1. Umstände, die in die Risikosphäre einer Vertragspartei fallen, sind grundsätzlich keine unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände im Sinne von § 651h IV 1 Nr. 2 BGB.
2. Ein der Risikosphäre des Reisenden zuzurechnender Grund liegt grundsätzlich vor, wenn der Reisende zur Teilnahme an der Reise nicht in der Lage ist, weil seine Gesundheit ihm dies nicht erlaubt (Bestätigung von BGHZ 215, 81 Rn. 15 = NJW 2017, 2677). Dasselbe gilt, wenn ein begründeter Verdacht auf eine Covid-19-Infektion einer Teilnahme an der Reise entgegensteht.
3. Wenn der Reiseveranstalter die Reiseleistung aus Gründen verweigert, die einer Teilnahme an der Reise entgegenstehen und die allein in der Person des Reisenden liegen, steht ihm in entsprechender Anwendung von § 651h I 3 BGB ein Entschädigungsanspruch zu.
4. Die Regeln über die reiserechtliche Gewährleistung haben Vorrang vor den Regelungen des allgemeinen Leistungsstörungsrechts (Bestätigung von BGH NJW-RR 2023, 755 Rn. 30 = RRa 2023, 116).
5. Deshalb kommt eine entsprechende Anwendung von §§ 645, 648a BGB oder § 314 BGB auf einen Reisevertrag im Falle von Leistungshindernissen nicht in Betracht.
BGH Urteil vom 18.2.2025 – X ZR 68/24, NJW 2025, 1483
Zum Sachverhalt
Der Kl. begehrt die Rückzahlung des Reisepreises für eine Kreuzfahrt. Der Kl. buchte am 11.9.2021 für sich, seine Ehefrau und den damals zweijährigen gemeinsamen Sohn eine Kreuzfahrt mit Start in Mallorca im Zeitraum vom 25.9. bis 2.10.2021 zu einem Gesamtpreis von 1.398 EUR. Der Reisepreis ist vollständig bezahlt.
Bei der Einschiffung am Morgen des 25.9.2021 unterzog sich der Sohn des Kl. aufgrund einer damals geltenden Anordnung des spanischen Gesundheitsministeriums zur Erkennung, Überwachung und Bekämpfung von Covid-19 einem PCR-Test. Dieser zeigte ein positives Ergebnis. Dem Kl. und seiner Familie wurde daraufhin die Teilnahme an der Reise verweigert. Sie mussten zwei Tage in einem Quarantäne-Hotel auf Mallorca verbringen und flogen am 27.9.2021 nach Hause.
Der Kl. hat die Bekl. auf Rückzahlung des Reisepreises, auf Zahlung einer Entschädigung in gleicher Höhe wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit, auf Ersatz von Kosten für Flug, Unterbringung, Beförderung und Tests und auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Anspruch genommen.
Das LG Köln (Urt. v. 13.4.2023 – 19 O 122/22) hat die auf Zahlung von insgesamt 5.316,32 EUR und Freistellung iHv 627,13 EUR gerichtete Klage abgewiesen. Das OLG Köln (Urt. v. 19.6.2024 – 16 U 65/23, BeckRS 2024, 43728) hat die Bekl. unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels zur Rückzahlung des Reisepreises verurteilt. Dagegen wandte sich die Bekl. mit ihrer vom BerGer. zugelassenen Revision. Die Revision der Bekl. hatte Erfolg und führte zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das BerGer.
Aus den Gründen
7I. Das BerGer. hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen wie folgt begründet:
8Die Bekl. sei zur Rückzahlung des Reisepreises verpflichtet, weil sie durch die Verweigerung der Teilnahme von dem Reisevertrag zurückgetreten sei. Der Rücktritt sei gem. § 651h IV 1 Nr. 2 BGB berechtigt gewesen, weil er vor Reisebeginn erfolgt sei und die Bekl. aufgrund unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände an der Erfüllung des Vertrags gehindert gewesen sei. Solche Umstände hätten im Streitfall vorgelegen, weil bezüglich des Sohnes des Kl. ein Corona-Verdacht und deshalb ein erhebliches Risiko für die Mitreisenden und das Personal des Schiffs bestanden habe. Gemäß § 651h IV 2 BGB habe die Bekl. mit dem Rücktritt den Anspruch auf den Reisepreis verloren.
