Vorbemerkung:
Die Ausbreitung des Coronavirus führt dazu, dass Reisende geplante Pauschalreisen in Frage stellen und vom Vertrag kostenfrei zurücktreten wollen. Wenn die Pauschalreise noch nicht vom Veranstalter abgesagt wurde und der Reiseveranstalter die Restzahlung fordert, sollte der Reisende sich überlegen, ob er von dem Pauschalreisevertrag zurücktritt.
In der derzeitigen Situation kann meist davon ausgegangen werden, dass Reisende, die ihre Pauschalreise schon vor längerer Zeit gebucht haben, aufgrund der weltweiten Corona-Pandemie zum Rücktritt von Pauschalreisen, die in den nächsten Wochen stattfinden sollen, berechtigt sind, ohne dass die sonst üblichen Stornogebühren anfallen.
Ein wichtiges Indiz für Reisende sind hier die Reisewarnungen und Reisehinweise des Auswärtigen Amtes. Aktuell wird bis mindestens einschließlich 14. Juni 2020 weltweit vor nicht notwendigen, touristischen Reisen in das Ausland gewarnt. Daher kann der Reisende von allen Reisen, die vor dem 15. Juni beginnen, wegen der Reisewarnung des Auswärtiges Amts ohne Probleme kostenfrei zurücktreten..
Aber auch wenn der Reisebeginn nach dem 14. Juni 2020 liegt und lediglich eine bloßer Reisehinweis für das Urlaubsziel vorliegen sollte, ist es nach Meinung der meisten Reiserechts-Experten möglich, umsonst vom Reisevertrag wegen den Auswirkungen der Pandemie im Urlaubsgebiet zurückzutreten, wenn weitere Indizien für eine mögliche Reisebeeinträchtigung sprechen.
Voraussetzung ist das Vorliegen einer erheblichen Beeinträchtigung der Durchführung der Reise mit einer Wahrscheinlichkeit von mindestens 25 %. Diese liegt vor, wenn im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung bei objektiver Betrachtung eine sichere Reisedurchführung unmöglich ist, der Reisezweck also insgesamt in Frage steht. Eine mögliche Beeinträchtigung kann sich auf die Undurchführbarkeit wesentlicher Reiseleistungen wie abgesagte Flüge, geschlossene Hotels, behördlichen Einreisesperren, Quarantänemaßnahmen, aber auch die persönliche Sicherheit des Reisenden als Risikoperson beziehen. Insoweit empfiehlt es sich, die Reisehinweise des AA aufmerksam zu lesen.
Prof. Führich rät, erst 35 Tage vor Reisebeginn zu entscheiden, ob man den Rücktritt erklärt.
Das Reiseunternehmen ist in diesen Fällen nach dem Rücktritt des Reisenden oder einer Reiseabsage durch den Veranstalter verpflichtet, den Reisepreis, soweit er bereits gezahlt worden ist, zu erstatten (§ 651h III, V BGB). Restzahlungen, die nach dem Pauschalreisevertrag an sich fällig geworden sind, braucht der Reisende nicht mehr zu leisten, da der Rücktritt zu einer Beendigung des Vertragsverhältnisses und damit auch der vertraglichen Pflichten des Reisenden geführt hat.
Solange weder der Reisende den Rücktritt erklärt noch das Reiseunternehmen die Pauschalreise abgesagt hat, bleibt die Verpflichtung zur Zahlung des restlichen Reisepreises grundsätzlich bestehen. Dem Reisenden kann allerdings unter bestimmten Umständen ein Leistungsverweigerungsrecht durch Erhebung der Unsicherheitseinrede (§ 321 BGB) zustehen, die ihn dazu berechtigt, die Zahlung vorläufig zurückzuhalten.
Sachverhalt:
Unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände der Corona-Krise bedrohen die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort. Der Reisende will ohne Stornokosten vom Vertrag zurücktreten (§ 651h III BGB). Prof. Dr. Ernst Führich hat in seinem Handbuch „Reiserecht“ den nachfolgenden Musterbrief 5 abgedruckt (Führich/Staudinger, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, Verlag C.H.Beck, Anhang I).
