Ein Reisender hat Anspruch auf eine Minderung des Preises seiner Pauschalreise, wenn eine Vertragswidrigkeit der in seiner Pauschalreise zusammengefassten Reiseleistungen durch Einschränkungen bedingt ist, die an seinem Reiseziel zur Bekämpfung der Verbreitung einer Infektionskrankheit wie Covid-19 angeordnet wurden.

EuGH, 12.1.2023, C-396/21

Sachverhalt: Zwei Reisende hatten bei einem deutschen Reiseveranstalter eine zweiwöchige Pauschalreise nach Gran Canaria ab dem 13.3.2020 gebucht. Sie verlangen eine Preisminderung von 70 % aufgrund der am 15.3.2020 auf dieser Insel zur Bekämpfung der Verbreitung der Covid-19-Pandemie angeordneten Einschränkungen und ihrer vorzeitigen Rückkehr. Es wurden nämlich die Strände gesperrt und eine Ausgangssperre verhängt, so dass die Reisenden ihre Hotelzimmer nur zur Nahrungsaufnahme verlassen durften. Der Zugang zu Pools und Liegen wurde untersagt und das Animationsprogramm wurde eingestellt. Am 18.3.2020 wurde den beiden Reisenden mitgeteilt, dass sie sich bereithalten sollten, die Insel jederzeit zu verlassen, und am übernächsten Tag mussten sie nach Deutschland zurückkehren. 

Der Reiseveranstalter verweigerte ihnen diese Preisminderung mit der Begründung, er habe nicht für ein solches „allgemeines Lebensrisiko“ einzustehen. Die beiden Reisenden verklagten ihn daraufhin vor den deutschen Gerichten. 

Das Landgericht München I, bei dem der Rechtsstreit in zweiter Instanz anhängig ist, hat den Gerichtshof um Auslegung der Pauschalreiserichtlinie ersucht. Diese sieht vor, dass der Reisende Anspruch auf eine angemessene Preisminderung für jeden Zeitraum hat, in dem eine Vertragswidrigkeit vorlag, es sei denn, der Reiseveranstalter belegt, dass die Vertragswidrigkeit dem Reisenden zuzurechnen ist.

Hierzu führt der EuGH aus:

  • Ein Reisender hat Anspruch auf eine Minderung des Preises seiner Pauschalreise, wenn eine Vertragswidrigkeit der in seiner Pauschalreise zusammengefassten Reiseleistungen durch Einschränkungen bedingt ist, die an seinem Reiseziel zur Bekämpfung der Verbreitung einer Infektionskrankheit wie Covid-19 angeordnet wurden.
  • Die Ursache der Vertragswidrigkeit und insbesondere ihre Zurechenbarkeit zum Reiseveranstalter ist nämlich unerheblich, da die Richtlinie in Bezug auf den Anspruch auf Preisminderung eine verschuldensunabhängige Haftung des Reiseveranstalters vorsieht. Von dieser ist er nur befreit, wenn die Nichterbringung oder mangelhafte Erbringung der Reiseleistungen dem Reisenden zuzurechnen ist, was hier nicht der Fall ist. Dagegen ist unerheblich, dass Einschränkungen wie die in Rede stehenden aufgrund der weltweiten Verbreitung von Covid-19 auch am Wohnort des Reisenden sowie in anderen Ländern angeordnet wurden.
  • Damit die Preisminderung angemessen ist, muss sie anhand der in der betreffenden Pauschalreise zusammengefassten Leistungen beurteilt werden und dem Wert der Leistungen entsprechen, deren Vertragswidrigkeit festgestellt wurde.
  • Die sich aus dem Pauschalreisevertrag ergebenden Verpflichtungen des Veranstalters umfassen nicht nur diejenigen, die ausdrücklich im Vertrag vereinbart sind, sondern auch diejenigen, die damit zusammenhängen und sich aus dem Ziel dieses Vertrags ergeben. 
  • Es wird Sache des Landgerichts München I sein, auf der Grundlage der Leistungen, die der Reiseveranstalter vertragsgemäß zu erbringen hatte, zu beurteilen, ob insbesondere die Sperrung der Pools des Hotels, das Fehlen eines Animationsprogramms in diesem Hotel oder auch die Unmöglichkeit des Zugangs zu den Stränden von Gran Canaria und der Besichtigung dieser Insel infolge des Erlasses der Maßnahmen der spanischen Behörden eine Nichterbringung oder mangelhafte Erbringung der vertraglichen Leistungen durch den Reiseveranstalter darstellen konnten.
  • Nach Vornahme dieser Beurteilung hat die Minderung des Preises der Pauschalreise dem Wert der vertragswidrigen Reiseleistungen zu entsprechen.

Quelle: EuGH, Pressemitteilung Nr. 7/23 v. 12.1.2023 (RD)

Anmerkung ReiseVor9 ; Viel Kritik am EuGH-Urteil zur Veranstalter-Haftung

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit seinem jüngsten Corona-Urteil die Haftung von Reiseveranstaltern erweitert. Demnach spielt es für die Vertragswidrigkeit keine Rolle, wer diese verschuldet hat; ein Veranstalter haftet auch dann, wenn ein außergewöhnlicher Umstand wie eine Pandemie vorliegt. Daran hagelt es aus der Reisebranche Kritik.

Selbst Boulevard-Medien wie die BZschrieben von einem „Hammer-Urteil“. „Geld zurück, wenn Corona den Urlaub verdirbt“, titelte das Blatt. Vom DRV kam eine schnelle Reaktion: „Die deutsche Reisewirtschaft hält die Entscheidung für nicht sachgerecht, sondern für lebensfremd. In der Ausnahmesituation einer Pandemie können allgemeine Lebensrisiken nicht weitgehend an Reiseanbieter ausgelagert werden“, heißt es in einer Stellungnahme.

Kein „allgemeines Lebensrisiko“

Der jurist Hans-Josef Vogel sagte dem Fachportal FVW, in dem Urteil drücke sich „eine klare Absage an den oft bemühten Begriff des ‚allgemeinen Lebensrisikos‘ als haftungsbegrenzender Umstand“ aus. Ansprüche des Reisenden seien damit, sofern es nicht um Schadensersatz gehe, unabhängig von einem Verschulden des Reiseveranstalters. 

Auch wenn weder Fahrlässigkeit noch Vorsatz wegen des Mangels vorlägen, hafte der Anbieter und müsse sich damit eine Minderung des Reisepreises. Dies gelte auch bei „unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umständen“.

Strände gesperrt und frühere Rückreise

In dem konkreten Fall hatten Urlauber gegen FTI auf eine Rückerstattung geklagt, die eine zweiwöchige Pauschalreise im März 2020 nach Gran Canaria gebucht hatten. Am 15. März, zwei Tage nach ihrer Ankunft, wurden auf den Kanaren die Corona-Regeln verschärft. Die Behörden sperrten die Strände, der Zugang zu Liegen und Pools wurde verboten, das Animationsprogramm eingestellt und es galt eine Ausgangssperre.

Die Urlauber durften ihr Zimmer nur noch für die Mahlzeiten verlassen. Am 18. März wurde den Reisenden mitgeteilt, dass sie sich bereithalten sollten, die Insel jederzeit zu verlassen, am übernächsten Tag mussten sie nach Deutschland zurückkehren.