9Falls die Voraussetzungen von § 651h IV 1 Nr. 2 BGB nicht gegeben wären, sei die Kündigung des Vertrags in entsprechender Anwendung von § 648a I BGB wegen Vorliegens eines wichtigen Grundes als wirksam anzusehen. Dann stehe der Bekl. gem. § 648a V BGB eine Vergütung nur für bereits erbrachte Leistungen zu. Im Streitfall habe die Bekl. bis zum Zeitpunkt der Kündigung noch keine Reiseleistungen erbracht. Eine auf § 314 I 2 BGB gestützte Kündigung aus wichtigem Grund gebe der Bekl. ebenfalls kein Recht, den Reisepreis zu behalten.
10Ein Anspruch auf den Reisepreis ergebe sich auch nicht aus einer entsprechenden Anwendung des § 645 I 1 BGB. Nach dieser Vorschrift stehe der Bekl. nur eine Vergütung für bereits erbrachte Leistungen und Ersatz von in der Vergütung nicht inbegriffenen Auslagen zu. Im Streitfall habe die Bekl. keine Reiseleistungen erbracht. Auslagen seien ihr nicht entstanden.
11II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
121. Rechtsfehlerhaft ist das BerGer. zu dem Ergebnis gelangt, dass die Bekl. ihren Anspruch auf den Reisepreis gem. § 651h IV 1 Nr. 2 und S. 2 BGB verloren hat.
13Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Reise mit dem Versuch des Einschiffens bereits begonnen hat und ob die Verweigerung der Teilnahme als Rücktrittserklärung gewertet werden kann. Es fehlt jedenfalls an den Voraussetzungen von § 651h IV 1 Nr. 2 BGB. Deshalb greift die in § 651hIV 2 BGB vorgesehene Rechtsfolge nicht.
14a) Nach § 651h IV 1 Nr. 2 BGB kann der Reiseveranstalter vor Reisebeginn vom Vertrag zurücktreten, wenn er aufgrund unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände an der Erfüllung des Vertrags gehindert ist.
15Unvermeidbar und außergewöhnlich sind Umstände nach § 651h III 2 BGB, wenn sie nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich darauf beruft, und sich ihre Folgen auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären.
16Wie der Senat im Zusammenhang mit § 651h III BGB bereits mehrfach entschieden hat, ist es in der Regel nicht zu beanstanden, dass ein Tatrichter die Covid-19-Pandemie grundsätzlich als außergewöhnlichen und unvermeidbaren Umstand wertet (vgl. nur BGH NJW-RR 2024, 466 Rn. 17). Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH ECLI:EU:C:2023:449 Rn. 45 = EuZW 2023, 709 = RRa 2023, 183 – UFC; EuGH ECLI:EU:C:2024:188 Rn. 48 = EuZW 2024, 436 = RRa 2024, 62 – Kiwi Tours).
17b) Im Streitfall war die Bekl. nach den Feststellungen des BerGer. nicht schon durch die Covid-19-Pandemie an der Erfüllung des Vertrags gehindert, sondern aufgrund des Umstands, dass hinsichtlich des Sohns des Kl. ein Infektionsverdacht bestand, der einer Teilnahme an der Reise entgegenstand.
18Ausschlaggebend ist deshalb, ob ein allein in der Person eines Reisenden liegender Umstand als unvermeidbar und außergewöhnlich iSv § 651h IV 1 Nr. 2 BGB angesehen werden kann. Diese Frage ist entgegen der Auffassung des BerGer. zu verneinen.
19aa) Nach der Rechtsprechung des BGH zu § 651j I BGB in der bis 31.7.2017 geltenden Fassung war die Kündigung eines Pauschalreisevertrags wegen nicht voraussehbarer, höherer Gewalt nicht möglich, wenn die Ursache der Leistungsstörung in der Risikosphäre des Unternehmers oder des Reisenden liegt (BGHZ 100, 185 = NJW 1987, 1938 = NJW-RR 1987, 1000 Ls.; BGHZ 109, 224 = NJW 1990, 572 = NJW-RR 1990, 312 Ls.; BGH NJW 2013, 1674 = RRa 2013, 108; BGHZ 215, 81 Rn. 13 = NJW 2017, 2677).
20Für die Frage, ob unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände iSv § 651h IV 1 Nr. 2 BGB gegeben sind, gilt nichts anderes.
