Reisevertrag / Flugverlegung /Zumutbarkeit / Selbstabhilfe
1. Einem Reisenden ist es nicht zumutbar, voraussetzungslos Abweichungen von dem vertraglich vereinbarten Zeitrahmen hinnehmen zu müssen auch wenn in den AGB Flugzeiten als unverbindlich bezeichnet werden
2. Die Abreise und die Rückkehr sind in zeitlicher und auch finanzieller Hinsicht nicht mehr sicher kalkulierbar, wenn der Reisende, der von einer Abflugzeit am Nachmittag ausgehen durfte, kurzfristig auf einen in die frühen Morgenstunden vorverlegten Flug verwiesen wird (Anschluss an BGH, 10. 12. 2013 – X ZR 24/14).
3. Eine Flugverlegung von mehr 4 Stunden ist keine bloße Unannehmlichkeit und stellt sich jedenfalls dann als nicht mehr als zumutbar dar, wenn der Reisende einen Flug um die Mittagszeit gebucht hatte, um den Schlafrhythmus des mitreisenden Kleinkindes nicht erheblich zu beeinträchtigen.
4. Die Unverhältnismäßigkeit des Aufwands bei einer lässt sich nicht damit begründen, dass im Falle eines Minderungsanspruchs nur ein geringer Betrag zu zahlen gewesen wäre und die Kosten eines Ersatzfluges den entsprechenden Minderungsbetrag um ein Vielfaches übersteigen.
LG Hannover, 27.4.2017 – 8 S 46/16
Entscheidungsgründe
I. Die Klägerin buchte für sich, ihren Lebensgefährten sowie das 21 Monate alte Kind bei der Beklagten am 14.03.2015 eine Flugpauschalreise vom 07.09.2015 bis zum 23.09.2015 nach Mallorca für insgesamt 3.166,- €. Für den Rückflug mit der A. von Palma de Mallorca nach Frankfurt war eine voraussichtliche Flugzeit von 13:40 Uhr bis 16:00 Uhr angegeben worden. Die Klägerin erhielt am 24.07.2015 davon Kenntnis, dass der Rückflug nach Frankfurt erst um 19:25 Uhr starten und um 21:55 Uhr landen solle. Sie forderte daraufhin die Beklagte mit Schreiben vom 29.07.2015 zur Abhilfe auf und wies daraufhin, dass sie bewusst die Buchung von Linienflügen um die Mittagszeit vorgenommen habe.
Nach Erhalt der Reiseunterlagen stellte die Klägerin außerdem fest, dass der Flug nicht von der A., sondern der T. durchgeführt werden solle . Mit anwaltlichem Schreiben vom 18.08.2015 forderte die Klägerin die Beklagte auf, vertragsgerechte Flugzeiten zu erbrin- gen und setzte eine Frist bis zum 21.08.2015. Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 21.08.2015, dass es ihr nicht stets gelinge, die ursprünglich vorgesehenen Flugzeiten einzuhalten. Daraufhin buchte die Klägerin für sich und ihre Familie für den Rückflug Ersatzfluüge bei der L. für eine Abflugzeit um 13:15 Uhr und begehrt die Erstattung der Kosten von 613,13 €. Da die Reisenden den Transfer der Beklagten nicht in Anspruch nehmen konnten, nahmen sie ein Taxi zum Flughafen für 83,50 €.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die einseitige Verschiebung des Rückfluges sei ein Reisemangel. Mit der Aufnahme des Vorbehaltes „voraussichtlich“ zur Flugzeit, lasse sich ein Recht zur einseitigen Verschiebung nicht begründen. Die Bestimmung der Flugzeiten als „voraussichtlich“ sei nicht wirksam . Die Klägerin hat bestritten, dass die Vergabe von Start.- und Landezeiten an den Flughäfen teilweise erst später stattfinde. Eine Überbu-chungssituation habe ebenfalls nicht vorgelegen. Es sei ihr mit einem Kleinkind nicht zuzumuten gewesen, erst nach einer erwArt.eten Ankunft in Frankfurt um 21.55 Uhr den Zug nach Bad Kreuznach zu nehmen, wo sie erst um 00:15 Uhr angekommen wäre.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, die vorliegende Änderung der Flugzeit um 5 Stunden und 45 Minuten habe sich noch im Rahmen des Zeitfensters gehalten, in dem Änderungen zulässig seien. Die Schwelle eines Reisemangels sei noch nicht überschritten. Gewisse Flug-zeitenänderungen seien von den Reisenden hinzunehmen. Sie hat behauptet, der ursprünglich vorgesehene Flug mit der Air Berlin habe wegen Überbuchung nicht erbracht werden können, sie habe sich deshalb sofort um Abhilfe in Form des späteren Rückfluges bemüht. Der Klägerin sei es zurnutbar gewesen, die Abhilfe anzunehmen .
