Der Sommerurlaub ist in diesem Jahr so teuer wie noch nie. Das liegt nicht nur an der Inflation.
Business Insider hat bei Brancheninsider recherchiert, wie die Tourismusindustrie hinter den Kulissen ihre Preise bei Pauschalreisen kalkuliert und mit welchen Mitteln sie an der Preisschraube dreht.
Wer seine Reise nicht antritt, muss mit hohen Stornokosten rechnen. Doch ein Experte erklärt, dass sich ein Widerspruch lohnen kann.
Millionen Deutsche sehnen den Sommerurlaub herbei. Sie wollen sich am Strand oder in den Bergen von ihrem Alltagsstress und der Weltlage erholen. Doch nie war die kostbare Auszeit so teuer wie heute. Die Reisebranche erlebt in dieser Urlaubssaison einen Nachfrageboom. Zusätzlich treibt die Inflation die Preise für Flüge und Hotels in ungekannte Höhen.
Der Trend hält an, obwohl sich der allgemeine Preisanstieg verlangsamt. Das zeigen Daten des Statistischen Bundesamtes. So verteuerten sich Pauschalreisen im März gegenüber dem Vorjahresmonat um rund 13 Prozent. Aufmerksam registriert von Verbrauchern, die durch die Inflation ohnehin preissensibel sind.
Business Insider hat bei Reiseveranstaltern und Brancheninsidern recherchiert, wie die milliardenschwere Tourismusindustrie hinter den Kulissen ihre Reisepakete schnürt, wieso die Urlaubspreise steigen – und worauf Kunden achten sollten.
Wie Reisekonzerne für eine Pauschalreise einkaufen
Reiseveranstalter wie TUI, DER Touristik oder FTI kombinieren bei Pauschalreisen Flüge mit Hotels. Daher basieren ihre Kalkulationen auf den Einkaufspreisen. Ein Brancheninsider schätzt, dass bei einer Reise nach Mallorca rund 60 Prozent für die Unterkunft und 30 Prozent für den Flug veranschlagt werden. Fünf bis sechs Prozent entfielen auf die Betreuung am Reiseort – der Rest bleibe als Marge für den Veranstalter: also etwa vier bis fünf Prozent des Preises. Bei einer 2000-Euro-Reise wären das 100 Euro.
Das klingt einfach, doch zahlen die Tourismuskonzerne für die gleichen Betten oder Flüge nicht immer gleich viel. Sie sichern sich einzelne Kontingente und Optionen zu unterschiedlichen Tarifen. Es geht um Mengen und das Timing. Anfangs sind die Preise günstig, denn frühe Verkäufe sorgen bei allen für Planungssicherheit.
„Die ersten Kontingente werden teilweise schon ein Jahr vorher zur Verfügung gestellt“, sagt Aage Dünhaupt, Kommunikationsdirektor bei TUI. Bei der TUI steht bis zum Spätherbst das Programm für den nächsten Sommer. Zum Jahreswechsel läuft das Geschäft mit Rabatten für Frühbucher richtig an. Sie stellen die Auslastung von Flugzeugen und Hotels sicher.
Mehr Frühbucher, teurere Flüge, freiere Hoteliers: Darum steigen die Preise für Pauschalreisen
Der Reisemarkt hat seine eigenen Gesetze. Je näher die Sommersaison rückt, desto eher steigen die Preise. Das bekommen Reisewillige diesmal besonders zu spüren. Die Inflation ist enorm, die Nachfrage ist es allerdings auch. „In diesem Jahr kommen erstmals die Frühbucher wieder mit einem großen Volumen auf den Markt“, sagt Dünhaupt. Das macht auch günstige Last-Minute-Angebote unwahrscheinlicher.
Als Preistreiber bei Pauschalreisen werden vor allem steigenden Flugpreise gesehen. So ergab eine neue Auswertung des Preisvergleichsportals Idealo (gehört auch zu Axel Springer) für Business Insider, dass Flüge nach Spanien in der kommenden Ferienzeit rund 14 Prozent teurer sind als im Vorjahr. Fluggesellschaften begründen die Steigerungen hauptsächlich mit hohen Kerosinpreisen.
In einem Bericht des ARD-Magazins Plusminus hieß es unter Berufung auf Branchenkreise auch, dass die Reiseveranstalter darum kleinere Flugkontingente vorhielten als in der Vergangenheit. Mit der Folge, dass sie teuer Kapazitäten in Maschinen nachkaufen müssten, sogenannte X-Flüge. Ähnlich wie beim Strom gibt es für Flüge einen Spotmarkt mit tagesaktuellen, meist höheren Preisen als bei langfristigen Käufen.