21Wie bereits oben dargelegt wurde, fallen unter § 651h IV 1 Nr. 2 BGB nur Umstände, die nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich darauf beruft. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn der betreffende Umstand in die Risikosphäre der Vertragspartei fällt, die aus dem Umstand eine ihr günstige Rechtsfolge ableiten will.
22bb) Dieses Verständnis steht in Einklang mit den Vorschriften über die Gewährleistung für Reisemängel.
23Nach der Rechtsprechung des BGH stellt die Nichterbringung von Reiseleistungen nur dann einen Mangel dar, wenn sie auf Gründen beruht, die nicht allein in der Person des Reisenden liegen (BGHZ 97, 255 Rn. 16 ff. = NJW 1986, 1748 = NJW-RR 1986, 852 Ls.,; BGH NJW-RR 2023, 755 Rn. 30 = RRa 2023, 116).
24Dies steht in Einklang mit der Vorgabe aus Art. 14 I und 3 RL (EU) 2015/2302, wonach der Reisende bei einer Vertragswidrigkeit keine Ansprüche auf Preisminderung und Schadensersatz hat, wenn der Reiseveranstalter nachweist, dass die Vertragswidrigkeit dem Reisenden zuzurechnen ist (vgl. BT-Drs. 18/10822, 83 zu § 651m I BGB und BT-Drs. 18/10822,84 unten).
25Auch vor diesem Hintergrund kann ein Hindernis, das bereits vor Beginn der Reise zutage getreten ist, nicht zum Wegfall des Vergütungsanspruchs nach § 651h IV 2 BGB führen, wenn der dafür maßgebliche Umstand allein in der Person des Reisenden liegt.
26c) Angesichts dessen begründet der hinsichtlich des Sohns des Kl. bestehende Infektionsverdacht keinen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand iSv § 651h IV 1 Nr. 2 BGB.
27aa) Rechtsfehlerfrei hat das BerGer. allerdings entschieden, dass das positive Ergebnis des durchgeführten PCR-Tests einen hinreichenden Grund bildete, dem Kl. und dessen Familie die Teilnahme an der Reise zu verweigern.
28Nach den Feststellungen des BerGer. war es auch im Falle einer nicht fachgerechten Abnahme der Speichelprobe unwahrscheinlich, dass trotz des positiven Ergebnisses keine Infektion vorlag. Das daraus resultierende Infektionsrisiko für andere Personen auf dem Kreuzfahrtschiff und die damit verbundenen Konsequenzen hat das BerGer. angesichts der damals herrschenden Umstände rechtsfehlerfrei als so gravierend angesehen, dass die Bekl. eine Erbringung der Reiseleistungen zu Recht abgelehnt hat.
29bb) Die Voraussetzungen von § 651h IV 1 Nr. 2 BGB sind im Streitfall aber deshalb nicht erfüllt, weil der für die Verweigerung der Teilnahme maßgebliche Umstand allein in der Person eines Reisenden lag und damit der Risikosphäre des Kl. zuzurechnen ist.
30Ein der Risikosphäre des Reisenden zuzurechnender Grund liegt grundsätzlich vor, wenn der Reisende zur Teilnahme an der Reise nicht in der Lage ist, weil seine Gesundheit ihm dies nicht erlaubt (BGHZ 215, 81 Rn. 15 = NJW 2017, 2677). Der Umstand, dass aufgrund eines PCR-Tests mit positivem Ergebnis ein begründeter Verdacht auf eine Covid-19- Infektion besteht, der einer Teilnahme an der Reise entgegensteht, ist nicht anders zu beurteilen (ebenso Schmidt COVID-19/Staudinger/Achilles-Pujol, 3. Aufl. 2021, § 7 Rn. 27; Staudinger/Ruks DAR 2020, 314 (315)), Effer-Uhe/Mohnert/Meier Vertragsrecht in der Coronakrise, 175, 188 f.).
31Dass eine Quarantäneanordnung nicht beeinflussbar ist, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung (anders wohl: Führich NJW 2020, 2137 Rn. 8 f.; Tonner RRa 2021, 55 (57)). Entscheidend ist, aus welchen Gründen es zu einer solchen Maßnahme kommt. Liegen die Gründe in der persönlichen Sphäre des Reisenden, ist die behördliche Maßnahme lediglich die Folge eines Umstandes, den der Reisende beeinflussen kann.