Das Amtsgericht hat der Klage mit Urteil vom 24.05.2016 im Wesentlichen stattgegeben. Es hat einen Reisemangel bejaht und zur Begründung weiter ausgeführt, der Aufwendungsersatzanspruch nach § 651c Abs. 3 BGB sei nicht davon abhängig, dass die durch den Mangel verursachte Minderung einen bestimmten Prozentsatz des Gesamt-Reisepreises übersteige. (…).
Gegen das (…) Urteil hat die Beklagte (…) Berufung eingelegt (…).
Die Beklagte meint, es liege bereits kein Reisemangel vor, weil der Wert oder die Tauglichkeit der Reise insgesamt nicht wesentlich beeinträchtigt worden sei. Flugzeiten-änderungen seien als Unannehmlichkeit hinzunehmen, wenn diese nicht zu einer unzu-mutbaren Beeinträchtigung der Reise führten. Die Bewertung sei aus Sicht eines Durch- schnittsreisenden zu treffen. Eine Minderleistung sei mit der Flugverlegung nicht verbunden gewesen, da die Familie mehr Zeit am Urlaubsort hätte verbringen können. Das Amtsgericht habe nicht berücksichtigt, dass die Selbstabhilfe gemessen am Reisepreis unverhältnismäßig hohe Kosten ausgelöst habe. (…)
Die Klägerin (…) meint, die bloße Abweichung der Ist- von der Sollbeschaffenheit begründe bereits die Mangelhaftigkeit der Reiseleistung. Es handele sich auch nicht um eine bloße Unannehmlichkeit. Die Bekanntgabe eines Reisemangels vor Reiseantritt führe nicht zum Ausschluss einer Minderung. Eine Beschränkung des Selbstabhilferechts auf erhebliche Beeinträchtigungen lasse sich dem Wortlaut des § 651 c Abs. 3 BGB nicht entnehmen. (…)
II. Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für den im Rahmen der Selbstabhilfe gebuchten früheren Rückflug einschließlich der Taxikosten zu (§ 651c Abs. 3 BGB).
1. Die Verlegung der Flugzeit von 13:40 Uhr – 16:00 Uhr auf 19.25 Uhr – 21:55 Uhr in Zusammenhang mit der Umbuchung der Reisenden von einem Linienflug auf einen Charterflug stellt einen anspruchsauslösenden Reisemangel dar, der über eine bloße Unannehmlichkeit, die in Zeiten des Massentourismus hinzunehmen ist, hinausgeht.
