OLG Köln, Urt. v. 25.08.2021 – 16 U 169/20

Amtlicher Leitsatz:

Ob der Reisende beim Tod eines nahen Angehörigen den Reisevertrag nach Antritt der Reise aus wichtigem Grund nach § 314 BGB kündigen kann, ist für den Vergütungsanspruch des Reiseveranstalters ohne Belang. Bricht der Reisende die Reise aus Gründen ab, die – wie der Tod eines nahen Angehörigen – nicht in die Sphäre des Reiseveranstalters, sondern in seine eigene Sphäre fallen, so behält der Reiseveranstalter in jedem Falle den Anspruch auf die volle Vergütung, muss sich jedoch ersparte Aufwendungen anrechnen lassen. Das ist aus § 648 BGB oder aber aus § 326 Abs. 2 BGB herzuleiten, was auf dasselbe Ergebnis hinausläuft. Da der Reisende durch den Abbruch der Reise dem Reiseveranstalter die Erbringung der weiteren Reiseleistung unmöglich macht, findet in den Fällen, in denen der Grund der Sphäre des Reisenden entstammt, § 326 Abs. 2 BGB selbst dann Anwendung, wenn man ein Kündigungsrecht des Reisenden nach § 314 BGB verneint.

Aus den Gründen:
I.
1Der Kläger buchte für die Zeit vom 25.02. bis 24.04.2018 für sich und seine Ehefrau bei der Beklagten eine Flug-Pauschalreise via Singapur nach Neuseeland und sodann via Sydney (Australien) und Singapur wieder zurück nach Deutschland. Neben Flügen und Übernachtungen waren auch Mietwagen Bestandteil des Reisepakets. Der Reisepreis für 2 Personen in Höhe von 11.590,00 € war vor Reiseantritt bezahlt worden.
2Der Kläger und seine Ehefrau traten die Reise am 25.02.2018 an und flogen wie vorgesehen nach Singapur. Drei Tage nach Reisebeginn brachen der Kläger und seine Ehefrau die Reise ab, nachdem die Mutter des Klägers in der Zwischenzeit verstorben war. Die Beklagte gewährte dem Kläger und seiner Ehefrau eine Gutschrift von 1.218,28 € auf den gezahlten Reisepreis, weitergehende Erstattungen lehnte die Beklagte ab. Die Beklagte erreichte nach Rückfrage bei einzelnen Leistungsträgern, dass Kosten von Leistungsträgern in Höhe von jedenfalls 3.899,88 € nicht in Rechnung gestellt werden, und zwar für den Mietwagen in Neuseeland Kosten in Höhe von 3.041,28 €, für die Übernachtungen im Hotel A in Höhe von 336,00 € und für die Übernachtungen in Sydney in Höhe von 522,60 €. Die Entstehung weiterer Einsparungen ist zwischen den Parteien streitig.
3Mit der vorliegenden Klage nimmt der Kläger die Beklagte – auch aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau – auf Rückzahlung des nach Abzug der Gutschrift verbleibenden Reisepreises (10.431,00 €) in Anspruch.
4Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte zur Rückzahlung des Reisepreises in Höhe von 5.800,60 € nebst Zinsen an den Kläger verurteilt; die weitergehende Klage hat es abgewiesen.
5Zur Begründung hat es ausgeführt, eine Stornierung sei zwar nicht erfolgt. Dem Kläger und seiner Ehefrau hätte aber ein Recht zur Kündigung des Reisevertrages aus wichtigem Grund zugestanden. Ein solch wichtiger Grund sei nicht nur beim Tod eines Mitreisenden – wie vom LG Frankfurt (in: NJW 1991, 498) entschieden – anzunehmen, sondern auch beim Tod eines Elternteils. In entsprechender Anwendung des Werkvertragsrechts (§ 649 Satz 2 a.F. BGB) sei die vereinbarte Vergütung abzüglich der vom Reiseveranstalter ersparten Aufwendungen geschuldet. Neben den von der Beklagten eingeräumten Einsparungen sei von weiteren 3.059,72 € auszugehen. Von den insgesamt festzustellenden Einsparungen von 7.018,88 € verbleibe nach Abzug der eingeräumten Gutschrift von 1.218,28 € ein zu erstattender Reisepreis von (7.018,88 € – 1.218,28 € =) 5.800,60 €.
6Mit der Berufung erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.