32Dass eine Infektion oder Erkrankung – insbesondere eine Infektion mit Covid-19 im September 2021 – auch bei Anwendung größter Sorgfalt nicht mit absoluter Sicherheit verhindert werden kann, führt ebenfalls nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Maßgeblich ist, dass der Reisende die Umstände, die zu einer Erkrankung oder Infektion führen können, jedenfalls in gewissem Umfang beeinflussen kann, während dies dem Reiseveranstalter grundsätzlich nicht möglich ist.
33cc) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine erhebliche Beeinträchtigung iSv § 651h III 1 BGB vorliegt, sind individuelle Verhältnisse oder Eigenschaften des Reisenden nach der Rechtsprechung des Senats allerdings zu berücksichtigen, wenn sie für die Durchführbarkeit der Reise erst aufgrund von außergewöhnlichen Umständen im Sinne der genannten Vorschrift Bedeutung gewinnen und die daraus resultierenden Gefahren für den Reisenden dem gewöhnlichen Reisebetrieb im Buchungszeitpunkt noch nicht innegewohnt haben. Dies gilt nicht nur für einfach festzustellende Umstände wie zum Beispiel das Alter des Reisenden, sondern grundsätzlich für jeden Umstand, der zu einer Beeinträchtigung im genannten Sinne führen kann (BGH NJW-RR 2024, 466 Rn. 32; NJW-RR 2023, 1540 Rn. 48).
34Eine solche Konstellation ist im Streitfall jedoch nicht gegeben.
35Angesichts des kurzen Zeitraums zwischen Buchung und Reisebeginn war schon im Zeitpunkt der Buchung damit zu rechnen, dass eine Teilnahme an der Reise nicht möglich ist, wenn bei Reiseantritt der begründete Verdacht einer Covid-19-Infektion besteht.
362. Rechtsfehlerhaft ist das BerGer. davon ausgegangen, dass dem Kl. auch dann ein Anspruch auf vollständige Rückzahlung des Reisepreises zusteht, wenn die Voraussetzungen des § 651h IV 1 Nr. 2 BGB nicht gegeben sind.
37a) Das Gesetz enthält keine ausdrücklichen Regelungen zu der Frage, welche Ansprüche dem Reiseveranstalter zustehen, wenn er die Reiseleistungen verweigert, weil ein allein in der Person des Reisenden liegender Grund dessen Teilnahme an der Reise entgegensteht.
38aa) Sofern keiner der in § 651h IV BGB normierten Rücktrittsgründe vorliegt und die Leistungsverweigerung nicht durch in der Person des Reisenden liegende Gründe gerechtfertigt ist, stehen dem Reisenden die in § 651i III BGB vorgesehenen Gewährleistungsrechte zu.
39Wie bereits oben aufgezeigt wurde, stellt die Nichterbringung von Reiseleistungen einen Mangel dar, wenn sie auf Gründen beruht, die nicht allein in der Person des Reisenden liegen.
40bb) Der Fall, dass die Leistung zu Recht aus Gründen verweigert wird, die allein in der Person des Reisenden liegen, ist im Gesetz demgegenüber nicht ausdrücklich geregelt.
41In diesem Fall begründet die Nichterbringung der Reiseleistung keinen Mangel. Die §§ 651i ff. BGB sind deshalb nicht unmittelbar anwendbar. Sofern der Reisende den in seiner Person liegenden Grund nicht zum Anlass nimmt, vor Reisebeginn vom Vertrag zurückzutreten, ist auch der Tatbestand von § 651h I BGB nicht erfüllt.
42b) Entgegen der Auffassung des BerGer. rechtfertigt dies jedoch nicht ohne weiteres einen Rückgriff auf Vorschriften des allgemeinen Leistungsstörungsrechts oder des Werkvertragsrechts.
43Soweit das Pauschalreiserecht einen Sachverhalt nicht ausdrücklich regelt, ist vielmehr in erster Linie zu prüfen, ob das Pauschalreiserecht eine konkludente Regelung enthält oder ob Vorschriften aus diesem Rechtsgebiet zumindest entsprechend anwendbar sind.
44c) Auf die im Streitfall zu beurteilende Konstellation ist die Regelung in § 651h I und III BGB entsprechend anwendbar.
