Von Drei-Stunden-Regelung bis Anzahlung: Die ungarische EU-Ratspräsidentschaft hat einen Kompromiss für die Novelle der Pauschalreise-Richtlinie vorgelegt.
Welche Streitpunkte damit aus dem Entwurf der EU-Kommission verschwinden könnten.Das Echo auf den Entwurf der Pauschalreise-Richtlinie kam einem Aufschrei gleich. Verbände und Unternehmen werteten das Papier der Europäischen Kommission als praxisfernes Bürokratiemonster und forderten erhebliche Nachbesserungen. Auch die Bundesregierung stellte sich hinter die Forderungen der Touristiker.
Nun könnten viele strittige Punkte aus dem Entwurf verschwinden. Denn auch andere Länder in der EU sind nicht einverstanden mit dem Papier. „Auf Ratsebene scheinen die Mitgliedstaaten die meisten der wichtigsten Vorschläge der Kommission abgelehnt zu haben“, sagt Benoit Chantoin, Direktor für Recht und Verbraucherfragen beim Verband der europäischen Reisebüros und Reiseveranstalter (Ectaa).
Hoffnung für eine Rolle rückwärts gibt der Branche ein Kompromissvorschlag, den die ungarische EU-Ratspräsidentschaft erarbeitet hat. Das 33 Seiten lange Dokument liegt fvw|TravelTalk vor – und es liest sich ganz anders als der Entwurf der Kommission. „Mit diesem Papier setzen sich die Mitgliedstaaten nun auseinander“, sagt Benoit Chantoin.
Das sind die drei wichtigsten Punkte, die überarbeitet wurden: die neue Definition der Pauschalreise und der verbundenen Reiseleistung, die zuvor vor allem um die Drei-Stunden-Regel kreiste; die kostenfreie Stornierung bei außergewöhnlichen Umständen und die Anzahlungsregelung.
Zur neuen Definition der Pauschalreise
Ein neues Verständnis von der Pauschalreise und den verbundenen Reiseleistungen war ein Herzstück im Entwurf der EU-Kommission. Die Drei-Stunden-Regel war dabei das Kriterium. Wenn Reisebüros oder Online-Anbieter unterschiedliche Leistungen binnen drei Stunden (oder unter bestimmten Bedingungen auch innerhalb von 24 Stunden) vermitteln, sollte dies künftig als Pauschalreise gelten – andernfalls ist es eine verbundene Reiseleistung.
Im Vorschlag der ungarischen Ratspräsidentschaft ist keine Rede mehr von den drei Stunden. Zwei Optionen gibt es jetzt. Die erste: Die verbundene Reiseleistung komplett zu streichen. Die zweite: Bei Buchungen unterschiedlicher Leistungen soll das Übermitteln personenbezogener Daten an Dritte ausschlaggebend sein, um zwischen verbundener Reiseleistung und Pauschalreise zu unterscheiden.
Die Verbundene Reiseleistung
Als die neue Pauschalreise-Richtlinie 2018 in Kraft trat, wurde die Kategorie „Verbundene Reiseleistung“ neu aufgenommen. Reiseleistungen gelten als verbunden, wenn ein Händler (etwa ein Reisebüro) die Buchung einer oder mehrerer weiterer Dienstleistungen für den Zweck derselben Reise vermittelt. Das geschieht jedoch auf der Grundlage separater Verträge. Wichtig: Es handelt sich dabei nicht um eine Pauschalreise. Die Verbundene Reiseleistung gilt auch nur, wenn die zweite Reiseleistung von einem anderen Anbieter innerhalb von 24 Stunden nach der Buchungsbestätigung der ersten Leistung erfolgt. Wenn ein Reisebüro sicherstellen will, dass es eine „Verbundene Reiseleistung“ verkauft und damit kein Risiko hat, in die Veranstalter-Haftung zu kommen, muss es die Leistungen separat auswählen und buchen und darf keine Gesamtrechnung für alle Leistungen gebündelt ausstellen.
Für Online-Buchungen, etwa von Flügen und Unterkünften (so genannte Click-Through-Reisen), gilt: Es handelt sich um Pauschalreisen, wenn der erste Dienstleistungsanbieter Namen, E-Mail-Adresse und Zahlungsdaten an den zweiten Anbieter weiterleitet und der zweite Vertrag innerhalb von 24 Stunden nach dem ersten Vertrag abgeschlossen wird. Wenn keine Übertragung der Daten stattfindet, gelten die Buchungen als Verbundene Reiseleistungen.