7Die Beklagte macht im Wesentlichen geltend, dem Kläger und seiner Ehefrau habe kein Recht zur fristlosen Kündigung des Reisevertrages zugestanden. Ein Rückgriff auf § 314 BGB sei nicht möglich. Nach Reiseantritt sei eine Kündigung nur mit Mängeln der Reise begründbar; solche würden aber nicht geltend gemacht. Auch § 649 BGB a.F. sei nicht entsprechend anwendbar; jedenfalls seien nach dieser Vorschrift anzurechnende Ersparnisse von der Klägerseite darzulegen, woran es fehle.
8Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe der Berufungserwiderung.
9Er erhebt Anschlussberufung hinsichtlich des abgewiesenen Teils der Klageforderung.
10Die Beklagte tritt der Anschlussberufung entgegen.
II.
11Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg; das weitergehende Rechtsmittel sowie die Anschlussberufung sind unbegründet.
12Der Kläger kann von der Beklagten aus eigenem und abgetretenem Recht seiner Ehefrau (§ 398 BGB) eine Rückerstattung des Reisepreises in Höhe von 5.018,88 € beanspruchen. Nach Abzug vorprozessual gutgeschriebener 1.218,28 € ergibt sich ein noch zuzuerkennender Erstattungsanspruch von 3.800,60 €. Auf diesen Betrag war die vom Landgericht ausgesprochene Verurteilung in der Hauptsache abzuändern.
131. Der Reisevertrag ist durch die in der vorzeitigen Rückreise liegende Kündigung seitens des Klägers und seiner Ehefrau vorzeitig beendet worden mit der Folge, dass den Reisenden gegen die Beklagte als Reiseverantalter ein Rückerstattungsanspruch dem Grunde nach zusteht. Dieser umfasst aber nicht die Erstattung des gesamten Reisepreises, sonder nur auf die der ersparten Aufwendungen.
14a) § 651 i Abs. 1 BGB a.F. (= § 651 h BGB n.F.) findet keine Anwendung auf Rücktrittserklärungen nach Reiseantritt. Eine entsprechende Anwendung auf einen Reiserücktritt nach Reisebeginn ist nicht möglich (LG Frankfurt NJW 1991, 498; Tonner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 651 h Rn. 10; Geib, in: BeckOK BGB, Hau/Poseck, 59. Edition, Stand 1.8.2021, § 651 h Rn. 2; Staudinger in: Führich/Staudinger, Reiserecht, 8. Aufl., § 16 Rn. 5).
15b) Ein Reisemangel wird nicht behauptet, so dass eine Anwendung von § 651 e Abs. 3 BGB in der bis zum 30.06.2018 geltenden Fassung (BGB a.F.= § 651 l Abs. 3 BGB n.F.) ebenfalls von vornherein ausscheidet.
16c) Ob der Kläger sein Begehren auf vollständige Rückerstattung des Reisepreises auf die Vorschrift des § 314 BGB stützen kann, nach der ein Dauerschuldverhältnis aus wichtigem Grund gekündigt werden kann, kann letztlich offenbleiben.
17Wird die Reise aus erheblichen Gründen, die in der Sphäre des Reisenden liegen, nicht mehr ausführbar, besteht nach verbreiteter Auffassung für den Reisenden die Möglichkeit, den Reisevertrag aus wichtigem Grund zu kündigen. Diese Voraussetzungen sind von der Rechtsprechung angenommen worden im Falle einer Erkrankung des Reisenden oder des Todes eines Mitreisenden. Das Kündigungsrecht soll dem Reisenden auch nach Antritt der Reise zustehen (vgl. LG Frankfurt NJW 1991, 498 f.; Klingberg, in: beck-online Großkommentar zum BGB, Stand: 01.08.2021, § 651 l Rn. 16; Geib, in: BeckOK BGB, Hau/Poseck, 59. Edition, Stand 1.8.2021, § 651 l Rn. 2; Palandt/Sprau, BGB, 80. Aufl., § 651 h Rn. 2; Führich, Reiserecht, 7. Aufl., § 10 Rn. 7; ablehnend Staudinger in: Führich/Staudinger, Reiserecht, 8. Aufl., § 16 Rn. 2; Staudinger/Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2016, § 651 e Rn. 7 und § 651 i Rn. 11).