Nach dem vereinbarten Reisevertrag durfte die Beklagte die Flugzeiten in einem gewissen Rahmen einseitig verändern. Die Beklagte hat bei Abschluss des Reisever-trages der Klägerin nicht verbindlich eine Flugzeit für den Rückflug zugesagt, sondern die Flugzeit von 13:40 Uhr – 16:00 Uhr laut Reisebestätigung vom 14.03.2015 lediglich als voraussichtliche Flugzeit in Aussicht gestellt. Die Charakterisierung der Abflugzeit als „voraussichtlich“ bringt dabei zum Ausdruck, dass die endgültige Abflugzeit in gewissem Umfang von der zunächst genannten abweichen kann. Insbesondere bei Reiseverträgen, die lange vor der vorgesehenen Reisezeit geschlossen werden, kann sich der Reiseveranstalter ein Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 Abs. 1 BGB ausbedingen, das ihm erlaubt, bei Vertragsschluss bestehenden Unwägbarkeiten hinsichtlich der zum Reisezeitpunkt möglichen Flugzeiten dadurch Rechnung zu tragen, dass er den Zeitpunkt der Abreise und der Rückreise erst zu einem späteren Zeitpunkt festlegt. Ein solches beschränktes Leistungsbestimmungsrecht kann dadurch vereinbart werden, dass im Reisevertrag eine voraussichtliche oder vorläufige Abflugzeit festgelegt wird. Mit der Qualifikation der Abflugzeit als „voraussichtlich“ wird zum Ausdruck gebracht, dass der Reiseveranstalter dazu berechtigt sein soll, die vertragliche Abflugzeit erst zu einem späteren Zeitpunkt endgültig zu fixieren und hierbei in gewissem Umfang von der vorläufigen Angabe abzuweichen (vgl. BGH, Urt. v. 10.12.2013 – X ZR 24/13, Rdnr. 19 – 21, RRa 2014, 132, juris).
Innerhalb welchen Zeitrahmens eine Flugzeitenveränderung noch als vertraglich vereinbarte Leistung anzusehen ist, ist in der Rechtsprechung nicht eindeutig geklärt. Nach der o. a. Entscheidung des Bundesgerichtshofes darf sie jedenfalls nicht so weit gehen, dass eine bei Vertragsschluss vereinbarte voraussichtliche Flugzeit die Funktion nicht mehr erfüllt, die geschuldete Leistungszeit zumindest annähernd anzugeben (Rn. 23). Dem Reisenden ist es nicht zumutbar, voraussetzungslos Abweichungen von dem vertraglich vereinbarten Zeitrahmen hinnehmen zu müssen. Reisende entscheiden sich regelmäßig bewusst für einen Flug zu einer bestimmten Tageszeit, da sie unter Umständen die Anreise zum und die Rückkehr vom Flughafen mit einer weiteren Übernachtung einplanen und wissen müssen, ob hierfür ein weiterer Urlaubstag aufzuwenden ist. Die Abreise und die Rückkehr sind in zeitlicher und auch finanzieller Hinsicht nicht mehr sicher kalkulierbar, wenn der Reisende, der etwa von einer Abflugzeit am Nachmittag ausgehen durfte, kurzfristig auf einen in die frühen Morgenstunden vorverlegten Flug verwiesen werden darf (BGH a. a. O.).
Vorliegend ist der Flug weder in die frühen Morgenstunden noch in den späten Abend ver-schoben worden. Die Urlaubszeit vor Ort wurde nicht eingeschränkt. Die Ankunftszeit in Frankfurt um 21:55 Uhr erforderte auch keine zusätzliche Übernachtung. Da die geänderten Zeiten frühzeitig bekannt gegeben worden sind, hätten die Reisenden die Weiterreise zum Heimatort am Abend entsprechend organisieren können. Allerdings wurde der Zeitrahmen von bis zu vier Stunden, der für eine zulässige einseitige Flugzeitenverschie-bung in Betracht kommt und der bei einem Pauschalreisevertrag im Falle einer Flugverspätung regelmäßig entschädigungslos hinzunehmen ist (vergl. Führich, Reiserecht, [7. Aufl.] § 9 Rn. 11 m. w. N., § 22 Rn. 8), geringfügig überschritten, da der Abflug um 5 Stunden und 45 Minuten verschoben worden ist. Zu berücksichtigen ist vorliegend zusätzlich, dass die Klägerin für sich und die Mitreisenden einen Linienflug um die Mittagszeit gebucht hatte, um den Schlafrhythmus des mitreisenden Kleinkindes nicht erheblich zu beeinträchtigen. Unter diesen Umständen erscheint die vorgenommene Änderung des Rückfluges und der Fluggesellschaft nicht mehr als zumutbar und stellt sich auch nicht mehr als bloße Unannehmlichkeit dar. Dabei ist es unerheblich, dass sich die zeitliche Verschiebung des Rückfluges nicht wesentlich auf die Gesamtleistung ausgewirkt hat, da auch Umstände, die sich auf eine Einzelleistung beziehen, eine Beeinträchtigung darstellen können.
