Eine Familie klagt gegen den Münchner Flughafen, weil sie wegen der Schlange beim Sicherheits-Check ihren Flug verpasst – und erhält recht. Prof. Führich sagt, mit dem Urteil habe das Gericht juristisches Neuland betreten.

AG Erding, Endurteil vom 23.08.2016 – 8 C 1143/16, NJW 2017, 1123

Entscheidung in Anmerkung_Fuehrich NJW 2017, 1123 AG Erding

Artikel in Süddeutsche Zeitung vom 9.7.2017

Anmerkung Führich in: NJW 2017, 1124

Mit dieser Entscheidung des AG Erding wird in einem wichtigen Praxisfall juristisches Neuland betreten. Ein Fluggast klagt gegen den Flugplatzbetreiber, weil er nach seinem rechtzeitigen Einchecken wegen der Schlange bei der Sicherheitskontrolle seinen Flug verpasst hat und obsiegt im Grundsatz.

Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass der Fluggast mit dem Flugplatzbetreiber als Infrastrukturunternehmen keine vertraglichen Beziehungen hat. Bei der Buchung eines Fluges bei einem Luftfahrtunternehmen schließt der Fluggast bei Geltung deutschen Rechts nur mit dieser Airline einen Luftbeförderungsvertrag als Werkvertrag ab (BGH, NJW 2010, 1958; BGH, NJW 2009, 2743).

Durch die Liberalisierung der Bodenverkehrsdienste durch die Richtlinie 96/67/EG, die in Deutschland durch die Bodenabfertigungsdienst-Verordnung (BADV) umgesetzt wurde, sind die Pflichten des Flugplatzbetreibers für den sicheren Flugbetrieb einschließlich ausreichender Bodenabfertigungsdienste und Vorfelddienste luftverkehrsrechtlich in §§ 19c, 29 LuftVG und § 45 LuftVZO sowie § 8 LuftsicherheitsG geregelt (Vgl. Führich, Reiserecht, 7. Aufl. 2015, § 35 Rn. 19; Führich, Flughafenbetreiber als Erfüllungsgehilfe des Luftfahrtunternehmens, RRa 2012, 166, 169 m. Bespr. BGH, NZV 2012, 226; Führich in: LMK 2012, 331720). Die an sich staatliche Aufgabe der Sicherheitskontrolle wird in der Praxis auf private Dienstleister des Bodenabfertigungsvertrages übertragen, der zwischen dem Flughafenbetreiber, hier der Flughafen München GmbH, und den jeweiligen landeberechtigten Luftverkehrsunternehmen abgeschlossen wird.

Zu Recht hat das Gericht diesen Bodenabfertigungsvertrag als Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, also zugunsten der Fluggäste des gebuchten Fluges analog § 328 BGB qualifiziert. Der Flughafen ist nicht nur verpflichtet, die Abwicklung des Abflugs effektiv sicherzustellen, sondern auch die Sicherheitskontrolle. Deren effektive Organisation umfasst insbesondere den Wartebereich vor den Kontrollen, für den der beklagte Flughafenbetreiber in diesem Fall unstreitig zuständig war. Dieser muss sicherstellen, dass der Fluggast zügig innerhalb einer bestimmten Zeit die Kontrolle passieren kann, notfalls durch Öffnen derjenigen Schleusen, welche nur für bestimmte Beförderungsklassen wie First Class oder Business Class zur Verfügung stehen. Der Fluggast kann damit in den vertraglichen Schutz des Bodenabfertigungsvertrages einbezogen werden, da dies den Interessen der Airline entspricht. Diese hat ein Interesse daran, dass der rechtzeitig eingecheckte Fluggast auch rechtzeitig am Gate zum Abflug erscheint. Zutreffend hat das Gericht die nach ständiger Rechtsprechung notwendigen Voraussetzungen der Einbeziehung des Fluggastes mit seiner Leistungsnähe, dem Schutzinteresse des Luftfahrtunternehmens, der Schutzpflicht des Flughafenbetreibers und der Schutzbedürftigkeit des Fluggastes angenommen, da dieser keine eigenen, direkten gleichwertigen Ansprüche gegen den Flughafenbetreiber als Schuldner des Bodenabfertigungsvertrages hat (vgl. Führich, Wirtschaftsprivatrecht, 12. Aufl. 2015, Rn. 402).

Prof. Dr. Ernst Führich, Kempten (Allgäu)