Hinterbliebene sollen leichter eine Entschädigung für erlittenes Leid erhalten. Die Voraussetzungen werden im Vergleich zum Schmerzensgeld stark vereinfacht. Für Richter wird es schwierig, Leid in Geld zu bemessen, sagt Von Roland Schimmel.

Der Steuerrechtler kommt aus der Mittagspause – und muss sich erst einmal wieder neu in sein Rechtsgebiet einarbeiten, denn der Gesetzgeber schläft nie. Im Recht der unerlaubten Handlungen ist das anders. Die Gesetzesänderungen fallen wenig spektakulär aus und die Taktzahl ist eine weitaus bescheidenere.

Der Gesetzgeber des 19. Jahrhunderts hat im Deliktsrecht eine glückliche Hand gehabt. Das gilt nicht nur gesetzestechnisch: Die Kombination größerer und kleiner Generalklauseln hat es ermöglicht, eine ganze Menge technischer und gesellschaftlicher Veränderungen nebst deren Haftungsfragen mit einem unveränderten Gesetzestext zu bewältigen. Erfolgreich war in erster Linie das grundlegende Konzept, die deliktische Haftung nicht zu weit auszudehnen, weil das einem innovativen und unternehmerisch erfolgreichen Verhalten zu viele Haftungsrisiken entgegengesetzt hätte.

Neuer Absatz im § 844 BGB

Wenn also selten einmal der Gesetzgeber im Deliktsrecht etwas ändert, verdient das immer einen aufmerksamen Seitenblick, nicht zuletzt, weil die Materie im Studium zum Pflichtfachstoff gehört. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat Ende 2016 einen Entwurf zur Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld vorgelegt, der in absehbarer Zukunft als Gesetz verabschiedet werden soll.

Danach wird in § 844 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ein neuer Absatz mit folgendem Wortlaut eingefügt werden: „(3) Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.“

Trauer hat bisher nicht gereicht

Die ständige Rechtsprechung des BGH hat die Schwelle für einen Anspruch auf Ersatz dieses Schadens bisher eher hoch gelegt und dies dogmatisch stimmig begründet. Der unmittelbar Geschädigte ist nämlich der Verletzte oder Getötete; der Angehörige ist es nur mittelbar. Legt man § 823 Abs. 1 BGB als Anspruchsgrundlage für den Normalfall zugrunde, braucht es eine Verletzung eines der dort aufgezählten (und von § 253 Abs. 2 BGB weiter eingeschränkten) Rechtsgüter in der Person des Angehörigen.

In aller Regel kommt dafür nur die Gesundheit in Frage, die wiederum bei psychischen Beeinträchtigungen nicht schon bei schlechter Laune oder Trauer verletzt ist, sondern erst bei einem nach ärztlichem Urteil krankhaften Zustand. Dessen Therapie kann nach geltendem Recht der verletzte Angehörige ersetzt verlangen, wenn die Beeinträchtigung über das Maß hinausgeht, das bei der Verarbeitung der Nachricht vom Tod eines Angehörigen üblicherweise auftritt. Neben den Heilbehandlungskosten kommt in solchen Situationen auch der Ersatz des immateriellen Schadens als Schmerzensgeld nach § 253 BGB in Betracht. Die geplante Neuregelung soll diese Anforderungen senken.

„Seelisches Leid“ ist weniger voraussetzungsreich als die bislang erforderliche Gesundheitsverletzung. Nach der Gesetzesbegründung wird kein Mindestmaß an Leid verlangt. Schon das persönliche Näheverhältnis indiziert das seelische Leid und ist ausreichend für die Entstehung des Anspruchs – vorausgesetzt, die übrigen haftungsbegründenden Tatbestandselemente etwa des § 823 Abs. 1 BGB liegen vor.

