedoch den Preis. Die mit der Klägerin vereinbarten Preise konnte die Beklagte am Markt nur verlangen, weil die zu diesem Zeitpunkt stattfindende Messe A eine entsprechende Nachfrage mit sich brachte. Schon nach Absage der Messe konnte die Klägerin die messebedingten Zimmerpreise nicht mehr erzielen. Damit hatte sich der Markt grundlegend verändert, ohne dass dies für eine Partei vorhersehbar oder beherrschbar gewesen wäre. Diese Situation ist nicht mehr dem Risikobereich einer Partei zuzuordnen. Vielmehr spricht dies für eine Risikoteilung. Dafür spricht schließlich maßgeblich, dass die Beklagte ohne die Stornierung ihre Leistungspflicht wegen später ergangener behördlicher Beherbergungsverbotes ohnehin nicht hätte erfüllen können. Sie hätte dann den gesamten Gegenleistungsanspruch verloren. Dass der Beklagten aufgrund der von der Klägerin zuvor erklärten Stornierung ein Anspruch von 90 % des Zimmerpreises verbleiben sollte, erscheint vor diesem Hintergrund rein zufällig und ist allein dem Umstand geschuldet, dass die Klägerin vor Eintritt der Unmöglichkeit von dem Vertrag zurückgetreten ist. Dieses zufällige Ergebnis ist der Klägerin nicht zumutbar: die Folgen der Pandemie sind nicht mehr einseitig dem Risikobereich einer Partei zuzurechnen, zumal Absage der Messe und Stornierung der Buchung einerseits und Beherbergungsverbot andererseits auf demselben Grund, nämlich der Pandemie, beruhen.
Bei dieser Sachlage erscheint eine hälftige Teilung des Risikos und mithin eine hälftige Teilung der Buchungskosten sachgerecht (vgl. Häublein/Müller, NZM 2020, 481, 490; Ekkenga/Schirrmacher, NZM 2020, 410, 414; …). Bei einer Störung der Geschäftsgrundlage ist grundsätzlich der Inhalt des Vertrags den veränderten Umständen anzupassen. Da keine Partei eine Ursache für die Störung der Geschäftsgrundlage gesetzt hat und auch keine Gründe für eine anderweitige Aufteilung ersichtlich sind, erscheint es angemessen, das von keiner Partei zu tragende Pandemierisiko auf beide Parteien je zur Hälfte zu verteilen (vgl. BGH, Urt. v. 23.11.1989 – VII ZR 60/89, juris Rz. 17 = MDR 1990, 329; OLG Dresden, Urt. v. 24.2.2021 – 5 U MDR 2021, 11221782/20, juris Rz. 44; Zehelein, NZM 20, 390, 399). Die im Rückgewährschuldverhältnis vereinbarte Stornierungsgebühr von 90 % des Zimmerpreises wird dem nicht gerecht. Sie verfolgt im ungestörten Vertragsverhältnis das Ziel, dem Hotelier einen möglichen Ausfall zu ersetzen, den er erleidet, weil ihm nach einer kurzfristigen Stornierung eine Neuvermietung nicht oder nur zu schlechteren Konditionen möglich ist. Im Streitfall hat die Corona-Pandemie aber die gesamte Marktsituation derart gestört, dass dem Hotelier eine Weitervermietung aus anderen Gründen als einer bloßen Stornierung weitgehend unmöglich war und mithin die Funktion der Stornierungsgebühr nicht eingreift. Sie führt im Gegenteil zu dem zufälligen Ergebnis, dass die Beklagte 90 % des Zimmerpreises erhielte, obwohl sie ohne die Stornierung ihre eigene Leistungspflicht nicht hätte erfüllen können. Da allerdings auch die Beklagte das Pandemierisiko nicht alleine trägt, ist das Rückgewährschuldverhältnis einschließlich der Stornierungsgebühren wie dargelegt anzupassen. …
Hinweis der Redaktion: A.A. AG Kassel, Urt. v. 20.4.2021 – 435 C 3090/20, https://www.rv.hessenrecht.hessen.de