18Ob eine solche Kündigungsmöglichkeit überhaupt anzuerkennen ist, kann ebenso dahinstehen wie die Frage, ob der Tod eines nicht mitreisenden nahen Angehörigen ein solcher wichtiger Grund wäre, wie das Landgericht angenommen hat: Bricht der Reisende die Reise aus Gründen ab, die – wie der Tode eines nahen Angehörigen – nicht in die Sphäre des Reiseveranstalters, sondern in seine eigene Sphäre fallen, so behält der Reiseveranstalter den Anspruch auf die volle Vergütung, muß sich jedoch ersparte Aufwendungen anrechnen lassen. Das wird aus § 648 BGB (= § 649 BGB a.F.; OLG Köln RRa 2001, 3, 4; LG Frankfurt NJW 1991, 498; AG Bad Homburg RRa 1999, 9, 10; Staudinger/Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2016, § 651 i Rn. 11; Tonner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 651 h Rn. 10; Staudinger/Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2016, § 651 e Rn. 7 und § 651 i Rn. 11; Palandt/Sprau, BGB. 80. Aufl., § 651 h Rn. 3) oder aber aus § 326 Abs. 2 BGB hergeleitet (vgl. Führich, Reiserecht, 7. Aufl., § 10 Rn. 7; Harke, in: beck-online Großkommentar zum BGB, Stand: 01.08.2021, § 651 h Rn. 17; Geib, in: BeckOK BGB, Hau/Poseck, 59. Edition, Stand: 01.08.2021, § 651 h Rn. 2), was auf dasselbe Ergebnis hinausläuft. Da der Reisende durch den Abbruch der Reise dem Reiseveranstalter die Erbringung der weiteren Reiseleistung unmöglich macht, findet in den Fällen, in denen der Grund der Sphäre des Reisenden entstammt, § 326 Abs. 2 BGB selbst dann Anwendung, wenn man ein Kündigungsrecht des Reisenden nach § 314 BGB verneint (vgl. Harke, in: beck-online Großkommentar zum BGB, Stand: 01.08.2021, § 651 h Rn. 17).
19d) Die Beklagte hat aufgrund der vorzeitigen Beendigung des Reisevertrages eine Reihe von Aufwendungen ersparen und entsprechende Gutschriften von eingeschalteten Leistungserbringern erreichen können.
20Dabei handelt es sich nach den Feststellungen des Landgerichts um folgende der Beklagten erstattete Aufwendungs-Positionen:
(1) Mietwagenkosten: 3.041,28 €
(2) Unterbringung Hotel A: 336,00 €
(3) Übernachtung Sydney: 522,60 €
(4) Erstattete Steuern: 59,28 €
(5) Anteilige Bahnfahrtkosten: 61,00 €
(6) Mietwagen-Nebenkosten, Fährkosten, Versicherung, Übernachtung in B: 998,72 €
Zusammen: 5.018,88 €
21Die Positionen (1) bis (4) waren bereits in erster Instanz unstreitig.
22Die vom Landgericht festgestellten weiteren – nicht unstreitig gewesenen – Positionen (5) und (6) sind nicht Gegenstand von Berufungsangriffen.
23Soweit das Landgericht weiter Flugkosten in geschätzter Höhe von 2.000,00 € als erstattet berücksichtigt hat, kann dem nicht gefolgt werden, so dass die Berufung der Beklagten insoweit Erfolg hat.
24Zu den Flugkosten hat die Beklagte geltend gemacht, dass eine irgendwie geartete Erstattung des gesamten bzw. von Teilen des Flugpreises nach den Vertragsbedingungen mit der Fluggesellschaft nicht vorgesehen und an sie auch nicht erfolgt sei. Dazu hatte die Beklagte bereits in erster Instanz ausreichend vorgetragen (Schriftsatz vom 19.2.2020 Seiten 4-5 – GA 64/65). Mit der Berufungsbegründung hat die Beklagte ein Email-Schreiben der Singapore Airlines Ltd. vom 03.11.2020 vorgelegt (GA 141), das bestätigt, dass eine Erstattung der Flugkosten für den ungenutzten Teil eines einheitlichen gebuchten Fluges tarifgemäß ausgeschlossen sei. Nach dem Inhalt der Email ist davon auszugehen, dass die Tarifbestimmungen Inhalt des zwischen der Beklagten und der Fluggesellschaft geschlossenen Beförderungsvertrages geworden sind. Eine Klausel in Beförderungsbedingungen eines Luftverkehrsunternehmens, die für den in einem bestimmten Tarif gebuchten Beförderungsvertrag das freie Kündigungsrecht ausschließt, stellt – wie der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 20.3.2018 (X ZR 25/17- NJW 2018, 2039) entschieden hat – für den Fluggast bzw. Besteller der Beförderungsleistung keine unangemessene Benachteiligung entgegen den Geboten von Treu und Glauben dar.
