1. Ein nicht vorhergesehenes Ereignis, von dem rund die Hälfte aller vorhandenen Flugzeuge betroffen ist, betrifft typischerweise einen wesentlichen Teil der Flotte und gehört deshalb grundsätzlich nicht zur normalen Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens.

2. Besteht aufgrund eines an einem Flugzeug aufgetretenen Defekts Anlass, alle Flugzeuge dieses Typs einer Untersuchung zu unterziehen, kann dem ausführenden Luftfahrtunternehmen grundsätzlich nicht angesonnen werden, zur Vermeidung von Verspätungen und Annullierungen mit der Untersuchung einzelner Maschinen zuzuwarten und die hierdurch entstehenden Risiken für die Sicherheit der Fluggäste in Kauf zu nehmen.

BGH, Urt. v. 10.11.2022 – X ZR 117/21

Vorinstanzen: 

LG Stuttgart – 5 S 96/20

AG Nürtingen – 15 C 5651/19

Aus den Gründen:

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Nach den tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte vorgetragen, dass sie am Tag des annullierten Flugs alle ihre Flugzeuge vom Typ Airbus A220 und damit rund die Hälfte ihrer Kurz- und Mittelstreckenmaschinen aufgrund eines am gleichen Tag aufgetretenen Triebwerkausfalls einer außerplanmäßigen Inspektion unterzogen hat.17

Damit ist ein Vorkommnis vorgetragen, das sich auf einen wesentlichen Teil der Flotte bezieht und auch seiner sonstigen Natur nach nicht zur normalen Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens gehört.18

Entgegen der Auffassung des AG ist der Anteil der betroffenen Flugzeuge an der gesamten zur Verfügung stehenden Flotte auch dann als wesentlich anzusehen, wenn nicht nur Maschinen des Typs A220, sondern alle Kurz- und Mittelstreckenmaschinen in die Betrachtung einbezogen werden. Wenn rund die Hälfte aller vorhandenen Flugzeuge von einem Ereignis betroffen sind, führt dies typischerweise zu Störungen, die nicht mehr als unwesentlich angesehen werden können.19

In diesem Zusammenhang ist unerheblich, ob die aufgetretenen Störungen durch einen dem Flugmaterial von Beginn an anhaftenden Fabrikationsfehler oder durch ein Software-Update verursacht worden sind. In beiden Konstellationen liegen technische Defekte vor, die den Flugbetrieb erheblich beeinträchtigen.20

Selbst, wenn der Beklagten insoweit ein Ermessen zugestanden hätte, gab der am 15.10.2019 aufgetretene Triebwerksschaden hinreichend Anlass, dieses Ermessen so auszuüben, dass eine Gefährdung anderer Fluggäste durch Defekte an Maschinen dieses Typs nach Möglichkeit ausgeschlossen war. Der Beklagten konnte nicht angesonnen werden, zur Vermeidung von Verspätungen und Annullierungen mit der Untersuchung einzelner Maschinen zuzuwarten und die hierdurch entstehenden Risiken für die Sicherheit der Fluggäste in Kauf zu nehmen.23

Ebenfalls zutreffend hat das Berufungsgericht entschieden, dass die Beklagte die Verspätung nicht mit zumutbaren Maßnahmen verhindern konnte. [Rz. 24–3

Anm: Im Ergebnis konnten Betroffene keine Ausgleichszahlungen wegen Verspätung und Flugannullierungen verlangen.