1. Bei einem als einheitliche Leistung vereinbarten Hin- und Rückflug ist der für den Gerichtsstand maßgebende Bestimmungsort i.S.v. Art. 33 Abs. 1 MÜ der Abgangsort (Fortführung von BGH, Urt. v. 23.3.1976 – VI ZR 92/75, MDR 1976, 833 = NJW 1976, 1586).
2. Von der Vereinbarung einer einheitlichen Leistung ist regelmäßig auszugehen, wenn Hin- und Rückflug gleichzeitig gebucht werden, ein Gesamtpreis in Rechnung gestellt wird und eine einheitliche Buchungsbestätigung ergeht.
3. Bei einem als einheitliche Leistung vereinbarten Hin- und Rückflug ist der für den Gerichtsstand maßgebende Bestimmungsort i.S.v. Art. 33 Abs. 1 MÜ der Abgangsort.
BGH, Urt. v. 23.11.2021 – X ZR 85/20
Aus den Gründen:
14 Der geltend gemachte Anspruch aus Art. 17 Abs. 2 MÜ wegen Beschädigung von aufgegebenem Reisegepäck ist ein Anspruch auf Schadensersatz i.S.v. Art. 33 Abs. 1 MÜ.15
Bei einem als einheitliche Leistung vereinbarten Hin- und Rückflug ist der für den Gerichtsstand maßgebende Bestimmungsort i.S.v. Art. 33 Abs. 1 MÜ der Abgangsort.
17 Nach der Rechtsprechung des BGH zu der weitgehend gleich formulierten Vorgängerregelung in Art. 28 Abs. 1 des Warschauer Abkommens zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (im Folgenden: WA) ist bei einem von vornherein als einheitliche Leistung ver-MDR 2022, 486einbarten Hin- und Rückflug der für den Gerichtsstand maßgebende Bestimmungsort i.S.v. Art. 28 Abs. 1 WA der Abflugort (BGH, Urt. v. 23.3.1976 – VI ZR 92/75, MDR 1976, 833 = NJW 1976, 1586).20
Diese Auffassung ist zutreffend.
22 Art. 1 Abs. 3 MÜ sieht ebenso wie Art. 1 Abs. 3 WA vor, dass mehrere aufeinanderfolgende Flüge als eine einzige Beförderung gelten, sofern sie von den Parteien als einheitliche Leistung vereinbart worden sind.
In der deutschen Literatur besteht, soweit ersichtlich, Einigkeit darüber, dass Art. 33 Abs. 1 MÜ in gleichem Sinne auszulegen ist (MüKoHGB/Müller-Rostin, Art. 33 MÜ Rn. 25; Reuschle, MÜ, 2. Aufl., Art. 33 Rn. 25 f.; Führich in Führich/Staudinger, Reiserecht, § 37 Rn. 4, 62; Staudinger/Hausmann, Verfahrensrecht für internationale Verträge (2021) Rn. 312; Dettling-Ott in Giemulla/Schmid, Art. 33 Rn. 58).
23 Wie im Geltungsbereich des Warschauer Übereinkommens ist als Bestimmungsort mithin das Ziel des, als einheitliche Leistung vereinbarten Beförderungsvorgangs, anzusehen. Dies ist der Ort der vertraglich vereinbarten letzten Landung, an dem nach dem Beförderungsvertrag der Fluggast das Luftfahrzeug endgültig verlässt.24
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht Art. 1 Abs. 2 MÜ diesem Verständnis nicht entgegen.
25 Der Begriff des Bestimmungsorts ist im Zusammenhang mit Art. 1 Abs. 2 MÜ allerdings gleich auszulegen wie im Zusammenhang mit Art. 33 Abs. 1 MÜ (Müller-Rostin in MünchKomm/HGB, 4. Aufl., Art. 33 MÜ Rz. 24; Pokrant in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 4. Aufl., Art. 1 MÜ Rz. 13; Dettling-Ott in Giemulla/Schmid, Art. 33 Rz. 56; Staudinger/Hausmann, a.a.O., Rz. 312). Auch bei dem aufgezeigten Verständnis läuft die in Art. 1 Abs. 2 vorgesehene Unterscheidung zwischen Abgangs- und Bestimmungsort jedoch nicht ins Leere. Sie ist von Bedeutung bei einfachen Flügen, bei Gabelflügen und in Fällen, in denen Hin- und Rückflug nicht als einheitliche Leistung vereinbart worden sind.