45aa) Wenn ein Reisender vor Beginn der Reise vom Vertrag zurücktritt, weil ihm eine Teilnahme aus in seiner Person liegenden Gründen nicht möglich ist, steht dem Reiseveranstalter gem. § 651h I 3 BGB ein Anspruch auf angemessene Entschädigung zu.
46Dieser Anspruch ist nach § 651h III BGB nur dann ausgeschlossen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Wie bereits oben aufgezeigt wurde, sind Umstände, die allein in der Person des Reisenden liegen, von dieser Ausnahmevorschrift grundsätzlich nicht umfasst. Ein Reisender, der aufgrund eines solchen Grundes zurücktritt, ist deshalb grundsätzlich zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet.
47bb) Für den Fall, dass der Reiseveranstalter dem Reisenden die Teilnahme an der Reise aus solchen Gründen zu Recht verweigert, kann nichts anderes gelten.
48Wie der Streitfall illustriert, gereicht es einem Reisenden zwar nicht ohne Weiteres zum Vorwurf, wenn er sich trotz eines allein in seiner Person liegenden Hinderungsgrundes am Abreiseort einfindet, weil ihm dieser Umstand zuvor nicht bekannt war. Wenn der Hinderungsgrund zutage getreten ist, können die daraus resultierenden Rechtsfolgen aber nicht davon abhängen, ob der Reisende diesen Umstand zum Anlass nimmt, von der Reise zurückzutreten, oder ob der Reiseveranstalter die Erbringung der Reiseleistung aufgrund dieses Umstands verweigert.
49d) Im Streitfall steht der Bekl. danach in entsprechender Anwendung von § 651h I 3 BGB eine angemessene Entschädigung zu.
50Die Höhe dieses Anspruchs bestimmt sich gem. § 651h II 1 BGB in erster Linie nach dem Vertrag und mangels einer wirksamen vertraglichen Regelung gem. § 651h II 2 BGB nach dem Reisepreis abzüglich des Werts der vom Reiseveranstalter ersparten Aufwendungen sowie abzüglich dessen, was er durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen erwirbt.
51In dieser Höhe darf die Bekl. die Rückzahlung des Reisepreises verweigern.
52e) Vor diesem Hintergrund kommt entgegen der Auffassung des BerGer. eine entsprechende Anwendung von § 645, § 648a oder § 314 BGB nicht in Betracht.
53aa) § 645 BGB ist nicht anwendbar, weil die aufgezeigten Regelungen des Pauschalreiserechts abschließend sind.
54Wie der Senat bereits entschieden hat, haben die Regeln über die reiserechtliche Gewährleistung Vorrang vor den Regelungen des allgemeinen Leistungsstörungsrechts (BGH NJW-RR 2023, 755 Rn. 30 = RRa 2023, 116; vgl. auch BT-Drs. 18/10822, 77 f.). Für eine ergänzende Anwendung von § 326 BGB ist auch im Anwendungsbereich von § 651h BGB kein Raum, denn § 651h BGB enthält eine umfassende Regelung über die Voraussetzungen und Folgen eines Rücktritts des Reisenden oder des Reiseveranstalters vor Beginn der Pauschalreise (BGH 28.1.2025 – X ZR 43/22, BeckRS 2025, 1014 Rn. 23 ff.; Bamberger/Roth/Geib BGB, 4. Aufl., BGB § 651h Rn. 4; Erman/Blankenburg BGB, 17. Aufl., BGB § 651h Rn. 18).
55Für § 645 BGB kann nichts anderes gelten.
56§ 645 BGB regelt einen besonderen Fall der Leistungsstörung beim Werkvertrag und modifiziert die allgemeinen Regelungen dahin, dass die Vertragsparteien in den erfassten Konstellationen die Vergütungsgefahr jeweils zu einem bestimmten Teil zu tragen haben. Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift kommt auch bei Werkverträgen über eine Personenbeförderung in Betracht (vgl. BGH NJW-RR 2024, 1243 Rn. 28). Sie war auch bei Reiseverträgen möglich, solange diese dem Recht des Werkvertrags unterlagen (vgl. BGHZ 60, 14 = NJW 1973, 318 Rn. 20 ff.).
57Wie oben aufgezeigt wurde, enthalten § 651h und die §§ 651i ff. BGB für den Fall, dass die Erbringung von Reiseleistungen verweigert wird, nunmehr eine abschließende Regelung (vgl. auch BT-Drs. 18/10822, 77 f.). Damit ist für einen ergänzenden Rückgriff auf § 645 BGB kein Raum mehr.
