Eine der größten Verbraucherrechte für Fluggäste in Europa ist seit 20 Jahren die Verordnung Nr. 261/2004.
Zu den wichtigsten Regelungen zählen:
- Entschädigung bei Annullierung, Nichtbeförderung oder großer Verspätung, gestaffelt nach Flugdistanz:
- bis 1.500 km: 250 €
- 1.500–3.500 km (oder innerhalb der EU): 400 €
- über 3.500 km: 600 €
- Verspätung ab 3 Stunden am Zielort berechtigt zur Entschädigung es sei denn, es liegen außergewöhnliche Umstände vor, welche die Airline nicht beherrschen können.
- Betreuungsleistungen bei Wartezeiten: Mahlzeiten, Getränke, Telefonate und soweit nötig auch Hotelübernachtungen.
Diese Regelung gilt unabhängig vom Ticketpreis – also auch für günstige Economy-Flüge.
1. Ungewöhnliche Eile
Seit 2014 versucht die EU diese in allen Mitgliedstaaten geltende Flugastrechteverordnung zu reformieren. Mit einer seither nicht bekannten Eile hat der Rat der EU-Staaten unter Führung Polens im Juni 2025 – noch vor einer Stellungnahme des Parlaments – die seit Jahren verschleppte notwendige Reform der EU-Fluggastrechte verabschiedet. Viele, auch deutsche Abgeordnete, erklärten öffentlich, sie würden keine Verschlechterung der bisherigen Rechte akzeptieren.
Da der Rat seine Position bereits beschlossen hat (1. Lesung), beginnt nun die zweite Lesung im Parlament. Das Parlament hat die Möglichkeit, den Ratstext zu ändern, abzulehnen oder zu verhandeln, insbesondere während weiterer Triloge mit Kommission und Rat.
Welche Reformen beabsichtigt der Rat? Künftig könnten Passagiere bei Verspätungen oder Annulierungen seltener eine Entschädigung erhalten. Dafür sollen andere Rechte wie Betreuung und Transparenz gestärkt werden.
2. Neue Verspätungsgrenzen und Entschädigungsbeträge
Die EU-Staaten haben sich auf höhere Mindestverzögerungen geeinigt bevor folgende Entschädigungen greifen:
- Kurzstrecke: bisher 3 h → künftig 4 h
- Langstrecke: bisher 3 h → künftig 6 h
Entschädigungssätze:
- Kurzstrecke: ein plus von €250 → €300
- Langstrecke: minus von €600 → €500
Die ursprüngliche Kommissionsforderung waren sogar 5 h auf Kurz-, 9 h auf Langstrecken, doch eine heftige Kritik zwang zu diesen Korrekturen.
3. Verbesserte Verfahren und Durchsetzung
Es soll ein automatisiertes Entschädigungsformular eingeführt werden, um die Rückerstattung der Gelder zu beschleunigen. Auch klarere Regeln zur Rechenschaftspflicht von Airlines bei Umbuchungen, Unterkunft und Verpflegung sollen den Schutz der Fluggäste verbessern. Strengere Kontroll- und Sanktionsmechanismen für Mitgliedsstaaten, inklusive Berichterstattungspflichten sollen den Druck auf die Airlines erhöhen.
4. Neue Rechte
Ersatzflüge auch bei anderen Airlines sollen nun möglich sein sowie ein Wegfall von „No‑Show“-Klauseln in AGB.
Ein schneller Zugang zu Alternativbeförderungen – auch bei Fremdairlines – soll kommen.
Die Rechte von Menschen mit Behinderungen sollen mit Anerkennung von Assistenzhunden und kostenlos fliegenden notwendige Begleitpersonen sollen Pflicht werden.
Multimodale Reisen: Entschädigungs- und Informationsschutz greift jetzt auch bei durchgehenden Bündelbuchungen (z. B. Zug + Flug).
Klarere Regeln für Buchungen über Vermittler mit einer Festlegung, wer bei Ausfall die Rückerstattungspflicht trägt, sowie max. 14 Tage zur Rückzahlung von Geldern.
5. Kritik
Der bekannte Reiserechtler Prof. Führich und Verbraucherschützer warnen vor massiven Verschlechterungen: Bis zu 85 % weniger Entschädigungsansprüche aufgrund der höheren Verzögerungsschwellen könnten die Folge der Reform sein.
Technische Defekte sollen zudem als „außergewöhnliche Umstände“ gelten – auch das würde viele Entschädigungen entfallen lassen. EU-Verkehrsminister argumentieren dagegen, Airlines bräuchten mehr Zeit für Ersatzflug und Kooperation – deshalb seien höhere Toleranzrahmen notwendig.
Deutschland und Spanien positionieren sich ebenfalls kritisch und wollen die bisherige 3‑Stunden-Regel beibehalten.
6. Weiteres Verfahren
Die Einigung der Verkehrsminister der Mitgliedstaaten ist nicht rechtsverbindlich.
Das Europäische Parlament hat am 17. Juni 2025 seinen Standpunkt klargemacht: Der Vorschlag des Rates, die EU-Fluggastrechte zu schwächen, sei inakzeptabel. Während der Plenardebatte äußerte die Europa-Abgeordnete Magdalena Adamowicz (EVP, Polen), dass eine derart breite Übereinstimmung im Parlament seit langer Zeit nicht mehr zu beobachten gewesen sei.
In den anstehenden Verhandlungen mit dem EU-Parlament müssen bis September 2025 Änderungen im Trilog-Verfahren abgestimmt werden. Wie die Reform letztlich aussieht und was im Gesetzblatt steht, ist daher noch offen.

