Reiseveranstalter Alltours bietet keine kurzfristige kostenlose Stornierung mehr an, wenn ein Urlaubsland vom Risikogebiet zum Hochrisikogebiet hochgestuft wird. Dies teilt das Unternehmen auf Anfrage mit. Die Nachricht stößt im Vertrieb vor allem im Hinblick auf Mallorca-Buchungen auf Kritik. Die Rechtslage ist unklar.
Alltours verweist als Erklärung unter anderem auf kulante Stornobedingungen im Zuge der Aktion „Flexibel buchen“, die für den Sommer verlängert und auf die Wintersaison ausgedehnt worden sei. Dabei gilt für Neubuchungen bis Ende September: Reisen mit Alltours Klassik inklusive Individualreisen für den Sommer mit Abreise bis 31. Oktober 2021 und den Winter mit Abreise vom 1. November 2021 bis 30. April 2022 können Kunden bis 21 Tage vorher kostenfrei stornieren und bis 14 Tage vor Abreise kostenlos umbuchen.
Außerhalb dieser Fristen sei eine kostenlose Stornierung nicht mehr möglich, es gelten die normalen Stornogebühren laut AGB – selbst, wenn das Zielgebiet zum Hochinzidenzgebiet werde und eine Reisewarnung gelte, so Alltours. Zudem verweist der Veranstalter darauf, dass vollständig Geimpfte und Genesene bei einer Reise in Hochinzidenzgebiete keine Beeinträchtigungen hätten. Lediglich Ungeimpfte müssten sich nach ihrer Rückkehr in Quarantäne begeben, aus der sie sich nach frühestens fünf Tagen freitesten können.
Reiserechtsexperten sind geteilter Meinung
Zahlreiche Reiseverkäufer hatten nach Bekanntwerden ihrem Unmut in den sozialen Netzwerken Luft gemacht und rechtliche Bedenken geäußert. Tatsächlich ist die Rechtslage nicht eindeutig.
Auf Anfrage von touristik aktuell erläutert Reiserechtsexperte Ernst Führich, im Reiserecht gebe es dazu zwei Meinungen. Er selbst sei der Auffassung, dass beide Vertragspartner das Risiko einer Corona-Beeinträchtigung der Reise tragen sollten. Schließlich kenne man mittlerweile Corona mit seinen Wellen, so Führich.
Bei anderen Veranstaltern wie DER Touristik und TUI sind hingegen Stornierungen aufgrund einer Reisewarnung weiterhin kostenfrei bis zum Tag der Abreise möglich, teilten die Unternehmen gegenüber ta mit.
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Anmerkung Prof. Führich:
(27.7.2021) Als unabhängiger Reiserechtswissenschaftler, der keine Stornomandanten gegen Veranstalter vertritt, bin ich der Auffassung, dass ein Reisender dann nicht schutzbedürftig ist, wenn er bei Vertragsschluss wissentlich ein Jahr nach Beginn der Pandemie ein bereits vom Auswärtigen Amt benanntes Risikogebiet bucht“. Werde dieses Ziel dann später zum Hochinzidenzgebiet hochgestuft, liegt kein unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstand vor. Die Möglichkeit einer Hochstufung ist für diese Kunden vorhersehbar und kein plötzliches, unvermeidbares Ereignis im Sinne des § 651h Abs. 3 BGB. Insoweit finde ich es ausgewogen, dass diese Reisenden die vereinbarte Stornoentschädigung zu zahlen haben und dass diese Praxis vor Gerichten große Chancen auf Bestand haben wird. Allerdings gilt auch in diesem Fall: „zwei Juristen drei Meinungen“.
Auszug aus dem Beitrag der FVW vom 28. 7.:
„ Zwei Juristen, drei Meinungen“
Unter Reiserechtlern ist die Einschätzung unklar. Eine Pauschalreise kann nach gängiger Rechtsauffassung vom Kunden kostenlos storniert werden, sofern „außergewöhnliche und unvermeidbare Umstände“ am Bestimmungsort vorliegen, die die Reise erschweren oder unmöglich machen. Eine Reisewarnung war bislang, etwa bei Anschlägen oder Naturkatastrophen und auch in der ersten Phase der Pandemie, ein hinreichender Grund. „Inwieweit Virusvarianten und Einreisebeschränkungen im zweiten Jahr der Pandemie noch als außergewöhnliche Umstände anzusehen sind, ist noch nicht höchstrichterlich entschieden“, schreibt das Europäische Verbraucherzentrum Deutschland.