Musterbrief:
Außergewöhnliche Umstände der Corona-Pandemie beeinträchtigen möglicherweise die Reise erheblich
Name und Anschrift des Reisenden Datum
Einschreiben/Rückschein
Reiseveranstalter
Straße, Ort
Reise nach 1 vom 2 bis 3, Buchungsnummer 4
Rücktrittserklärung wegen außergewöhnlicher Umstände
Sehr geehrte Damen und Herren,
unter der oben genannten Buchungsnummer habe ich bei Ihnen die bezeichnete Reise gebucht. Wie auch Ihnen bekannt ist, …. (hier Beschreibung der außergewöhnlichen Umstände, die die Durchführung der Reise und Leib und Leben des Reisenden bedrohen).
Hierbei handelt es sich um einen außergewöhnlichen Umstand, der die Durchführung der Pauschalreise erheblich beeinträchtigt und mich berechtigt, vom Vertrag ohne Rücktrittskosten zurückzutreten (§ 651h III BGB).
Hiermit erkläre ich den Rücktritt vom Pauschalreisevertrag vor Reisebeginn.
Bitte bestätigen Sie mir unverzüglich, dass damit das Vertragsverhältnis aufgelöst ist und von Ihrer Seite keine Forderungen mehr erhoben werden.
Bitte überweisen Sie unverzüglich, die von mir bereits geleisteten Zahlungen von 5 auf mein Konto 6 binnen 14 Tagen (§ 651h V BGB). Mit einem Reisegutschein bin ich nicht einverstanden.
Ich bin mir sicher, dass Sie einen zufriedenen Kunden behalten möchten, der künftig wieder bei Ihnen eine Reise buchen wird.
Mit freundlichen Grüßen
1 Urlaubsort
2 Abreisetag
3 Rückreisetag
4 Buchungsnummer der Reisebestätigung
5 Betrag der Zahlungen
6 Bank und Kontonummer
Quelle: Führich/Staudinger, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, Verlag C.H.Beck, Anhang I
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Führich,
wir haben am 28.05.20 den kostenfreien Rücktritt nach § 651h Abs. 3 BGB von der am 28.06.20 stattfindenden 8-tägigen Flugreise nach Neapel inclusive einer 5-tägigen Busrundreise erklärt.
Die Reise wurde im Januar 2020 – also 7 Wochen bevor der Generaldirektor der WHO, Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, den COVID-19-Ausbruch am 11.03.2020 offiziell zu einer Pandemie erklärt hat – gebucht.
Mein Mann und ich stehen beide im 60. Lebensjahr und leiden unter Vorerkrankungen, sodass wir basierend auf der aktuellen Studienlage ein mehrfach erhöhtes Risiko für einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf haben (ärztliches Attest wurde der Rücktrittserklärung beigefügt).
Italien hat die Grenzen seit 03.06.20 geöffnet. Die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes wird zum 14.06.20 auch für Italien aufgehoben.
Da wir den Rücktritt vom Vertrag erklärt haben, erfahren wir nicht, ob der Reiseveranstalter eventuell einzelne Reisen – z.B. unsere kombinierte Flug- / Busrundreise Neapel – absagt oder ob die Reise wie geplant stattfindet.
Wir gehen nicht davon aus, dass der Reiseveranstalter unsere Rechtsauffassung teilt und die Gründe für einen kostenfreien Rücktritt nach § 651h Abs. 3 BGB anerkennt sowie unsere Anzahlung erstattet.
1. Für den Fall, dass die Reise stattfindet: macht es Sinn / hat es Aussicht auf Erfolg wegen der von uns geltend gemachten Aspekte (60. Lebensjahr + ärztlich bestätigtes erhöhtes Risiko für einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf) ein Gerichtsverfahren zu führen?
2. Wenn wir zunächst die Rechtsprechung einiger Gerichte abwarten wollen, um eine Tendenz erkennen zu können: Welche Frist gilt für die Einreichung einer Klage?
Mit freundlichen Grüßen
Jakob
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Sehr geehrter Herr Jakob,
als Reiserechtswissenschaftler und emeritierter Hochschullehrer habe ich keine Anwaltszulassung. Ich bin mir sicher, dass Sie Verständnis haben, dass ich daher keine konkreten Rechtsauskünfte in Fällen von Lesern meiner Website geben kann.
Aus Ihrem, durch Sie sachkundig geschilderten Fall und meinen bisherigen Beiträgen zum kostenfreien Rücktritt bei Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung einer gebuchten Pauschalreise, können Sie aber unschwer erkennen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des § 651h III, V BGB vorliegen könnten. Für Klagen nach dem Pauschalreiserecht gibt es keine Monatsriste mehr. Ein Rückforderungsanspruch Nach § 651h V BGB unterliegt der gesetzlichen Regelverjährung von 3 Jahren nach §§ 195 ff. BGB. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg!
