Gastkommentar zur Pauschalreise-Richtlinie in fvw 23.08.2016

Führich: Reisebüros droht der Ruin

Der Protest der Verbände gegen den Referentenentwurf zur Pauschalreise-Richtlinie versetzt die Touristik zu Recht in Aufruhr, schreibt Prof. Dr. Ernst Führich. Der Experte für Reiserecht sieht große Gefahren für kleine Reisebüros.

Der Protest der Verbände gegen den Referentenentwurf des Berliner Justizministeriums versetzte die Touristikbranche zu Recht in Aufruhr. Es besteht die Gefahr, dass der stationäre Vertrieb der große Verlierer der Reform wird, wenn der stationäre und der digitale Vertrieb gleichgestellt werden.

Bisher ist man Reiseveranstalter, wenn versprochen wird, die Gesamtheit von mindestens zwei Reiseleistungen „in eigener Verantwortung“ zu erbringen. Das neue Recht verzichtet auf dieses subjektive Merkmal und grenzt für die Definition einer Pauschalreise nur auf technische Buchungsvorgänge ab.

Eine Pauschalreise soll jetzt jede Gesamtheit von mindestens zwei verschiedenen Arten von Reiseleistungen für den Zweck derselben Reise sein, wenn die von der Richtlinie vorgegebenen alternativen Buchungsvorgänge objektiv als Fallgruppen vorliegen. Eine Fallgruppe ist die „Click-Through-Buchung“ mit einer Weiterleitung des Reisenden in einem Online-Buchungsverfahren durch Links zur Datenübermittlung binnen 24 Stunden. Eine Haftung als Veranstalter kann nur vermieden werden, wenn die Kundendaten nicht vollständig übertragen werden oder der zweite Vertrag später als 24 Stunden nach dem ersten Vertrag geschlossen wird.

Auch die bloße Vermittlung verbundener Reiseleistungen ist unklar. Reisebüros rutschen bei Buchungsfehlern in die Veranstalter-Falle, denn auch bei diesem neuen Reisetyp werden Personendaten zielgerichtet binnen 24 Stunden verlinkt. Obwohl Reisebüros weder personell noch professionell die notwendige Kompetenz zur Organisation und Durchführung von Pauschalreisen verfügen, haften sie dem Kunden dann für die ordnungsgemäße Erbringung der Reiseleistungen.

Fehlende Liquidität wird kleinen Reisebüros schwer zu schaffen machen

Diese Haftung kann nur durch in der Praxis unrealistische getrennte Buchungen der Einzelleistungen und ständiger Klarstellungen durch hohen bürokratischen Aufwand vermieden werden. Hohe Kosten, nur um einen Basisschutz durch eine Information des Kunden zu erreichen, er habe nicht den Vollschutz einer Pauschalreise. Die bei verbundenen Reiseleistungen notwendige Insolvenzsicherung vereinnahmter Kundengelder kann zudem durch das Direktinkasso umgangen werden.

Diese fehlende Liquidität wird kleinen Reisebüros schwer zu schaffen machen. Demgegenüber können Online-Vermittler und große Reiseveranstalter die neuen Regelungen mühelos beherrschen und werden die Reisebüros mit ihrer bisher hervorragenden Beratungsleistung vom Markt verdrängen.

Schuld an dem aufziehenden Unheil hat die Vollharmonisierung. Diese lässt den EU-Staaten keinen eigenen größeren Spielraum. Das Pauschalreiserecht rückt vom Mindeststandardprinzip ab und führt das Prinzip der Vollharmonisierung ein. Berlin darf nicht mehr und nicht weniger Verbraucherschutz einführen und muss überschießende Vorschriften, die bisher für den Reisenden und den Reiseveranstalter oft besser waren, abbauen und zurückführen auf den neuen, in manchen Fällen geringeren Standard der Richtlinie. Das führt zu einer Verschlechterung der Rechtspositionen der Verbraucher, aber auch der Reiseunternehmen.

Wenn Politiker nun so tun, als wüssten Sie das nicht, dann ist das unredlich. Diese Bundesregierung hat der Brüsseler Richtlinie ausdrücklich zugestimmt. Österreich hat die bürokratische Richtlinie abgelehnt, unter anderem weil sie den Hotelier zum Reiseveranstalter macht, wenn er mit der Übernachtung noch eine weitere Leistung mit einem Gesamtwert von 25 Prozent kombiniert.

Dieser Übergang von der Mindest- zur Vollharmonisierung führt zu einem zielgerichteten Abbau von vielen Eckpfeilern des deutschen Reiserechts und Rechtsniveaus wie bei Preiserhöhungen, höherer Gewalt, Wegfall der Ausschlussfrist und zweijähriger Verjährung und Haftung beim Schadenersatz ohne Fahrlässigkeitsvorwurf!

Prof. Dr. Ernst Führich ist Richter a.D. und Professor für Bürgerliches Recht und Reiserecht. Er wurde vom Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz als Sachverständiger zum Umsetzungsgesetz berufen. Dieser Gastkommentar ist in der fvw 17 vom 19.8.2016 erschienen.