Nicht in jedem Fall müssen Reiseveranstalter Stornoentschädigung zurückzahlen, wenn Kunden wegen Corona-Beschränkungen ihre Reise storniert haben. Denn spätestens 2021 seien wechselhafte pandemiebedingte Maßnahmen vorhersehbar gewesen. Die kostenfreie Stornierung einer Reise zu Corona-Zeiten ist nicht immer rechtmäßig.
LG Koblenz Urt. v. 11.1.2023 – 3 O 140/22, BeckRS 2023, 41863
Ein erstes Urteil, das sich der bisherigen herrschenden Meinung widersetzte, hatte bereits das Amtsgericht München im vergangenen Jahr gefällt: Ein kostenfreier Reiserücktritt wegen Corona ist nicht immer möglich. Kunden, die auf Rückerstattung des Geldes klagten, weil sie wegen staatlicher Corona-Reisewarnungen den Trip storniert hatten, verloren den Prozess.
Nun hat sich auch das höherinstanzliche Landgericht Koblenz dieser Auffassung angeschlossen. Zumindest in solchen Fällen nicht, in denen die Reisen bereits nach Ausbruch der Pandemie gebucht wurden. Das kommentiert Rechtsanwalt Professor Hans-Jochen Vogel von der Kanzlei Advant Beiten in einem Beitrag in der Fachzeitschrift FVW so:
„Das LG Koblenz führt zur Begründung aus, es komme für Buchungen nach Ausbruch der Corona-Pandemie auf den Einzelfall an. Wenn unter Berücksichtigung aller Umstände ein durchschnittlich informierter und verantwortungsbewusster Reisender davon ausgehen musste, dass bei der gebuchten Reise weiterhin mit Beeinträchtigungen zu rechnen sein muss, dann sei ein kostenfreier Rücktritt nicht möglich.
Es komme auch nicht darauf an, ob der Reisende die korrekten Maßnahmen der Behörden habe vorhersehen können oder nicht. Maßgeblich sei, ob die Auswirkungen der Pandemie auf die beabsichtigte Reise erst nach Vertragsschluss für den Reisenden erkennbar wurden oder ob diese schon im Zeitpunkt der Buchung ernsthaft in Betracht gezogen werden mussten.
Im Klartext heißt dies: Wenn sich ein Urlauber bei der Buchung für eine Reise entscheidet, bei der pandemiebedingte Beeinträchtigungen als naheliegendes Risiko ernsthaft in Betracht gezogen werden müssen, dann kann er nicht mehr kostenfrei zurücktreten.
Dies zumindest ist für Buchungen vom Jahre 2021 an anzunehmen. Trotzdem lassen die Richter für bestroffene Kunden eine Hintertür offen: Gehen die Corona-Beschränkungen oder Ansteckungsrisiken nämlich über das Maß hinaus, mit dem die Parteien rechnen konnten, dann kann eine kostenfreie Stornierung doch angemessen sein.
Das Urteil hat aber zwei weitere Konsequenzen für Reiseveranstalter:
Erstens: Auch der Veranstalter kann die Reise nicht einfach mit Hinweis auf die Pandemie absagen – dies gilt nur dann, wenn er durch unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände an der Durchführung der Reise gehindert ist.
Zweitens: Der Reiseveranstalter haftet für die Qualität der Reise. Auch wenn er dem Kunden das kostenfreie Storno verwehren kann, so muss er doch bei relevanten pandemiebedingten Einschränkungen seiner vertraglichen Reiseleistungen mögliche Ansprüche auf Minderung des Reisepreises akzeptieren.
Festzuhalten bliebt also: Für Buchungen, die bereits unter dem Eindruck der Pandemie vorgenommen wurden, ist nicht einfach ein kostenloses Storno möglich, ’nur‘ weil es entsprechende staatliche Reisewarnungen gab oder weil die Inzidenzen im Winter 2021/2022 stiegen.“
Anm. Führich: Das Urteil folgt in weiten Teilen meinen Ausführungen in einem kürzlich in NJW 2022, 1641 veröffentlichten Beitrag.
So führt das LG Koblenz aus, dass „die Corona-Pandemie grundsätzlich ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des 651h BGB, der dazu geeignet ist, die Durchführung einer Pauschalreise erheblich zu beeinflussen. Dies gilt jedenfalls für Buchungen vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie uneingeschränkt (vgl. BGH Urteil vom 30.08.2022 – X ZR 66/21, NJW 2022, 3707und zur entsprechenden Einordnung der Covid-19-Pandemie: BeckOGK/Harke, 01.07.2022, BGB § 651h Rn. 49.1; BeckOK BGB/Geib, 62. Ed. 01.05.2022, BGB § 651hRn. 21; Grüneberg/Retzlaff, 82. Aufl. 2023, BGB § 651h Rn. 13; Führich NJW 2020, 2137; Führich NJW 2022, 1641). Mithin ist für Vertragsschlüsse bis zum Ausruf der Pandemie durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 11.03.2020 grundsätzlich von einem außergewöhnlichen Umstand im Sinne des § 651h Abs. 3 Satz 2 BGB auszugehen.
Dagegen können die Folgen der Corona-Pandemie für Vertragsschlüsse nach dieser zeitlichen Zäsur nicht mehr ohne weiteres als unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände angesehen werden.
Zwar lässt sich weder dem Wortlaut des Art. 12 der Pauschalreise-RL noch § 651h Abs. 3 BGB entnehmen wann die außergewöhnlichen Umstände auftreten müssen. Jedoch sind die Folgen einer Pandemie, welche beiden Parteien bereits umfassend bekannt sind, schwerlich als außergewöhnliche Umstände im Sinne der Richtlinie einzuordnen und mithin nicht mehr von dem Schutzzweck der Richtlinie umfasst (vgl. Führich in NJW 2022, 1641 Rn. 17 ff.).
Folglich ist für Vertragsschlüsse nach Ausbruch der COVID-19-Pandemie im Einzelfall unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände insbesondere des Zeitpunkts der Reisebuchung darauf abzustellen, ob durchschnittlich informierte und verantwortungsbewusste Reisende und Reiseveranstalter bei entsprechend zumutbaren Bemühungen zu dieser Zeit davon ausgehen mussten, dass auch bei der beabsichtigten Reise weiterhin mit Beeinträchtigungen sowie wechselnden Maßnahmen zur Eindämmung des wellenförmigen Pandemieverlaufs zu rechnen ist, wobei die konkreten Maßnahmen der Behörden nicht vorhersehbar sein müssen (vgl. etwa NJW 2022, 1641 Rn. 26, beck-online; AG München Endurteil vom 11.07.2022 – 159 C 2718/22, BeckRS 2022, 33531 Rn. 21, beck-online). Denn es muss sich bei außergewöhnliche Umstände im Sinne des § 651hBGB um solche handeln, die erst nach der Buchung auftreten. Maßgeblich kommt es bei der Einordnung im Zusammenhang mit etwaigen Reisebeeinträchtigungen infolge der Corona-Pandemie daher darauf an, ob die Auswirkungen der Pandemie auf die beabsichtigte Reise erst nach Vertragsschluss für den Reisenden erkennbar werden und schon im Zeitpunkt der Buchung ernsthaft in Betracht gezogen werden mussten (vgl. etwa Grüneberg/Retzlaff, 82. Aufl. 2023, BGB § 651h Rn. 10; Führich in NJW 2022, 1641).“