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Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Führich,
wir haben am 30.12.2019 eine Pauschalreise, in die Türkei für den Zeitraum 18.06-28.06.2020 gebucht. Anzahlung direkt getätigt. Da wir davon ausgegangen sind das die Reisewarnung über den Sommer hinaus ging haben wir die Reise nicht storniert. Unsere Restzahlung wäre am 21.05.2020 fällig gewesen. Diese haben wir aber nicht getätigt weil uns das zu unsicher war. Wir haben am 08.04.2020 unserem Reiseveranstalter eine Email geschrieben und Ihn informiert das wir, falls die Reise nicht stattfinden wird keinen Gutschein haben möchten. Die Antwort kam am 24.04.2020 und war kurz und knapp – „Da die aktuellen Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes nur bis 03.05.2020 gelten, wird Ihre Reise nach derzeitigem Stand wie geplant durchgeführt. Dann haben wir am 11.05.2020, per Einschreiben, die Unsicherheitsrede bei Restpreiforderung vor Reiseantritt eingereicht. Anwort: „Zur Zeit sind alle Reisen ja bekanntlich bis zum 14.06.2020 abgesagt worden. Für Reisen ab dem 15.06.2020 gibt es keine Sonderregelungen. Es gelten die allgemeinen Reise- und Geschäftsbedingungen und die Zahlungsbedingungen“. Am Freitag 05.06.2020 haben wir jetzt eine Zahlungserinnerung bekommen. Wir möchten eigentlich immer noch nicht zahlen weil ja noch nicht sicher ist ob wir fliegen können. Die Fluggesellschaft mit der wir fliegen sollten hat schon bekannt gegeben das sie erst ab dem 27.06.2020 startet. Das Hotel gibt auch noch keinen Erföffnungstermin raus.
Was meinen Sie sollten wir besser zahlen. Wir möchten nicht auf den Stornokosten die mittlerweile schon bei über 1.800,00 EUR liegen sitzen bleiben bzw. auf den kompletten Kosten falls und dann nicht fliegen können weil der Reiseveranstalter sagt wir haben den Vertrag nicht eingehalten.
Liebe Grüße
Jennifer Nagies
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Sehr geehrte Frau Nagies,
als Reiserechtswissenschaftler und emeritierter Hochschullehrer habe ich keine Anwaltszulassung. Ich bin mir sicher, dass Sie Verständnis haben, dass ich daher keine konkreten Rechtsauskünfte in Fällen von Lesern meiner Website geben kann.
Aus Ihrem, durch Sie sachkundig geschilderten Fall und meinen bisherigen Beiträgen zum kostenfreien Rücktritt bei Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung einer gebuchten Pauschalreise, können Sie aber unschwer erkennen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des § 651h III, V BGB vorliegen könnten. Für die Türkei besteht derzeit und für Ihren Reisezeitraum eine amtliche Reisewarnung. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg!
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Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Führich,
ich habe am 09.04. meine am 26.10. bevorstehende Weltreise mit der Aida Corona bedingt gekündigt und den Reiseverträge damit beendet. Die Anzahlungskosten = Stornokosten belaufen sich auf 5.225 Euro. Kann ich diese im Falle der nicht stattfindenden Reise – und davon gehe ich stark aus – zurück verlangen, obwohl ich schon sehr früh vom Reisevertrag
zurückgetreten bin? Herzliche Grüße Gudrun Börgert
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Ich meine ja. Wenn der außergewöhnliche Umstand zwischen Buchung und Reisebeginn eingetreten ist und sich durch eine spätere Absage der Kreuzfahrt realisiert, muss der Versicherung die Anzahlung zurückzahlen. Ich fürchte, dass Aida das nicht freiwillig macht. Ist Aida einsichtig, falls die Weltreise abgesagt wird? Wenn nicht, sollte man einen Reiserechtsanwalt beauftragen. Mit freundlichen Grüßen Fü
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Vielen Dank für Ihre Antwort! Ich denke, bei der Höhe dieser Anzahlung schalte ich zu gegebener Zeit einen Anwalt ein, denn ich befürchte auch, daß Aida nicht zahlen wird. Herzliche Grüße von Gudrun Börgert
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