In der Sache handelt es sich beim geplanten Hinterbliebenengeld um Ersatz für immaterielle Schäden wie bei § 253 Abs. 2 BGB. Folgerichtig sieht die Begründung zum Entwurf vor, dass ein Ausgleich auch bei gleichzeitigem Vorliegen der bisherigen hohen Voraussetzungen für den Ersatz des sogenannte Schockschadens dieser Entschädigung nicht zusätzlich gewährt werden soll, sondern auf den Anspruch nach § 844 Abs. 3 BGB angerechnet wird.

Der Ansatz des Gesetzgebers, das Näheverhältnis beim genannten Personenkreis zu vermuten, verdient Zustimmung. Diese Vermutung zu widerlegen wird dem Schädiger nur ausnahmsweise gelingen. Darüber hinaus steht es jenseits des aufgezählten Personenkreises den Partnern nichtehelicher Lebensgemeinschaften, Enkeln und Großeltern sowie den langjährigen besten Freunden frei, vorzutragen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass auch sie zu dem Getöteten in einem vergleichbaren persönlichen Näheverhältnis gestanden haben.

Kosten werden Versicherer tragen

Wirtschaftlich gesehen wird das Töten eines Menschen teurer. Handlungsleitende Wirkung dürfte das kaum entfalten, weil die Abschreckung durch Strafrecht und das bisherige Schadensersatzrecht – man denke etwa an den Unterhaltsausfallschaden des § 844 Abs.2 BGB – schon bisher jeden ansatzweise rational handelnden Menschen von Tötungen anderer abhalten sollte.

Die erhöhten Kosten der statistisch unvermeidlichen zurechenbaren Tötungen von Menschen werden also letztendlich von Versicherern übernommen und auf den Preis von Versicherungsverträgen umgelegt werden. Haftet künftig ein Luftbeförderungsunternehmen auch den mittelbar geschädigten nahestehenden Personen, wird der Preis des Flugs ein wenig steigen. Das wird auszuhalten sein.

Am Ende werden es Zahlen in einer Tabelle

Wir leben in friedlichen Zeiten mit einer historisch gesehen beneidenswert guten medizinischen Versorgung, die Lebenserwartung steigt, ein früher Tod wird immer unwahrscheinlicher – die gesunkenen Zahlen von Verkehrstoten sind nur ein Beispiel unter vielen. Umso einschneidender und leidbesetzter wird der einzelne Todesfall wahrgenommen, zumal wenn er fremdverursacht ist. In diese Zeit passt eine Neuregelung wie die geplante perfekt.

Aber man erntet, was man sät. Wenn der jetzt vorgestellte Entwurf Gesetz wird, werden die Gerichte die Aufgabe haben, das seelische Leid in Geld zu bemessen, das der Tod eines nahestehenden Menschen verursacht. Geld ist kein gutes Maß dafür – allerdings gibt es wohl kein besseres. Welche Zahl dabei auch immer herauskommen wird; die Beteiligten werden sie immer als falsch empfinden. Trotzdem werden Juristen die Zahl in die einschlägigen Schmerzensgeldtabellen eintragen, um sie dann über die Jahre dem Kaufkraftschwund anzugleichen.

Selbst der Gesetzgeber sieht die überwiegend symbolische Funktion der neuen Vorschrift: In der Begründung zum Entwurf wird mehrfach betont, es gehe um die Anerkennung des Leids der Hinterbliebenen. Ein wortgleicher Absatz wird übrigens im Arzneimittelgesetz, Gentechnikgesetz, Produkthaftungsgesetz, Umwelthaftungsgesetz, Atomgesetz (AtomG) und dem Haftpflichtgesetz eingefügt. Den Anwendungsfall, der unter das AtomG zu subsumieren ist, möchte man sich indessen lieber nicht vorstellen.

Der Autor Prof. Dr. Roland Schimmel ist Professor für Wirtschaftsprivatrecht an der FH Frankfurt am Main.

http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/hinterbliebene-schmerzensgeld-deliktsrecht-neuregelung/2/