25Die vom Kläger im Schriftsatz vom 28.07.2021 zitierte Rechtsprechung des BGH (Urteile vom 29.04.2010 – Xa ZR 5/09 und 101/09) betrifft das Verbot des „cross-ticketing“. Dem Kunden soll damit das Recht auf eine Teilleistung genommen werden, für die er bei Inanspruchnahme aber weiterhin den vollen Preis gezahlt hätte. Vorliegend geht es jedoch um die Folgen der Teilstornierung bestellter Flugleistungen; hiermit befasst sich aus neuerer Zeit allein die zitierte Entscheidung des BGH vom 20.03.2018 (X ZR 25/17, a.a.O.; zum Ganzen: Führich in: Führich/Staudinger, Reiserecht, 8. Aufl., § 35 Rn. 47 ff. und 53 ff.).
26f) Weitere Erstattungen – wie sie mit der Anschlussberufung verfolgt werden – sind nach der Darstellung der Beklagten nicht gewährt worden.
27Das Vorbringen des – hierfür beweisbelasteten – Klägers enthält zu weitergehenden Erstattungszahlungen an die Beklagte keinen nachprüfbaren Vortrag, so dass das Anschlussrechtsmittel insgesamt unbegründet ist.
28g) Dies führt zu folgender Berechnung des dem Kläger zustehenden Erstattungsanspruchs:
29Auszugehen ist von der Summe der erstatteten Aufwandspositionen. Diese beträgt nach den hier getroffenen Feststellungen insgesamt 5.108,88 €.
30Davon abzuziehen ist der darin enthaltene Geschäftsgewinn der Beklagten. Die üblichen Margen von Reiseveranstaltern lagen in Zeiten vor Corona zwischen 7 und 12% des Reisepreisvolumens. Im Hinblick auf den Umfang der hier gebuchten längerdauernden Individual-Reise um die halbe Welt erscheint es dem Senat angemessen, von einer Verdienstmarge von 10% auszugehen (§ 287 ZPO), so dass 510,88 € abzuziehen sind. Es verbleibt dann als Netto-Erstattung ein Betrag von (5.108,88 € – 510,88 € =) 4.598,00 €.
31Darauf anzurechnen ist die bereits – unstreitig – erfolgte Gutschrift in Höhe von 1.218,28 €.
32Nach Abzug dieser Gutschrift verbleibt dann ein zuzuerkennender Restbetrag von (4.598,00 € – 1.218,28 € =) 3.379,72 €.
33h) Die zuerkannten Zinsen sind nach §§ 280, 286, 288 BGB gerechtfertigt.

Anmerkung: Das OLG ist zu recht davon ausgegangen, dass aus wichtigem Grund gekündigt werden kann, wenn die Reise aus erheblichen Gründen, die in der Sphäre des Reisenden liegen, nicht mehr ausführbar ist. Diese Voraussetzungen sind von der Rechtsprechung angenommen worden im Falle einer Erkrankung des Reisenden oder des Todes eines Mitreisenden. Das Kündigungsrecht soll dem Reisenden auch nach Antritt der Reise zustehen (vgl. LG Frankfurt NJW 1991, 498 f.; Klingberg, in: beck-online Großkommentar zum BGB, Stand: 01.08.2021, § 651 l Rn. 16; Geib, in: BeckOK BGB, Hau/Poseck, 59. Edition, Stand 1.8.2021, § 651 l Rn. 2; Palandt/Sprau, BGB, 80. Aufl., § 651 h Rn. 2; Führich, Reiserecht, 7. Aufl., § 10 Rn. 7; ablehnend nur Staudinger in: Führich/Staudinger, Reiserecht, 8. Aufl., § 16 Rn. 2.

Auch wenn mein Coautor Prof. Staudinger eine andere Meinung in unserer 8. Auflage vertritt, sollte mit dem OLG Köln und der herrschenden Meinung daran festgehalten werden, dass der Vertrag außerordentlich gekündigt werden kann, wenn ein Angehöriger während der Pauschalreise verstirbt.