Hoteliers nicht mehr auf Reiseveranstalter angewiesen
Für TUI kann Dünhaupt das jedoch nicht bestätigen. Sein Unternehmen habe wohl noch nie so viele Kontingente eingekauft wie jetzt, sagt er. Hinzu kommt allerdings, dass der Reisekonzern mit TUI Fly über eine eigene Airline verfügt, die laut Dünhaupt zwischen 50 und 60 Prozent der benötigten Kapazitäten abdeckt.
Höhere Nachfrage, teurere Flüge – bleiben die Hotels. Wer Betten hat, sei König, sagt jemand, der sich im Tourismus auskennt. Die deutschen Marktführer verfügen über eigene Hotels, Beteiligungen oder exklusive Verträge mit Betreibern. Doch nach der Pleite von Thomas Cook wollten sich viele Hoteliers nicht auf einen Veranstalter festlegen, berichtet ein Insider.
Durch die hohe Nachfrage können Hotelbetreiber selbstbewusster mit den Reiseveranstaltern umgehen. Früher boten sie schnell Sonderkonditionen an, wenn ein Leerstand drohte. Das soll sich geändert haben, berichtet ein Beobachter. Die Hoteliers zuckten nicht mehr so schnell, weil sie wüssten, dass auf den letzten Metern noch jemand kommt. In Südtirol etwa, heißt es von Reisebüros, seien die Hoteliers gar nicht mehr auf Reiseveranstalter angewiesen, sondern bekämen ihre Zimmer auch so an den Mann oder die Frau. Sie könnten sich so die Vermittlungsgebühr, die sie eigentlich an den Reiseveranstalter zahlen, in die eigene Tasche stecken.
Für Hotelbetten gibt es im Tourismusmarkt auch große Vermittler. Dienstleister wie das Unternehmen Hotelbeds, früher TUI, sind als Bettenbanken bekannt. „Da die Veranstalter vermehrt auf Bettenbanken und X-Flüge angewiesen sind, haben sie weniger Kontrolle über die Verfügbarkeit und die Bedingungen der Buchungen“, sagt jemand, der Jahrzehnte in der Branche verbracht hat. Eine Folge: Schlechtere Konditionen „im Vergleich zum klassischen Kontingents-Einkauf“, so der Experte. Das könne zu höheren Kosten und geringeren Margen führen.
Was viele nicht wissen: Pauschalreise ist auch nicht gleich Pauschalreise. Neben den klassischen Angeboten spielen im Onlinegeschäft dynamische Reisen, sogenannte X-Reisen, zunehmend eine Rolle. Sie werden mithilfe von Datenbanken tagesaktuell aus freien Kapazitäten von Airlines und Hotels zusammengestellt. Ob TUI, Alltours oder FTI – sie alle haben für X-Reisen eigene Vertriebslinien. Aus einem Konzern ist zu hören, die X-Reisen machten heute zehn Prozent des Geschäfts aus. Branchenexperten gehen bei größeren Anbietern von einem doppelt so hohen Anteil aus.
Ein Nachteil dieser Reisen sind nicht nur häufig höhere Stornokosten. Ob man nun bei einem X-Reiseveranstalter bucht oder beim Mutterkonzern, ist auf der Buchungsseite des jeweiligen Veranstalters auch nicht immer sofort ersichtlich, steht gern mal im Kleingedruckten. Wirklich mit der Reise rechnen kann man dann nur, wenn man eine endgültige Bestätigung hat – darauf verlassen, dass es die Reise gibt, auch wenn sie laut System verfügbar ist, kann man sich nicht. So gab es laut Reisebüros vor allem voriges Jahr immer wieder Kritik von Kunden, dass ein großer Reiseveranstalter nach der Buchung die Reise nicht bestätigt hat und Kunden dieselbe Reise beim Mutterkonzern verkaufte – nur für ein paar Hundert Euro teurer.
So drehen die Veranstalter an der Preisschraube
Wer in diesem Jahr nicht schnell seinen Sommerurlaub buchte, musste mitansehen, wie die Preise sich binnen weniger Wochen seit Jahresbeginn in die Höhe schraubten. Kostete beispielsweise ein zweiwöchtiger Aufenthalt in einem TUI Kids Club Hotel in Süd-Italien mit All Incusive für zwei Erwachsene und zwei Kinder Mitte Januar 7800 Euro, lag der Preis nur vier Wochen später bei mehr als 9000 Euro.
