BGH, Urteil vom 27.09.2022 – X ZR 35/22

Der Bun­des­ge­richts­hof hat den Streit, wer An­sprü­che bei An­nul­lie­rung von Flü­gen gel­tend ma­chen kann, ent­schie­den. An­spruchs­in­ha­ber sei der Flug­gast – nicht der Ver­trags­part­ner des Be­för­de­rungs­ver­trags. Diese Lö­sung sei sach­nä­her, da es der Pas­sa­gier sei, der un­mit­tel­bar von der An­nul­lie­rung be­trof­fen sei und zum Bei­spiel Be­treu­ungs­leis­tun­gen be­nö­ti­ge. Au­ßer­dem ent­spre­che sie dem Wort­laut und der Sys­te­ma­tik der Flug­gast­rech­te­ver­ord­nung.

Ur­laub in Rom für eine Drei­jäh­ri­ge

Ein Paar hatte für sich und seine drei­jäh­ri­ge Toch­ter einen Flug Ber­lin-Rom und zu­rück für rund 400 Euro ge­bucht. Die Luft­fahrt­ge­sell­schaft an­nul­lier­te beide Flüge. Die El­tern tra­ten den An­spruch ihrer Toch­ter aus der Flug­gast­rech­te­VO an eine For­de­rungs­käu­fe­rin ab. Diese ver­klag­te die Flug­ge­sell­schaft auf Er­stat­tung der Flug­schein­kos­ten in Höhe von rund 140 Euro er­folg­los vor dem Amts­ge­richt Ber­lin-Wed­ding. Das Land­ge­richt Ber­lin hin­ge­gen gab der Klage statt. Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten vor dem BGH war nicht er­folg­reich. 

Wer hat den An­spruch? Ver­trags­part­ner oder Flug­gast?

Die Flug­ge­sell­schaft war der An­sicht, dass nur der Ver­trags­part­ner An­spruchs­in­ha­ber von Er­stat­tungs­leis­tun­gen sein könne, denn die­ser habe den Flug ge­bucht und be­zahlt. Da­nach wäre die drei­jäh­ri­ge Pas­sa­gie­rin nicht ak­tiv­le­gi­ti­miert ge­we­sen, bevor sie den An­spruch ab­trat. Dem er­teil­te der BGH eine Ab­fuhr: Nach Art. 5 Abs. 1a  Flug­gast­rech­te­VO in Ver­bin­dung mit Art. 8 Abs. 1a Flug­gast­rech­te­VO stehe der An­spruch dem von der An­nul­lie­rung be­trof­fe­ne Flug­gast zu. Wer den Flug ge­bucht und be­zahlt habe, sei hin­ge­gen ir­rele­vant. Die Karls­ru­her Rich­ter be­grün­de­ten ihre An­sicht zum einen mit dem Wort­laut der Nor­men, die aus­drück­lich dem be­trof­fe­nen „Flug­gast“ die Rech­te zusprä­chen. Auch sys­te­ma­tisch sei ihre Lö­sung fol­ge­rich­tig. Denn Schuld­ner der Er­stat­tungs­leis­tun­gen sei auch nicht un­be­dingt das Un­ter­neh­men, das den Be­för­de­rungs­ver­trag ge­schlos­sen habe, son­dern das aus­füh­ren­de Flug­un­ter­neh­men.

Pau­schal­rei­se­richt­li­nie spricht dem nicht ent­ge­gen

Nach Art. 8 Abs. 2 Flug­gast­rech­te­VO wer­den Pau­schal­rei­sen­de, deren Er­stat­tungs­an­sprü­che sich be­reits aus der Pau­schal­rei­se­richt­li­nie er­schlie­ßen, von An­sprü­chen nach der Flug­gast­rech­te­VO aus­ge­schlos­sen. Der BGH geht aber mit dem EuGH davon aus, dass um­ge­kehrt Rei­sen­de, die ihre Flug­kos­ten­er­stat­tungs­an­sprü­che nicht aus der Pau­schal­rei­se­richt­li­nie ab­lei­ten kön­nen, sich auf die Flug­gast­rech­te­VO be­ru­fen kön­nen. 

Kein An­lass für EuGH-Vor­la­ge

Für eine Klä­rung im Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­ren nach Art. 247 AEUV be­steht nach An­sicht des X. Zi­vil­se­nats kei­ner­lei An­lass: Die Frage der Ak­tiv­le­gi­ti­ma­ti­on für den An­spruch auf Er­stat­tung der Flug­schein­kos­ten nach Art. 8 Abs. 1a Flug­gast­rech­te­VO sei „der­art of­fen­kun­dig“, dass für ver­nünf­ti­ge Zwei­fel kei­ner­lei Raum blei­be. Bei einem so­ge­nann­ten acte clair sei der EuGH nicht an­zu­ru­fen.

Redaktion beck-aktuell, 22. Nov 2022