RL (EU) 2015/2302 Art. 3 Nr. 12
, Art. 12 Abs. 2
a) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine erhebliche Beeinträchtigung i.S.v. § 651h Abs. 3 S. 1 BGB vorliegt, sind individuelle Verhältnisse oder Eigenschaften des Reisenden zu berücksichtigen, wenn sie für die Durchführbarkeit der Reise erst aufgrund der außergewöhnlichen Umstände im Sinne der genannten Vorschrift Bedeutung gewinnen und die daraus resultierenden Gefahren für den Reisenden dem gewöhnlichen Reisebetrieb im Buchungszeitpunkt noch nicht innegewohnt haben (Bestätigung von BGH, Urt. v. 30.8.2022 – X ZR 66/21, MDR 2022, 1400 = NJW 2022, 3707 = RRa 2022, 283 Rz. 63).
b) Dies gilt nicht nur für einfach festzustellende Umstände wie z.B. das Alter des Reisenden, sondern grundsätzlich für jeden Umstand, der zu einer Beeinträchtigung im genannten Sinne führen kann.BGH Urt. v. 23.1.2024 – X ZR 4/23
Vorinstanzen:
LG Düsseldorf – 22 S 98/22
AG Düsseldorf – 49 C 130/21
Aus den Gründen:
Die Beklagte hat gem. § 651h Abs. 1 S. 2 BGB ihren Anspruch auf den Reisepreis verloren, weil der Kläger nach § 651h Abs. 1 S. 1 BGB wirksam vor Reisebeginn vom Pauschalreisevertrag zurückgetreten ist. Damit ist die Beklagte zur Rückzahlung des gezahlten Reisepreises verpflichtet.15
Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Entschädigungsanspruch aus § 651h Abs. 1 S. 3 BGB, den die Beklagte dem Klageanspruch entgegenhalten könnte, nicht bejaht werden.16
Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Covid-19-Pandemie im Streitfall einen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand i.S.v. § 651h Abs. 3 S. 2 BGB darstellt.19
Dagegen hält die Auffassung des Berufungsgerichts, im Zeitpunkt des Rücktritts habe keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür bestanden, dass die Durchführung der Reise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigt werde, der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.20
Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Tatbestand von § 651h Abs. 3 BGB erfüllt ist, wenn schon vor Beginn der Reise außergewöhnliche Umstände vorliegen, die eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür begründen, dass die Reise oder die Beförderung zum Bestimmungsort erheblich beeinträchtigt ist …
Die Beurteilung, ob ein nicht zumutbares Risiko in diesem Sinne bestand, obliegt im Wesentlichen dem Tatrichter (BGH, Urt. v. 30.8.2022 – X ZR 66/21, MDR 2022, 1400 = NJW 2022, 3707 = RRa 2022, 283 Rz. 43 ff.; Urt. v. 28.3.2023 – X ZR 78/22, NJW-RR 2023, 828 = RRa 2023, 118 Rz. 23 ff.).21
Zu Recht ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass sich aus den vom Kläger vorgetragenen Umständen keine gesundheitlichen Risiken ergeben, die eine Durchführung der Reise grundsätzlich als unzumutbar erscheinen lassen.31
Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht hingegen den Vortrag des Klägers zu einer internistischen Vorerkrankung seiner Ehefrau und daraus resultierenden besonderen Risiken als nicht entscheidungserheblich angesehen.
[Im Anschluss an den LS zu a:]MDR 2024, 42633
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts gilt dies nicht nur für einfach festzustellende Umstände wie z.B. das Alter des Reisenden, sondern grundsätzlich für jeden Umstand, der zu einer Beeinträchtigung im genannten Sinne führen kann.34
Wie das Berufungsgericht im Ansatz zu Recht ausgeführt hat, liegt es grundsätzlich allerdings im Risikobereich des Reisenden, ob er aufgrund seiner persönlichen Umstände in der Lage ist, die Mühen und Risiken, die mit der Reise verbunden sind, zu meistern. Dem Reisenden ist es grundsätzlich möglich und zumutbar, selbst einzuschätzen, ob er die individuellen Anforderungen erfüllt, um die Reise absolvieren zu können. Deshalb hat er grundsätzlich das Risiko einer diesbezüglichen Fehleinschätzung zu tragen.35
Etwas anderes gilt indes für Besonderheiten, die erst aufgrund von nachträglich aufgetretenen außergewöhnlichen Umständen Bedeutung für die Durchführbarkeit der Reise erlangt haben. In einer solchen Konstellation beruht eine auftretende Beeinträchtigung nicht auf einer Fehleinschätzung des Reisenden, sondern auf objektiven Umständen. Daraus resultierende Risiken hat der Reiseveranstalter nach Maßgabe von § 651h Abs. 3 BGB zu tragen. Hierbei ist unerheblich, ob diese Umstände dem Reiseveranstalter bei Vertragsschluss bekannt waren.37
Auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen kann nicht abschließend beurteilt werden, ob die Durchführung der Reise für die Ehefrau des Klägers und für die übrigen Reisenden mit einer erheblichen Beeinträchtigung i.S.v. § 651h Abs. 3 BGBverbunden gewesen wäre.38
Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob die Ehefrau des Klägers aufgrund der – als solche nicht bestrittenen – internistischen Vorerkrankungen und der eingesetzten biologischen Herzklappe in der Pandemie besonderen Risiken ausgesetzt war, die die Durchführung der Reise unzumutbar machen.39
Das Berufungsgericht wird deshalb nach der Zurückverweisung zu beurteilen haben, ob Risiken der genannten Art durch das vom Kläger vorgelegte Attest oder sonstige Umstände bewiesen sind und ob sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung führen.40
Hierbei wird es zu berücksichtigen haben, dass bei der gemeinsamen Buchung einer Reise für eine Familie eine erhebliche Gesundheitsgefährdung für ein Familienmitglied in der Regel auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung für die anderen Familienmitglieder führt (vgl. dazu BGH, Urt. v. 28.3.2023 – X ZR 78/22, NJW-RR 2023, 828 = RRa 2023, 118 Rz. 46). [Rz. 41–42]
Quelle: MDR