Aber wie machen die Reiseveranstalter das – und nach welchen Kriterien? Dahinter stehen die IT-Systeme der Unternehmen, die registrieren, wie viele Buchungen zu welchem Zeitpunkt eingehen und die Preise automatisch steuern. Gibt es etwa im Januar und Februar mehr Verkäufe als sonst, ziehen die Preise an.
Ein Insider berichtet von Preispunkten auf einer Kurve. Nehmen die Käufe bei einem Preisanstieg ab, geht es um die Frage, ob die Reise günstiger werden sollte – oder ob historische Buchungsdaten erwarten lassen, dass die Nachfrage anzieht. Die Fachleute sprechen bei den laufenden Anpassungen vom Yield Management, zu Deutsch: Ertragsmanagement. Offenbar richtet sich die Preiskurve auch nach der Konkurrenz. Ein Branchenkenner sagt: „Die Veranstaltersysteme sind in der Lage, Preise von anderen Veranstaltern zu analysieren und sie je nach Bedarf nach oben oder unten anzupassen.“
Hohe Stornokosten und verschobene Flüge
Je mehr ein Urlaub kostet, desto schmerzhafter wird es, ihn wieder zu stornieren. Zwar ist es einem Reisenden bei einer Pauschalreise mit mindestens zwei Reiseleistungen wie Flug und Hotel gesetzlich erlaubt, jederzeit von seinem Vertrag zurückzutreten. Aber der Veranstalter kann eine „angemessene Entschädigung“ als Stornokosten fordern. Dann geht es ums Kleingedruckte: Die Anbieter dürfen Pauschalen festlegen für das, was sie als angemessen ansehen. Je näher der Reisetermin rückt, desto teurer wird der Rücktritt.
„Das Stornieren war immer ein Problem“, sagt der renommierte Reiserechtsexperte Professor Ernst Führich. Er mutmaßt, dass im „sogenannten nicht-operativen Bereich mehr verdient wird als im operativen Geschäft“. Im Klartext: Mit den eigentlichen Reisen wird weniger verdient als mit dem Drumherum. Für klassische Pauschalreisen mit Flug verlangen Reiseveranstalter bis 30 Tage vor Abreise zwischen 15 und 40 Prozent des Preises als Stornogebühr, ergab eine Stichprobe von Business Insider. Kurz vor Reisebeginn auch 80 oder bei einigen Reisezielen gar 90 Prozent.
Zwar stehen die Storno-Pauschalen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Reisekonzerne. „Trotzdem kann der Kunde widersprechen und sagen: Das zahle ich nicht, weil er das gesetzliche Recht zum Gegenbeweis hat, dass ein geringerer Schaden als die Pauschale entsteht“, sagt Führich. Über dieses Recht zum Gegenbeweis müsse der Veranstalter in seinen AGB ausdrücklich belehren, betont Führich. Geht es vor Gericht, muss der Veranstalter nachweisen, dass die Stornogebühr angemessen ist. Das sei ein „Risiko für den Veranstalter“, so Führich. „Und wer lässt sich schon gerne in seine Kostenkalkulation sehen.“ Aus Reisebüros ist zu hören, dass sich Firmen mitunter kulant zeigen, wenn Kunden darauf drängen, die genauen Kosten offenzulegen.
Oftmals wollen Menschen auch am liebsten stornieren, weil der Veranstalter kurzfristig die Flugzeiten verändert. Bei der Verbraucherzentrale in Bayern häufen sich Beschwerden darüber, dass sich Flüge um mehrere Stunden verschieben. Geht es um vier Stunden oder mehr, kann es sich laut Führich um eine „erhebliche Leistungsänderung“ handeln. In diesem Fall wäre es möglich, ohne Stornogebühren von der Gesamtreise zurückzutreten – oder zumindest nach der Reise eine Preisminderung zu verlangen.
Führich betont, dass der Reisende einer angekündigten Flugzeitänderung ausdrücklich in der vom Veranstalter genannten Frist widersprechen müsse, wenn er der Änderung nicht zustimmen wolle. Nach Ablauf der Frist gelte die Änderung als Ersatzreise „stillschweigend angenommen“. Allerdings: Ein Widerspruch führt zum Rücktritt vom Vertrag – der Urlauber kann nicht verreisen.
Der Pauschalreisende muss eine Flugänderung auch dann akzeptieren, wenn er nachweisen kann, dass der Reiseveranstalter seinen ursprünglichen Flug weiterhin anbietet. Der Reisende habe keinen Rechtsanspruch auf diesen konkret gebuchten Flug, sondern nur auf „einen Flug im Rahmen der unerheblichen Änderung innerhalb eines Zeitfensters von vier Stunden“, sagt Führich unter Hinweis auf die neuere Rechtsprechung.
Quelle: Business Insider