Online-Buchungsvorgänge werden laut Vorschlag der Ratspräsidentschaft zur Pauschalreise, wenn nur eine dieser personenbezogenen Daten übermittelt wird: Name oder Zahlungsdaten oder E-Mail-Adresse oder Telefonnummern oder Social-Media-Konto des Reisenden. Die Daten seien ein Indikator dafür, dass verschiedene Buchungen eng zusammenhängen – und deshalb als Pauschalreise behandelt werden sollten, heißt es. In der aktuell gültigen Richtlinie müssen alle drei Angaben übermittelt werden, damit es sich um eine Pauschalreise handelt – sowohl die Namen der Reisenden als auch die Zahlungsdaten und die E-Mail-Adresse. Manchen Anbietern wird vorgeworfen, mit dem Weglassen eines Details die Pauschalreise zu umgehen.
Fraglich ist noch, ob die zweite Buchung innerhalb eines Tages nach der ersten erfolgen muss, um als Teil der Pauschalreise zu gelten. „Ich kann damit leben, dass eine der übermittelten personenbezogenen Daten ausreicht, damit die Buchung zu einer Pauschalreise führt“, sagt Michael Buller, Vorstand des Verbands Internet Reisevertrieb (VIR). „Es ist aber wichtig, dass die 24 Stunden in der Richtlinie bleiben. Sonst könnten ein Online-Vermittler oder ein Reisebüro, die Monate nach der ersten Buchung etwas Ergänzendes hinzubuchen, etwa ein Hotel zum Flug oder einen Mietwagen, zum Pauschalreise-Anbieter werden und in die Haftung kommen.“
Zur kostenfreien Stornierung bei außergewöhnlichen Umständen
Die „unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstände“, die Kunden zur kostenfreien Stornierung berechtigen, beschränken sich heute auf die „Umstände“ am Urlaubsort. Das können Naturkatastrophen wie etwa ein Vulkanausbruch sein. Der Entwurf der EU-Kommission jedoch sieht vor, die Umstände auf den Abreiseort auszudehnen. Im Klartext: Sollte es zu unvorhergesehenen Situationen am Abflugort kommen, könnte der Kunde die Reise kostenfrei stornieren und das Geld vom Veranstalter zurückerhalten.
Die Ratspräsidentschaft hält an der strittigen Regelung fest. Das hätte negative Folgen, sind sich die Touristiker einig. Das sei eine Risikoverlagerung auf den Veranstalter, kritisiert etwa der DRV. Auch Buller hat die Beibehaltung überrascht und hält diese für nicht angemessen.
„Das ist das Allerschlimmste“, sagt auch Harald Rutert, Generalbevollmächtigter von Schauinsland-Reisen. „Es wird hier in einen ohnehin schon gut geschützten Bereich eingegriffen, ohne dass es von Verbraucherseite gravierende Probleme gibt.“ Selbst Felix Methmann, Leiter Team Recht und Handel des Bundesverbands Verbraucherzentrale, sagt: „Die EU-Kommission ist da über das Ziel hinausgeschossen.“ Zudem macht die Regelung die Pauschalreise voraussichtlich sehr teuer. Andreas Zollner, Geschäftsführer von Touristik Assekuranz-Service, schätzt, dass die Veranstalter „mit einem ähnlichen Zahlungsvolumen zu rechnen haben“ wie bei Vorkommnissen am Urlaubsort.
Auch die Regeln zur Rückzahlung der Kundengelder sollen überarbeitet werden. In der Pandemie hatte es teilweise Monate gedauert, bis die Kunden ihr Geld nach den Reiseabsagen zurückbekamen. Die Zahlungsfrist von 14 Tagen hielt so gut wie keiner ein. Deshalb regelt die Novelle, dass Leistungsträger innerhalb von sieben Tagen Vorauszahlungen rückerstatten. Das soll den Veranstaltern ermöglichen, den Reisenden in 14 Tagen das Geld zu erstatten.
