1. Maßgeblich für die Bewertung, ob ein kostenfreier Rücktritt möglich ist, ist der Zeitpunkt der Ausübung des Gestaltungsrechts. Es handelt sich um eine Prognoseentscheidung, für die es auf eine ex-ante-Betrachtung aus der Perspektive eines verständigen Durchschnittsreisenden ankommt (Staudinger/Achilles-Pujol in: Schmidt, COVID-19, 3. Aufl. 2021, § 7, Rn. 26).
2. Da der Reisende seinen Entschluss zum Rücktritt nur unter den ihm in diesem Moment zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten fassen kann, kann es für die Wirksamkeit der kostenfreien Rücktrittserklärung keine Rolle spielen, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass die Reise ohne Beeinträchtigung hätte durchgeführt werden können (BeckOGK/Harke, 1.7.2022, § 651h BGB, Rn. 48).
3. Es kann dem Reisenden unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vertragspartner nicht zugemutet werden, sich an einem Reisevertrag festhalten zu lassen, dessen Durchführung mit einer konkreten, bei Vertragsabschluss nicht vorhersehbaren Gefahr einer Schädigung verbunden ist (vgl. BGH, NJW 2002, 3700, 3701).
OLG Hamburg (3. Zivilsenat), Beschluss vom 22.09.2022 – 3 U 35/22
Aus den Gründen
31So liegt der Fall auch hier: Zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung durfte die Klägerin mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die beabsichtigte Reise sowohl aufgrund des Infektionsgeschehens als auch aufgrund damit einhergehender Einschränkungen des allgemeinen Lebens erheblich beeinträchtigt sein würde.