29 Die Rechtsprechung des EuGH zum Anwendungsbereich der Fluggastrechteverordnung spricht nicht gegen, sondern für die oben aufgezeigte Auslegung.
30 Nach der Rechtsprechung des EuGH sind Hin- und Rückflug – anders als ein auf einer einheitlichen Buchung beruhender Flug mit mehreren Teilstrecken – zwar nicht als einheitlicher Flug im Sinne der Fluggastrechteverordnung anzusehen (EuGH, Urt. v. 10.7.2008 – C-173/07, RRa 2008, 237 Rz. 26 ff. – Schenkel/Emirates). Der EuGH hat hierbei aber ausgeführt, dass die Verordnung insoweit eine andere Regelung trifft als das Montrealer Übereinkommen, weil sie an einen Flug anknüpft, während der nach dem Übereinkommen maßgebliche Begriff der Beförderung eher dem Begriff der Reise nahekommt (EuGH v. 10.7.2008, a.a.O. Rz. 42 ff.). [Rz. 31–44]
Anm.:
Der BGH hatte sich mit der im Internet gebuchten Reise einer Frau zu beschäftigen, deren Flug von Hahn nach Neapel und wieder zurück ging. Ihr Gepäck wurde auf dem Hinflug beschädigt. Unter Berufung auf das sog. Montrealer Übereinkommen, das die Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vereinheitlicht, verlangte sie 354 € Schadensersatz von der Fluggesellschaft. Das Amtsgericht und auch das Landgericht hatten ihre Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte als unzulässig abgewiesen, weil Hahn nicht als „Bestimmungsort“ i.S.d. Montrealer Übereinkommens, d.h. als Ort der vertraglich vereinbarten letzten Landung, an dem der Fluggast nach dem Beförderungsvertrag das Luftfahrzeug endgültig verlasse, angesehen werden könne. Denn bezogen auf den Hinflug sei dies Neapel. Hahn könne nur dann als „Bestimmungsort“ angesehen werden, wenn es sich bei dem von der Klägerin gebuchten Hin- und Rückflug um eine „einheitliche internationale Beförderung“ i.S.d. Übereinkommens handele. Dies sei hier nicht der Fall: Der Rückflug sei lediglich „bei Gelegenheit“ der Buchung des Hinflugs gebucht worden, so die Richter der Vorinstanzen. Dies ergebe sich auch daraus, dass beide Flüge unabhängig voneinander hätten storniert werden können.
Dem widersprach jetzt der X. Senat des BGH. Von der Vereinbarung einer „einheitlichen Leistung“ i.S.d. Montrealer Übereinkommens sei regelmäßig schon dann auszugehen, wenn Hin- und Rückflug gleichzeitig gebucht würden, ein Gesamtpreis in Rechnung gestellt werde und eine einheitliche Buchungsbestätigung ergehe. Unerheblich sei demgegenüber, dass die Klägerin die Buchung direkt bei der Fluggesellschaft und nicht etwa in einem Reisebüro getätigt habe. Ebenfalls unerheblich sei, ob nach den Vertragsbedingungen eine separate Stornierung von Hin- und Rückflug möglich gewesen sei. Selbst wenn ein solches Recht vereinbart worden sei, komme dem lediglich für die Möglichkeiten zur Beendigung oder Änderung des Vertrags Bedeutung zu, nicht aber für die Frage, ob die ursprünglich vereinbarten Leistungen als Einheit anzusehen seien. Die geschädigte Reisende kann sich deshalb im Ergebnis grds. auf das Montrealer Übereinkommen berufen.