58bb) Die außerordentliche Kündigung eines Reisevertrags nach § 648a BGB oder § 314 BGB wegen Leistungshindernissen kommt ebenfalls nicht in Betracht.
59Die Voraussetzungen, unter denen die Vertragsparteien im Falle eines Leistungshindernisses vom Pauschalreisevertrag zurücktreten oder diesen kündigen dürfen, sind in § 651h und § 651l BGB umfassend geregelt. Für einen Rückgriff auf die allgemeine Regelung in § 314 BGB oder eine analoge Anwendung von § 648a BGB ist danach allenfalls in Konstellationen Raum, in denen die Kündigung auf andere Gründe gestützt wird (so auch Soergel/Eckert BGB, 13. Aufl. 2022, BGB § 651h Rn. 27).
60III. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 III ZPO).
61Das BerGer. hat – von seinem Standpunkt aus folgerichtig – keine Feststellungen dazu getroffen, ob die in Nr. 6.2 der Reisebedingungen vorgesehene Regelung über eine Entschädigungspauschale wirksam ist und – falls dies zu verneinen ist – ob und in welcher Höhe die Bekl. Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen Einnahmen erzielt hat.
62Die Sache ist deshalb an das BerGer. zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen treffen kann. Die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der für die Höhe der Entschädigung maßgeblichen Umstände obliegt dem Reiseveranstalter (BGH NJW 2022, 1808 Rn. 16).
Anmerkung Führich:
Mit dieser Entscheidung bestätigt der BGH seine frühere Rechtsprechung zur Kündigung wegen nicht voraussehbarer, höherer Gewalt nach § 651j I BGB aF (BGHZ 215, 81 = NJW 2017, 2677, bespr. von Führich LMK 2017, 398602). Danach war nach dem früheren Reisevertragsrecht die Kündigung ohne Entschädigung nicht möglich, wenn das Ereignis der betrieblichen Risikosphäre des Reiseveranstalters oder der persönlichen Sphäre des Reisenden, wie sein ungültiger Reisepass, zuzuordnen war. Nach dieser sogenannten Sphärentheorie waren Reisestörungen aus der Risikosphäre des Reisenden, wie seine plötzliche Erkrankung, seinem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen.
Bemerkenswert und zu begrüßen ist es, wenn der Senat an seiner damaligen Rechtsprechung auch bei der Auslegung des § 651h BGB festhält und einen der Risikosphäre des Reisenden zuzurechnenden Grund grundsätzlich auch dann sieht, wenn der Reisende an der Reiseteilnahme nicht in der Lage ist, wenn ein begründeter Verdacht auf eine Covid-19-Infektion besteht.
Dies muss auch für die Pandemiefälle der Jahre ab 2021 gelten, wenn – wie in dem entschiedenen Fall – von der Familie die Kreuzfahrt mitten in der Corona-Pandemie am 11.9.2021 für den Zeitraum vom 25.9.2021 bis 2.10.2021 für das westliche Mittelmeer mit Start in Mallorca gebucht wurde. Für diesen Reisezeitraum kann der Infektionsverdacht keinen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand iSd § 651h BGB begründen. Ein Reisender musste in dieser Zeit damit rechnen, dass seine Teilnahme an der Kreuzfahrt nicht möglich ist, wenn vor Reiseantritt der begründete Verdacht einer Covid-19-Infektion bei einem seiner teilnehmenden Familienmitglieder besteht. Dieser Umstand wird zu Recht der Risikosphäre des Reisenden zugerechnet, weil sich damit sein persönliches Risiko wie bei seiner Erkrankung verwirklicht. Ein Reisender, der sehenden Auges während der Pandemie Ende 2021 eine Pauschalreise bucht, kann nicht als schutzbedürftig iSd § 651h BGB angesehen werden. Mit zunehmender Dauer der Pandemie erscheint es angemessen, nicht nur einen begründeten Verdacht auf eine Covid-Infektion, sondern auch behördliche Reisehindernisse wie Einreiseverbote oder eine Quarantäne dem persönlichen Lebensrisiko des Reisenden zu zählen (Führich NJW 2022, 1641 (1644, 1645)).
Prof. Dr. Ernst Führich, Kempten

