- Wenn ein Waldbrand in der Nähe des Hotels einer Pauschalreise (Kroatien) den Aufenthalt erheblich beeinträchtig, wird die Erheblichkeitsschwelle eines Reisemangels überschritten. des § 651 l Abs. 1 S. 1 BGB überschreitet.
- Die Reisende hat konkludent den Vertrag gekündigt, indem sie um Rücktransport bat. Sie hat Anspruch auf Erstattung des Reisepreises und der Kosten für den Rückflug.
AG Neuss, Urteil vom 16.5.20025 – 94 C 276/25, BeckRS 2025, 19867
Tatbestand:
1Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Rückerstattung des Reisepreises sowie den Ersatz der Kosten für einen Heimflug.
2Sie buchte bei der Beklagten für die Zeit vom 30. Juli bis zum 6. August 2024 eine Flugpauschalreise in das Hotel Villa Marija Tucepi zum Gesamtreisepreis i.H.v. 2012 €. Direkt am ersten Abend des Anreisetages war im hügeligen Hinterland der Ortschaft ein Waldbrand ausgebrochen. Der Brandherd hat sich schnell vergrößert, wobei die Beklagte nicht in Abrede stellt, dass das Feuer auch von den an der Küste gelegenen Ressorts aus sichtbar war. Eine Evakuierung in diesem Bereich fand nicht statt.
3Noch in der Nacht wandte sich die Klägerin an die Beklagte über deren Chat Hotline und bat diese um Rückbeförderung wegen der örtlichen Situation. Die Beklagte teilte ihr nach Rücksprache mit dem Hotel mit, dass eine akute Gefahr nicht bestünden und sie deshalb eine vorzeitige Rückführung ablehne.
4Beim Frühstück am 31.07.2024 waren alle anderen Gäste abgereist. Die Klägerin buchte deshalb auf eigene Kosten einen Rückflug (Eurowings) i.H.v. 504,98 €. Nach den von ihr vorgelegten ärztlichen Attesten litt sie nach der Ankunft in Deutschland unter einer Bindehautverbrennung sowie einer eitrigen Bronchitis.
5Die Klägerin, die sich auf die Berichterstattung beruft, behauptet, dass sich die Brände bis 600 m an das Hotel angenähert hätten.
wie erkannt.
die Klage abzuweisen.
8Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, dass ihr Krisenmanagement die Situation vor Ort an den Tagen des 30./31. Juli auf grün eingestuft habe. Das größte Problem in der Region sei nicht das Feuer gewesen, sondern die Stromversorgung. Deshalb habe das Krisenmanagement die Lage auf „gelb“ hochgestuft. Es habe keine Gefahr für die Hotelgäste bestanden.
9Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
11Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Rückerstattung des Reisepreises und Ersatz der Kosten für den Rückflug gegen die Beklagte zu, § 651 i Abs. 3 Nr. 5, Nr. 7 BGB i.V.m. §§ 651 l Abs. 2, Abs. 3, 651 k Abs. 3 S. 4 BGB.
12Nach § 651 l BGB kann ein Reisender den Vertrag kündigen, wenn – wie hier – die Pauschalreise durch einen Reisemangel erheblich beeinträchtigt wird (BeckOGK/Kramer, 1.12.2024, BGB § 651 l, beck-online). Auf die Art des Mangels kommt es nicht an. Diese Kündigungsmöglichkeit besteht daher auch bei Naturkatastrophen bzw. Bränden. Von der Beklagten wird nicht in Abrede gestellt, dass bereits am ersten Abend nach der Ankunft der Klägerin in der unmittelbaren Umgebung des gebuchten Urlaubsortes ein Waldbrand ausgebrochen ist, dessen Brandherd sich schnell vergrößerte, so dass das Feuer auch von den an der Küste gelegenen Resorts sichtbar war. Die von der Klägerin vorgelegten Lichtbilder, die sie unstreitig in ihrem Hotel aufgenommen hat, zeigen deutlich den rot verfärbten Himmel und sogar Flammen. Ein Waldbrand, der derart deutlich sichtbar vom Hotel aus wahrgenommen werden kann, überschreitet die in § 651 l Abs. 1 S. 1 BGB normierte Erheblichkeitsschwelle, ohne dass es darauf ankommt, ob eine Evakuierung erforderlich wurde oder tatsächlich eine konkrete Gefährdungslage bestand, weil dies auch für einen objektiven Durchschnittsreisenden eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise darstellt.
13In den §§ 651 a ff. wird nicht legaldefiniert, ab wann Erheblichkeit i.S.d. § 651 l Abs. 1 S. 1 vorliegt. Ebenso wenig lässt sich Art. 13 Abs. 6 Pauschalreise-RL oder den Erwägungsgründen der Pauschalreise-RL eine Legaldefinition entnehmen. Die Bestimmung der Erheblichkeitsschwelle ist damit der Rechtsprechung überlassen. Zum früheren deutschen Reiserecht, welches in den §§ 651 e und 651 f a.F. ebenfalls das Erheblichkeitskriterium kannte, hat der BGH entschieden, dass die Erheblichkeit der durch den Reisemangel verursachten Beeinträchtigung davon abhänge, welchen Anteil der Mangel in Relation zur gesamten Reiseleistung habe und wie gravierend er sich für den Reisenden auswirke. Das wiederum war nach der BGH-Rspr. aufgrund einer an Zweck und konkreter Ausgestaltung der Reise sowie Art und Dauer der Beeinträchtigung orientierten Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Maßgeblich war danach die Sicht eines objektiven Durchschnittsreisenden und nicht die subjektive Beurteilung durch den betroffenen Reisenden selbst.