Der bekannte Reiserechtswissenschaftler Ernst Führich, der nach eigenem Bekunden keine Storno-Mandanten gegen Veranstalter vertritt, ist der Auffassung, „dass ein Reisender dann nicht schutzbedürftig ist, wenn er bei Vertragsschluss wissentlich ein Jahr nach Beginn der Pandemie ein bereits vom Auswärtigen Amt benanntes Risikogebiet bucht.“ Werde dieses Ziel dann später zum Hochinzidenzgebiet hochgestuft, liege kein unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstand vor, so Führich zu fvw|TravelTalk. „Insoweit finde ich es ausgewogen, dass diese Reisenden die vereinbarte Storno-Entschädigung zu zahlen haben und erwarte, dass diese Praxis vor Gerichten große Chancen auf Bestand haben wird.“
Amtsgericht urteilte pro Veranstalter
Das Amtsgericht Leipzig hatte in einem Urteil vom 28. April 2021 in einem Verfahren eines Kunden, der bei LMX eine Reise nach Gran Canaria gebucht hatte, in der Tat so entschieden, wie Führich es sagt. Für Gran Canaria war vor Reiseantritt eine Reisewarnung erlassen worden. Das Amtsgericht erklärte in dem Fall explizit, dass dem Kläger die Umstände der weltweiten Corona-Pandemie zum Buchungszeitpunkt bekannt gewesen seien – inklusive der Möglichkeit des Eintritts einer Reisewarnung zum Reisezeitpunkt. Allerdings haben Urteile von Amtsgerichten keine allgemeingültige Aussagekraft.
Nach Ansicht des Reiserechtlers Paul Degott reicht es dagegen nicht, sich als Reiseveranstalter auf die bekannte Gefahr durch Corona zu berufen. „Pauschalurlauber haben eher gute Chancen, kostenlos von ihrer Reise zurücktreten zu können“, sagte er der dpa. Denn die Umstände hätten sich durch die Quarantänepflicht für nicht geimpfte mitreisende Kinder, die höheren Infektionszahlen in Spanien und verschärfte Maßnahmen der Behörden in Spanien geändert.
Alltours-Chef Verhuven kann auch deshalb relativ unabhängig über den Umgang mit der Reisewarnung entscheiden, weil er, anders als viele seiner Mitbewerber, in der Krise keine Hilfen des Wirtschaftsstabilisierungsfonds des Bundes oder Kredite der staatlichen KfW-Bank aufgenommen hat.
Umgang mit Reisewarnung sorgte 2013 für Streit
Im Sommer 2013 hatte der unterschiedliche Umgang von Veranstaltern mit einer Reisewarnung für Ägypten noch zu einem heftigen Streit innerhalb der Branche geführt. Damals hatten FTI, Schauinsland und ETI im Gegensatz zu anderen Veranstaltern Reisen nicht kostenfrei storniert. Aber die Umstände von damals, als es in Ägypten Unruhen gab, lassen sich mit der Pandemie nicht vergleichen.
Die meisten deutschen Urlauber bleiben in Spanien
Deshalb bieten alle Veranstalter auch jetzt weiter Spanien-Reisen an. Nach Angaben von Verhuven gibt es auch weiter viele Kurzfristbuchungen, da viele Reisende inzwischen geimpft sind. Die allermeisten Urlauber, die sich derzeit in Spanien aufhalten, wollen nach Angaben von TUI und anderen Veranstaltern auch nicht vorzeitig abreisen. Viele Kunden, die Flextarife gebucht hatten, haben allerdings schon Anfang Juli kostenlos storniert, nachdem die Neuinfektionen auf Mallorca und in ganz Spanien rasch gestiegen waren.“
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