Die Bundesregierung stoppt die Einreise aus Ländern, in denen sich mutierte Varianten des Coronavirus aus- gebreitet hat. Professor Dr. Ernst Führich, Experte des deutschen und europäischen Reiserechts, unterstützt diese Entscheidung. Er kritisiert, dass viele Veranstalter inzwischen trotz Reisewarnung Reisen in betroffene Länder durchführen. Das Interview erschien am 31.1.2021 in den Zeitungen der VRM Mediengruppe in Mainz.
Herr Professor Führich, warum fordern Sie ein Reiseverbot in Hochrisikoländer?
Seit Herbst letzten Jahres ist festzustellen, dass sich viele Reiseveranstalter bei Auslands- reisen wie auf die Kanaren oder Malediven nicht mehr an die bisher geübte Praxis halten, ihre Reisen kostenfrei bei einer Reisewarnung abzusagen, sondern trotz des Appells des Auswärtigen Amts diese Reisen durchführen. Nun hat das Ro- bert Koch-Institut erstmals Hochrisikoregionen benannt,
um das Einschleppen gerade der unberechenbaren Mutan- ten des Coronavirus abzumil- dern. Weil bloße Appelle in dieser gefährlichen Situation nicht helfen, sind daher meines Erachtens Reiseverbote un- ausweichlich, um Reiseunternehmen und Urlauber von Reisen in solche Gebiete wie Spanien, Portugal, Brasilien oder Südafrika abzuhalten. Da der Virus im Flugzeug oder im Zielgebiet grassiert und auch bisher nicht durch dortige Hygienemaßnahmen einge- schränkt werden konnte, geht meiner Meinung nach der Ge- sundheitsschutz vor der unbeschränkten Reisefreiheit in solche Hochrisikogebiete.
Sie sagen, Reisewarnungen seien zunehmend wirkungslos geworden.
Die bisher vom Auswärtigen Amt ausgesprochenen Reisewarnungen sind keine Reiseverbote. Sie sind nur ein dringender Appell an Reisende, Reisen in ein Land oder in eine Region zu unterlassen. Reisewarnungen sind damit keine behördlichen Reiseverbote, wie die bisherigen Beherbergungsverbote der Bundesländer für inländische Hotels und Ferien-wohnungen.
Sind Veranstalter denn nicht verpflichtet, bei einer Reisewarnung die betroffenen Reisen zu stornie- ren?
Als Reiserechtler bin ich bestürzt, dass Veranstalter ihre Reisen nicht absagen, obwohl das Pauschalreiserecht ausdrücklich eine Fürsorgepflicht für die Gesundheit der Reisen- den fordert. Die Gerichte und die Rechtswissenschaft waren sich bisher einig, dass bei einer Reisewarnung Reisen nicht mehr durchgeführt werden, um den Reisenden zu schützen. Jetzt geht gerade bei großen Reiseveranstaltern, die mit Millionen von Steuergeldern über Wasser gehalten werden, das Business vor!
Gegenwind kommt von touristischen Verbänden. Der Deutsche Reiseverband kritisiert die Stigmatisierung des Reisens.
Ein beschränktes Aus- und Einreiseverbot hat nichts mit Stigmatisierung zu tun. Es geht um das Leben und die Gesundheit unserer Bevölkerung. Der Gesetzgeber muss das Wohl und die Gesundheit der Bevölkerung im Auge haben und nicht nur das Wohl der Branche. Die Verbände haben ja auch nicht aufgeschrien, als der Gesetzgeber den Inlandstourismus im Herbst und Winter stark eingeschränkt hat. Es ist doch nicht einzusehen, dass Beherbergungsverbote den Inlandstourismus praktisch lahmlegen, die Bevölkerung aber durch touristische Reisen aus ausländischen Hochrisiko- gebieten nicht ausreichend geschützt wird. Im Gegensatz zum behördlichen inländischen Beherbergungsverbot werden Verstöße gegen amtliche Reisewarnungen bei Auslandsreisen vom Staat bisher geduldet und nur mit einer schwer zu überwachenden, laschen häuslichen Quarantäne nach der Rückreise belegt. Viel wirkungsvoller wäre eine Hotelquarantäne, welche Reisende auch selbst bezahlen sollten.
Sind die Reisebeschränkungen verfassungsrechtlich denn überhaupt möglich?
Die Reisebeschränkungen zur Aus- und Einreise sind nach meiner Meinung kein Verstoß gegen die Grundrechte der Handlungs- und Gewerbefreiheit. Die körperliche Unversehrtheit des Einzelnen bei einer Pandemie hat einen ebenso hohen Verfassungsrang. Da die Reiseverbote zeitlich beschränkt sind, sich auf einzelne Hochrisikogebiete beziehen und Ausnahmen zulassen, sind sie auch verhältnismäßig.
Das Interview führte Ute Strunk.
Quelle: Reisewarnung-Mainz