14Übertragen auf das novellierte Pauschalreiserecht ist somit erforderlich, aber ausreichend i.S.v. Art. 13 Abs. 6 Pauschalreise-RL demnach eine nach objektiven Maßstäben und aus Perspektive eines Durchschnittsreisenden als gewichtig zu qualifizierende Beeinträchtigung der Reise, was in einer Gesamtschau und unter Berücksichtigung des Reisezwecks, des Reisecharakters, der konkrete Reiseausgestaltung und der Art und Dauer der Reisemängel zu beurteilen ist. Die Beeinträchtigung muss aber nicht derart schwer wiegen, dass – gleich einer Vereitelung (§ 651 n Abs. 2 Alt. 1) – die Reise als Ganzes entwertet oder der Antritt oder die Fortsetzung der Reise dem Reisenden schlichtweg unzumutbar wäre; das Tatbestandskriterium der subjektiven Unzumutbarkeit kennt § 651 l anders als § 651 e a.F. gerade nicht mehr. (BeckOGK/Kramer, 1.12.2024, BGB § 651 l Rn. 30–33, beck-online).
15Dass auch aus der Sicht eines objektiven Durchschnittsreisenden vorliegend von einem erheblicheren Reisemangel auszugehen ist, zeigt sich schon in dem unstreitigen Umstand, dass auch alle anderen Reisenden den Waldbrand zum Anlass genommen haben, das Hotel zu verlassen und abzureisen, wie die Klägerin unstreitig vorgetragen hat. Es kommt nicht darauf an, ob eine akute Gefährdung der Reisenden vorlag, mithin Evakuierungsmaßnahmen eingeleitet werden mussten. Denn dies muss ein Reisender nicht abwarten und seine Gesundheit riskieren. Es versteht sich von selbst, dass der Zweck einer Erholungsreise nicht erfüllt werden kann, wenn in der Nähe des Hotels ein Waldbrand ausbricht. Dies führt zwangsweise zu Beeinträchtigungen, wie auch die Lichtbilder der Klägerin und die von ihr vorgelegten Atteste zeigen. Hinzu kommt, dass die Beklagte selbst einräumt, dass die örtlichen Einsatzkräfte den Brand erst unter Kontrolle bringen mussten. Dies beinhaltet die Aussage, dass sich das Feuer zumindest zeitweise unkontrolliert ausbreiten konnte.
16Weiter war infolge der Löscharbeiten die Stromüberlandleitung ausgeschaltet, so dass die Stromversorgung mit Ausnahme der Rezeption und des Restaurants im Hotel der Klägerin nach eigenen Angaben der Beklagte nicht mehr funktionierte. Die Gesamtsituation stellt sich daher auch für einen Durchschnittstouristen nachvollziehbar als beängstigend dar, wenn sich dieser bei Dunkelheit in seinem Hotelzimmer ohne Strom mit Blick auf die deutlich erkennbaren Flammen aufhalten soll.
17In der Bitte der Klägerin um Rücktransport liegt eine konkludente Kündigungserklärung. Dies wäre im Übrigen mangels Abhilfemöglichkeiten der Beklagten auch entbehrlich gewesen, § 651 k Abs. 3 S. 4 BGB.
18Der Anspruch der Klägerin auf Erstattung des vollen Reisepreises folgt vorliegend aus §§ 651 l Abs. 2 S. 2, 651 Abs. 2 S. 1 2.HS i.V.m. § 651 i Abs. 3 Nr. 7 BGB. Nach § 651 l Abs. 2 S. 2 BGB verliert der Reiseveranstalter hinsichtlich der nicht mehr zu erbringenden Reiseleistungen den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis. Der auf den Hinflug und den kurzen Hotelaufenthalt entfallende Anteil des Reisepreises war für die Klägerin nutzlos, so dass sie diese Aufwendungen nach § 651 Abs. 2 S. 1 2.HS i.V.m. § 651 i Abs. 3 Nr. 7 BGB erstattet verlangen kann.
19Weiter kann sie die Kosten für den Rückflug, den die Beklagte trotz Aufforderung für sie nicht organisierte, nach § 651 l Abs. 3 S. 2 BGB ersetzt verlangen.
20Die Klägerin steht weiter auch ein Anspruch auf Freistellung von ihren vorgerichtlichen zu, da sie die Beklagte selbst mit Email vom 02.08.2024 zur Rückzahlung des Reisepreises und Erstattung der Kosten für den selbstorganisierten Rückflug aufforderte, bevor sie ihre jetzigen Prozessbevollmächtigten beauftragte, §§ 280 I, II, 286 BGB. Verzugszinsen schuldet die Beklagte demnach aus §§ 286, 288 I BGB.
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