1. Der Reiseveranstalter kann keine Stornoentschädigung verlangen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen und er die Reise deshalb selbst absagt.

2. Ein gezahlter Reisepreis bzw. eine gezahlte Stornoentschädigung ist vollständig zu erstatten.

LG Frankfurt a. M.,Urt. v. 10.08.2021 – 2-24 S 31/21

Aus den Entscheidungsgründen:

18Das Amtsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Dabei kann vorliegend dahinstehen, ob die AGB der Beklagten – und die dort in Ziffer 9.3 aufgeführte Entschädigungspauschale – nachträglich wirksam in den Pauschalreisevertrag einbezogen wurden. Denn dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Rückzahlung des restlichen Reisepreises in Höhe von EUR 577,00 aus §§ 346, 651a, 651h Abs. 1, Abs. 3, Abs. 5 BGB zu.

19Zwischen den Parteien ist ein Pauschalreisevertrag gemäß § 651a BGB zu Stande gekommen.

20Der Kläger ist von diesem Pauschalreisevertrag am 26.02.2020 gemäß § 651h Abs. 1S. 1 BGB zurückgetreten. Gemäß § 651 hAbs. 1 S. 2 BGB verliert die Beklagte damit ihren Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis.

21Die Beklagte war vorliegend nicht dazu berechtigt, gemäß § 651h Abs. 1 S. 3 BGB eine angemessene Entschädigung zu verlangen. Denn gemäß § 651 h Abs. 3 BGB kann der Reiseveranstalter keine Entschädigung verlangen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.

22Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Anerkannt ist, dass auch Naturkatastrophen und Krankheitsausbrücke solche unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände darstellen (Führich/Staudinger, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 16 Rn. 20; Löw, NJW 2020, 1252, 1253). Ein erhebliches Indiz für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände stellt darüber hinaus eine amtliche Reisewarnung für das konkrete Reiseziel dar (LG Bonn, RRa 2003, 214, 214; Staudinger/Achilles-Pujol in Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 7 Rn. 26; Führich, NJW 2020, 3137, 3138; Tonner, MDR 2020, 519, 520). Der Ausbruch der Corona-Pandemie führte im Frühjahr 2020 zu einer nahezu weltweiten Abschottung und zu einer nahezu vollständigen Einstellung des internationalen Flugverkehrs. Vor dem Hintergrund, dass darüber hinaus das Auswärtige Amt aufgrund des Ausbruchs der Corona-Pandemie im März 2020 eine weltweite Reisewarnung aussprach, stellt die Corona-Pandemie einen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand im Sinne des § 651h Abs. 3 BGB dar. Der Kläger hat vorliegend unstreitig den Rücktritt vom Pauschalreisevertrag am 26.02.2020 aufgrund der Corona-Pandemie erklärt, nachdem sowohl er als auch seine Frau aufgrund einer langjährigen Krebserkrankung zur sog. COVID-19-Risikogruppe gehörten. Auch die Beklagte hat die Reise unstreitig letztlich am 16.03.2020 – und damit von dem geplanten Reisebeginn – aufgrund der aufgrund der Ausbreitung des Corona-Virus abgesagt.