Rutert skizzierte auf der VUSR-Tagung, warum die Kommission die „falschen Lehren“ ziehe: Ein Hotelier werde bei einer solchen Regelung seine Zimmer nicht mehr über einen Veranstalter, sondern lieber direkt verkaufen, ist er überzeugt. „Denn sollte es zu außergewöhnlichen Vorkommnissen am Abflugort kommen, darf der Kunde kostenfrei zurücktreten und der Hotelier muss dem Veranstalter innerhalb von sieben Tagen das Geld zurückzahlen.“
Die Regelung schwäche die Pauschalreise, fürchten viele Touristiker. Zumal der Marktanteil der organisierten Reise am Gesamtumsatz des Reisemarktes in den vergangenen Jahren bereits gesunken ist: von 50,9 Prozent (2019) auf 47,2 Prozent im Jahr 2023.
Zur Regelung der Anzahlung
Auch die Anzahlungsregelung wollte die Europäische Kommission ändern. Zahlungen zum Zeitpunkt der Buchung oder kurz danach sollten nicht mehr als 25 Prozent des Gesamtpreises der Pauschalreise betragen. Den Passus (Paragraph 12) hat die Ratspräsidentschaft jetzt ersatzlos gestrichen. „Die Mitgliedstaaten können es so handhaben, wie es das Gesetz in dem jeweiligen Land vorsieht“, erklärt Buller.
Keine Absicherung von Einzelleistungen
Ein heiß diskutiertes Thema im Zuge der Novellierung ist eine mögliche Absicherung von Einzelleistungen, die vor allem von VUSR und TUI favorisiert wird. Doch für eine Absicherung im Sinne des Pauschalreiserechts inklusive Beistandspflicht, Haftung und Insolvenzschutz ließen sich kaum Mitstreiter finden. Selbst VUSR-Chefin Marija Linnhoff räumte bei ihrer Jahrestagung ein: „Die Absicherung von Einzelleistungen werden wir nicht schaffen, außer vielleicht bei den Flügen. Aber dass die Richtlinie weniger kompliziert ist, sollten wir hinkriegen.“
Mehr Kundenaufklärung gefordert
Einig sind sich Verbraucherschutz, Verbände und Touristikunternehmen, dass die Reisenden besser wissen sollten, womit sie es bei der Buchung zu tun haben – ob mit einer Pauschalreise oder mit einer Einzelleistung. „Verbraucher müssen transparent über die Unterschiede der Reiseformen und die jeweilige Absicherung informiert werden. Dann können sie sich ganz bewusst für oder gegen eine Pauschalreise entscheiden – und damit für oder gegen die Sicherheit der Pauschalreise“, unterstreicht der DRV. Roosbeh Karimi, beratender Anwalt des VUSR, setzt sich für eine Lösung vergleichbar mit dem Warnhinweis auf Zigarettenschachteln ein, „damit die Verbraucher einen eindeutigen Hinweis bekommen“. Die Ratspräsidentschaft ist auf die Forderungen eingegangen. Von einem „deutlich sichtbaren Hinweis“ vor dem Abschluss eines zweiten Vertrags ist die Rede.
Michael Buller, Vorstand Verband Internet Reisevertrieb (VIR)
Wie geht es nun weiter – und welchen Einfluss hat das Aus der Ampel? Je nach Ausgang der Neuwahlen könnte sich Deutschlands Position zur Richtlinie ändern. „Der aktuelle Wechsel im Justizministerium kommt zum ungünstigsten Zeitpunkt“, sagt VIR-Chef Buller. Entscheidend ist jedoch, was in Brüssel geschieht. Ob das EU-Parlament zustimmt, ist noch offen. Klar ist: Das Ziel der EU-Kommission war, den Verbraucherschutz zu stärken. „In dem Vorschlag der Ratspräsidentschaft sind viele Punkte wieder gestrichen worden, das könnte einigen überhaupt nicht gefallen“, gibt Buller zu Bedenken.
Weitere Gesetzgebung
Im Januar 2025 geht die Ratspräsidentschaft auf Polen über und wird erfahrungsgemäß an die bisherige Arbeit des Rates anknüpfen. Auch wenn diese für den Reisesektor bisher ermutigend gewesen sei, müsse die Touristik nun die „Stellungnahme des Europäischen Parlaments abwarten, um eine bessere Vorstellung davon zu bekommen, was beibehalten und was abgelehnt werden wird“, sagt Benoit Chantoin von Ectaa. Er rechnet damit, dass das Parlament in der zweiten Jahreshälfte 2025 oder Anfang 2026 seinen endgültigen Standpunkt festlegt, je nachdem „wie reibungslos die Verhandlungenlaufen“.
Quelle: FVW

