Art. 5 Abs. 3 VO ist dahin auszulegen, dass die Beschädigung des Reifens eines Flugzeugs durch einen Fremdkörper, wie einen umherliegenden Gegenstand, auf dem Rollfeld eines Flughafens unter den Begriff „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne dieser Bestimmung fällt.
Um sich von seiner Verpflichtung nach Art. 7 zu befreien, hat das Luftfahrtunternehmen, dessen Flug aufgrund eines solchen „außergewöhnlichen Umstands“ eine große Verspätung hat, jedoch nachzuweisen, dass es alle ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel eingesetzt hat, um zu vermeiden, dass der Austausch des Reifens, der durch einen Fremdkörper, wie einen umherliegenden Gegenstand, auf dem Rollfeld eines Flughafens beschädigt wurde, nicht zu dieser großen Verspätung des betreffenden Fluges führt.
EuGH, 4.4.2019, C-501/17 – Germanwings/Pauels
Dreieinhalb Stunden Verspätung, weil eine Schraube im Flugzeugreifen steckte: Steht den Passagieren dafür eine Entschädigung zu? Der Europäische Gerichtshof sieht darin einen außergewöhnlichen Umstand, so dass für eine Verspätung grundsätzlich keine Ausgleichszahlung fällig ist.
Der EuGH hat entschieden, dass eine Schraube, die auf der Start- oder Landebahn liegt und das Flugzeug beschädigt, einen außergewöhnlichen Umstand darstellt, der eine Fluggesellschaft dazu berechtigt, eine Entschädigungszahlung wegen Flugverspätung zu verweigern, wenn sie alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel eingesetzt hat, um die Flugverspätung zu begrenzen.
Ein Fluggast und Germanwings streiten vor Gericht darüber, ob wegen der Verspätung eines Germanwings-Flugs eine Ausgleichszahlung zu leisten ist. Herr P. buchte bei Germanwings einen Flug von Dublin (Irland) nach Düsseldorf (Deutschland). Dieser Flug wurde mit einer Ankunftsverspätung von drei Stunden und 28 Minuten durchgeführt. Germanwings lehnte eine Ausgleichszahlung mit der Begründung ab, dass die Flugverspätung auf die Beschädigung eines Flugzeugreifens durch eine Schraube auf der Start- oder Landebahn zurückzuführen sei, und damit einen Umstand, der als außergewöhnlich im Sinne der Fluggastrechteverordnung der Union (Verordnung (EG) Nr. 261/2004 – ABl. 2004, L 46, 1) zu qualifizieren sei und sie von ihrer in dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichspflicht befreie.
Das LG Köln, bei dem die Rechtssache anhängig ist, beschloss, dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, ob die Beschädigung eines Flugzeugreifens durch eine Schraube auf der Start- oder Landebahn (Beschädigung durch Fremdkörper/“Foreign object damage“, „FOD“) tatsächlich einen außergewöhnlichen Umstand darstellt.
Der EuGH hat entschieden, dass ein Luftfahrtunternehmen den Fluggästen für eine Verspätung von drei Stunden oder mehr im Fall einer Beschädigung eines Flugzeugreifens durch eine Schraube auf der Start- oder Landebahn eine Ausgleichszahlung nur dann zu leisten hat, wenn es nicht alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel eingesetzt hat, um die Flugverspätung zu begrenzen.
Nach Auffassung des EuGH ist ein Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet, den Passagieren Ausgleichszahlungen zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung des Fluges bzw. dessen um drei Stunden oder mehr verspätete Ankunft auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen ist, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, und es bei Eintritt solcher Umstände die der Situation angemessenen Maßnahmen ergriffen hat, indem es alle ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel eingesetzt hat, um zu vermeiden, dass es dadurch zur Annullierung oder zur großen Verspätung des betreffenden Fluges kommt, ohne dass jedoch von ihm angesichts seiner Kapazitäten zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht tragbare Opfer verlangt werden könnten.
Als außergewöhnliche Umstände im Sinne der Fluggastrechteverordnung könnten Vorkommnisse angesehen werden, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens seien und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar seien. Zwar seien Luftfahrtunternehmen regelmäßig mit Reifenschäden ihrer Flugzeuge konfrontiert, jedoch könne der Reifenschaden, der ausschließlich auf die Kollision mit einem Fremdkörper auf dem Rollfeld des Flughafens zurückzuführen sei, nicht seiner Natur oder Ursache nach als Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens angesehen werden. Im Übrigen sei dieser Umstand von diesem nicht tatsächlich beherrschbar. Er sei daher ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne der Fluggastrechteverordnung.
Um sich jedoch von seiner Ausgleichspflicht nach der Fluggastrechteverordnung zu befreien, habe das Luftfahrtunternehmen auch nachzuweisen, dass es alle ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel eingesetzt habe, um zu vermeiden, dass der Austausch des durch einen Fremdkörper auf dem Rollfeld eines Flughafens beschädigten Reifens zu dieser großen Verspätung des betreffenden Fluges führte. Insoweit hat der EuGH speziell zu Reifenschäden darauf hingewiesen, dass die Luftfahrtunternehmen auf allen von ihnen angeflogenen Flughäfen Verträge über den Reifenaustausch schließen könnten, die ihnen eine vorrangige Behandlung gewährleisteten.
juris-Redaktion
Quelle: Pressemitteilung des EuGH Nr. 45/2019 v. 04.04.2019