23Vorliegend kann dahinstehen, ob bei einer ex ante Betrachtung zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung des Klägers am 26.02.2020 das damals bestehende Infektionsgeschehen im Zusammenhang mit dem Corona-Virus bereits eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen eines außergewöhnlichen Umstands im Sinne des § 651h Abs. 3 BGBbegründete. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts – die auch in Rechtsprechung und Literatur teilweise vertretenen wird (vgl. etwa AG München, DAR 2021, 35, 36; Geib in BeckOK BGB, Stand: 01.05.2021, § 651h Rn. 21a; Staudinger/Achilles-Pujol in Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 3. Aufl. 2021, § 7 Rn. 26) – ist für die Beurteilung der Frage, ob unvermeidbare außergewöhnliche Umstände vorliegen, jedenfalls in der vorliegenden Fallgestaltung, in der der Reiseveranstalter die Reise vor Reisebeginn selbst aufgrund eines unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstands absagt, eine ex ante Betrachtung zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung des Reisenden nämlich nicht maßgeblich. Eine solche Betrachtungsweise findet zunächst im Wortlaut des § 651h Abs. 3 BGB keine Stütze, der keinerlei Hinweis darauf enthält, dass der außergewöhnliche Umstand im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung vorliegen müsse. Etwas anderes folgt auch nicht aus § 651h Abs. 5 BGB. Zwar hat danach der Reiseveranstalter den Reisepreis unverzüglich, auf jeden Fall aber innerhalb von 14 Tagen nach dem Rücktritt zurückzuerstatten. Ein etwaiger Anspruch des Reiseveranstalters auf Entschädigung nach § 651h Abs. 3 S. 1 BGB im Falle eines freien Rücktritts des Reisenden ist damit aber nicht unmittelbar in der Weise verknüpft, dass der Reiseveranstalter einen solchen Abzug zum Zeitpunkt seiner Rückzahlungsverpflichtung nach § 651h Abs. 5 BGBvornehmen müsste. Vielmehr besagt § 651hAbs. 1 S. 3 BGB lediglich, dass der Reiseveranstalter die Entschädigung „verlangen kann“. Eine zeitliche Beziehung zum Rücktritt wird damit gerade nicht hergestellt, weshalb der Reiseveranstalter diese Entschädigung also auch im Nachhinein beanspruchen kann (vgl. Harke, RRA 2020, 207, 209). Auch aus der Formulierung des Art. 12 Abs. 4 der Pauschalreiserichtlinie folgt nicht zwingend, dass der Reiseveranstalter seine Entschädigung (dort „Rücktrittsgebühr“ genannt) zwingend bereits vom Erstattungsbetrag abziehen muss und nicht zu einem späteren Zeitpunkt geltend machen könnte (vgl. Harke, RRA 2020, 207, 209; Harke in BeckOGK BGB, Stand: 01.05.2021, § 651h Rn. 48). Dagegen spricht im Übrigen auch der Umstand, dass es dem Reiseveranstalter jedenfalls im Falle einer nicht pauschalierten, sondern individuell zu bestimmenden Entschädigung häufig schwer fallen dürfte, diese innerhalb der in Art. 12 Abs. 4 der Pauschalreiserichtlinie genannten Frist von 14 Tagen zu beziffern, insbesondere dann, wenn der Reisende den Rücktritt mit einem großen zeitlichen Vorlauf vor Reisebeginn erklärt und der Reiseveranstalter zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht absehen kann, ob er Einnahmen aus anderweitigen Verwendungen der Reiseleistungen generieren kann (vgl. auch Harke, RRA 2020, 207, 209). Entscheidend ist vorliegend vielmehr, dass der Kläger wegen der Corona-Pandemie von dem Pauschalreisevertrag zurückgetreten ist und die Reise letztlich von der Beklagten vor Reisebeginn auch aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt wurde. Die Frage, ob eine Prognose-Entscheidung des Reisenden hinsichtlich des Auftretens unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung zutreffend war, kann sich aber nur dann stellen, wenn sich die Gefahr von unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umständen, wegen der der Reisende den Rücktritt erklärt hat, tatsächlich später nicht realisiert hat. Nach Auffassung der Kammer würde es der Natur des Entschädigungsanspruchs des Reiseveranstalters nach § 651h Abs. 1 S. 3 BGB und der Zielrichtung des Verbraucherschutzes in Art. 12 Abs. 2 der Pauschalreiserichtlinie widersprechen, wenn dem Reiseveranstalter nach seiner Reiseabsage wegen Unmöglichkeit der Reise noch ein Entschädigungsanspruch zustünde (so im Ergebnis auch LG Frankfurt am Main, Urteil vom 04.05.2021, Az. 3-06 O 40/20; AG Stuttgart NJW-RR 2021, 313, 314; Führich, MDR 2021, 777, 778; Harke, RRA 207, 210; Harke in BeckOGK BGB, Stand: 01.05.2021, § 651h Rn. 48). Nach alledem steht dem Kläger ein Anspruch auf Rückzahlung des restlichen Reisepreises in Höhe von EUR 577,00 zu.