Im Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 24. September 2024 (X ZR 109/23), seit heute veröffentlicht ist, wurde eine wegweisende Entscheidung in Sachen Fluggastrechte getroffen, die die Rechte von Passagieren bei Annullierungen von Flügen weiter stärkt.

Der Fall, der sich um eine Entschädigung für einen Passagier drehte, der im Sommer 2019 mit Easyjet von Berlin-Tegel nach Düsseldorf fliegen wollte, führte zu einer Klärung der Pflichten von Fluggesellschaften bei der Bereitstellung von Ersatzflügen.

Der BGH hob ein vorheriges Urteil des Berliner Landgerichts auf, das die Fluggesellschaft von ihrer Verantwortung entbunden hatte. Diese Entscheidung hat nicht nur rechtliche Bedeutung, sondern könnte auch die Handhabung von Flugannullierungen und -verspätungen in der Luftfahrtindustrie nachhaltig beeinflussen.

Der Fall: Annullierung und die Ersatzflüge

Der Passagier, der ursprünglich mit Easyjet von Berlin-Tegel nach Düsseldorf fliegen wollte, erlebte im Juli 2019 eine unerwartete Wendung: sowohl der Hin- als auch der Rückflug wurden annulliert. Die Airline bot ihm Ersatzflüge an, allerdings ausschließlich eigene Flüge – entweder noch am selben Tag oder an späteren Tagen. Der Passagier entschied sich jedoch, die Bahn zu nehmen, anstatt den angebotenen Ersatzflug zu nutzen.

Nachdem der Passagier den Fall an das Fluggastrechteportal Flightright abtrat, zog das Unternehmen die Fluggesellschaft vor Gericht. Das Amtsgericht Berlin-Wedding gab der Klage statt, doch das Landgericht wies die Klage in der Berufung ab. Es stützte sich auf die Argumentation der Airline, dass außergewöhnliche Umstände – wie ein Gewitter, das den vorausgehenden Flug verzögert hatte, und ein Nachtflugverbot, das den Rückflug verhinderte – die Annullierung und die verspäteten Ersatzflüge gerechtfertigt hätten. Zudem sei es der Fluggesellschaft nicht zumutbar, den ursprünglichen Flug nach Düsseldorf noch zu starten, da auch Personalengpässe und andere operative Probleme eine Rolle gespielt hätten.

Doch diese Sichtweise wurde vom BGH in seinem jüngsten Urteil korrigiert. Der Bundesgerichtshof stellte klar, dass es den Airlines nicht ausreicht, lediglich eigene Ersatzflüge anzubieten. Vielmehr müsse eine Fluggesellschaft, wenn möglich, auch frühere Flüge anderer Airlines als Ersatz anbieten. Das gilt insbesondere dann, wenn diese Flüge früher am Zielort ankommen würden. Dies gilt nur dann nicht, wenn keine entsprechenden Flüge anderer Airlines verfügbar sind oder es der Airline aus praktischen Gründen nicht möglich ist, diese anzubieten. In diesem Fall müsse die Fluggesellschaft jedoch nachweisen, dass dies der Fall ist.

Die rechtlichen Grundlagen: Flugrecht und Entschädigung

Das Urteil des BGH fußt auf den EU-Verordnungen 261/2004, die die Rechte von Fluggästen bei Flugverspätungen, Annullierungen und Nichtbeförderung regeln. Nach dieser Verordnung haben Passagiere bei Annullierungen in der Regel Anspruch auf Entschädigung, es sei denn, außergewöhnliche Umstände – wie extreme Wetterbedingungen oder Sicherheitsrisiken – machen die Ausführung des Fluges unmöglich. Wenn jedoch ein Flug annulliert wird und Ersatzflüge angeboten werden, müssen diese zum frühestmöglichen Zeitpunkt stattfinden, um die Unannehmlichkeiten für die Passagiere so gering wie möglich zu halten.

Die Fluggesellschaften sind auch verpflichtet, den Passagieren bei einer Annullierung oder Verspätung eine Entschädigung zu zahlen, wenn die Umstände nicht als außergewöhnlich anerkannt werden. In diesem Fall entschied der BGH, dass die Fluggesellschaft mehr tun muss, als nur eigene Ersatzflüge anzubieten. Der Passagier hatte demnach Anspruch auf eine Entschädigung von 250 Euro – auch wenn die Airline einige Flüge angeboten hatte, die zumindest innerhalb eines gewissen Zeitrahmens stattfinden konnten.

Diese Entscheidung ist ein weiterer Schritt in Richtung einer klareren und strengeren Durchsetzung von Fluggastrechten. Insbesondere wird durch das Urteil deutlich, dass Fluggesellschaften nicht nur für den Ersatz der Flüge verantwortlich sind, die sie selbst anbieten, sondern auch in der Pflicht stehen, die bestmögliche Lösung für ihre Passagiere zu finden, auch wenn dies die Koordination mit anderen Airlines erfordert.

Auswirkungen auf die Luftfahrtindustrie und Passagierrechte

Das Urteil des BGH könnte weitreichende Auswirkungen auf die Luftfahrtbranche haben. Einerseits wird es für Fluggesellschaften teurer, Ersatzflüge anzubieten, wenn sie auch Flüge anderer Airlines berücksichtigen müssen. Andererseits könnte das Urteil zu einer verbesserten Dienstleistung für Passagiere führen, die im Falle einer Annullierung eher mit früheren Flügen an ihr Ziel gelangen können. Diese Entscheidung stärkt die Rechte der Passagiere und sorgt für mehr Transparenz und Fairness im Umgang mit Flugannullierungen und -verspätungen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass das Urteil dazu beiträgt, die Verantwortung der Airlines zu definieren, wenn es um die Art und Weise geht, wie Ersatzflüge angeboten werden. Die bisherige Praxis, nur eigene Ersatzflüge anzubieten, wird durch das Urteil auf den Prüfstand gestellt. Künftig könnte es für Passagiere einfacher werden, frühere Verbindungen zu finden, wenn Fluggesellschaften zur Zusammenarbeit mit anderen Airlines verpflichtet werden. Das Urteil setzt somit einen weiteren Impuls für die Verbesserung des Passagierrechts in Europa.

Der Bundesgerichtshof hat mit seinem Urteil im Fall Easyjet ein klares Signal für den Schutz der Rechte von Flugpassagieren gesetzt. Es wird deutlich, dass Fluggesellschaften nicht nur dann zur Entschädigung verpflichtet sind, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen, sondern auch dann, wenn sie nicht in der Lage sind, den Passagieren die bestmögliche Ersatzlösung zu bieten. Dies könnte zu einer Reform der Praxis bei Flugannullierungen führen und den Wettbewerb zwischen Airlines in Bezug auf den Service für Passagiere anheizen. Für die Fluggesellschaften wird es künftig schwieriger, sich mit der bloßen Bereitstellung eigener Ersatzflüge zufrieden zu geben.

Quelle: Aviation direct

Amtliches Urteil des BGH