2. Nach § 651c Abs . 3 BGB kann der Reisende grundsätzlich nach Ablauf einer vom Reisenden gesetzten angemessenen Frist selbst Abhilfe schaffen und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen .
a) Unstreitig war die Beklagte trotz Aufforderung nicht bereit, der Klägerin einen anderen Rückflug anzubieten . Der Schuldner kann jedoch nach § 275 Abs. 2 BGB die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht. Nach § 651c Abs. 2 BGB ist der Reiseveranstalter darüber hinaus berechtigt, die Abhilfe zu verweigern, wenn sie einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordert, d.h. wenn zwischen dem Aufwand zur Mängelbeseitigung und dem Gewicht des Reisemangels ein auffälliges Missverhältnis besteht (Führich a.a.O., § 7 Rn. 141). Der streitgegenständliche Reisemangel, der aus den oben ausgeführten Gründen zu bejahen ist, stellt sich nicht als besonders erheblich dar, weil die Klägerin ohnehin eine Verschiebung der Abflugzeit in einem gewissen Zeitrahmen akzeptieren musste. Andererseits hat die darlegungspflichtige Beklagte nicht dargelegt, dass eine Abhilfe für sie einen unverhältnismäßig hohen Aufwand erfordert hätte. Sie hat nicht vorgetragen, welche Kosten sie für eine Umbuchung auf einen früheren Flug hätte aufwenden müssen. Eine Unverhältnismäßigkeit des Aufwands lässt sich auch nicht damit begründen, dass im Falle eines Minderungsanspruchs nur ein geringer Betrag zu zahlen gewesen wäre und die Kosten des Ersatzfluges den entsprechenden Minderungsbetrag um ein Vielfaches übersteigen. Soweit das AG Köln (Urt. v. 14.03.2016 – 142 C 393/15) für die Frage nach der Angemessenheit einen Vergleich zwischen den Kosten der Selbstabhilfe und den bei unterlassener Selbstabhilfe für die Mängel zu gewährende Minderung für geboten hält, folgt die Kammer dieser Ansicht nicht.
b) Die geltend gemachten Aufwendungen waren aus Sicht eines verständigen Durchschnittsreisenden in der konkreten Situation erforderlich. Die Klägerin hat dargelegt, dass ein früherer Rückflug nur für den aufgewendeten Preis gebucht werden konnte. Die dafür aufgewendeten Kosten sind im Verhältnis zu dem gezahlten Gesamt-Reisepreis noch nicht überhöht.
Insgesamt steht der Klägerin danach ein Anspruch auf Erstattung der Flug- und Taxi-kosten in Höhe von 696,63 € nebst Verzugszinsen zu.
III. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision wird im Hinblick auf die abweichende Entscheidung des AG Köln (Urt. v. 14.03.2016 – 142 C 393/15) und die Fragen, in welchem Zeitfenster die Beklagte berechtigt ist, die in einer Reisebestätigung angegebenen voraussichtlichen Flugzeiten zu ändern und ob die Selbstabhilfe eine gewisse Erheblichkeit des Reisemangels voraussetzt, zugelassen.
Mitgeteilt von RA Holger Hopperdietzel, Wiesbaden