BGB § 309, § 651a, § 537, § 275 Abs. 1, § 326 Abs. 1 S. 1

Erweitert der Reiseveranstalter den Anwendungsbereich seiner AGB auf einzelne Reiseleistungen außerhalb eines Pauschalreisevertrags (sog. gewillkürte Pauschalreise), ist der Begriff der Reise des Pauschalreiserechts so auszulegen, dass er auch einzelne Reiseleistungen außer Luftbeförderungsleistungen erfasst.

LG Frankfurt a. M. Urt. v. 23.2.2023 – 2-24 S 166/22, BeckRS 2023, 4126 m. Anm. Bergmann ReiseRFD 2024, 182 = RRa 2023, 276

Aus den Gründen

I.

1Die Parteien streiten auch im Berufungsverfahren um Rückerstattung einer Anzahlung für einen Aufenthalt in den USA in Höhe von 655,00 Euro.

2Die Klägerin buchte vor dem Ausbruch der weltweiten Corona-Pandemie bei der Beklagten einen Hotelaufenthalt in Los Angeles (USA) im Zeitraum vom 8.9.2020 bis 26.9.2020 über ein Online-Reisebüro zum Gesamtpreis in Höhe von 3.276,00 Euro. Die Flüge buchte die Klägerin separat bei …, wie sie später einräumte (siehe dazu Bl. 19, 53 d. A.). Andere Reiseleistungen buchte die Klägerin bei der Beklagten nicht. In der von der Klägerin vorgelegten Reisebestätigung der Beklagten (Anlage K1, Bl. 7 f. d. A.) wird auf die „Reisebedingungen“ der Beklagten hingewiesen. Darin (siehe dazu Bl. 87 d. A.) heißt es auszugsweise schon in der Präambel:

„Sofern Sie nur eine einzelne Reiseleistung (z. B. Hotelübernachtung, Ferienwohnung) buchen, die nicht Bestandteil einer Pauschalreise ist oder wird, (…) finden die nachfolgenden Reisebedingungen mit Ausnahme der Ziffern 5.2. 7 und 11 entsprechende Anwendung. Besonderheiten, die ausschließlich solche einzelne Reiseleistungen betreffen, werden nachstehend ausdrücklich geregelt bzw. kenntlich gemacht. Vorstehende Regelungen finden keine Anwendung auf einzelne Flugbeförderungsleistungen.“

3Weiter heißt es unter Ziffern 4.1. und 4.2. der AGB der Beklagten (Hervorhebung nur hier):

„4.1. Sie können jederzeit vor Reisebeginn vom Reisevertrag zurücktreten. Der Rücktritt ist uns gegenüber zu erklären. Falls die Reise über einen Reisevermittler gebucht wurde, kann der Rücktritt auch diesem gegenüber erklärt werden (…).

4.2 Treten Sie vor dem Reisebeginn zurück oder treten Sie die Reise nicht an, so verlieren wir den Anspruch auf den Reisepreis. Stattdessen können wir eine angemessene Entschädigung verlangen, soweit der Rücktritt nicht von uns zu vertreten ist oder am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Reise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen; (…).“

4In Ziffer 19.3 ist für Hotels bei einem Rücktritt bis zum 42. Tag vor Reisebeginn eine Stornopauschale in Höhe von 20 % vorgesehen (= 655,20 Euro).

5Die Klägerin zahlte im August 2019 vereinbarungsgemäß 655,00 Euro an. Seit März 2020 bestand eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für die USA unverändert fort (letztere zum bis 30.9.2020). Seit dem 2.4.2020 waren die USA vom Robert-Koch-Institut als Risikogebiet ausgewiesen. Es bestand seit März 2020 ein auch in der Folge nicht aufgehobenes Einreiseverbot in die USA (bis 7.11.2021) (siehe Bl. 106 d. A.). Die Klägerin stornierte deshalb die Buchung am 16.7.2020. Die Beklagte bestätigte dies mit Nachricht vom 20.7.2020 und verwies auf „bekannte“ Stornokosten in Höhe von 655,00 Euro (siehe Bl. 17, 78 d. A.). Mit Nachricht vom 18.8.2020 verlangte die Klägerin die Rückzahlung der Anzahlung. Die Beklagte behielt diese mit Verweis auf die AGB und eine aus ihrer Sicht mögliche Beförderung in das Zielgebiet und eine behauptete uneingeschränkte Nutzbarkeit der Leistungen vor Ort ein. Auch auf ein Anwaltsschreiben vom 4.9.2020 zahlte die Beklagte nicht.

7Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, es habe sich um eine Pauschalreise gehandelt. Sie verweist insoweit auf den in Bezug genommenen Sicherungsschein, auf dem die Beklagte als Reiseveranstalterin bezeichnet sei. Mietrecht komme nicht zur Anwendung. Die AGB seien wegen Verstoßes gegen § 309 Nr. 5 lit. b) BGB unwirksam. Der Klägerin werde der Nachweis eines geringeren Schadens nicht eröffnet. Selbst wenn Mietrecht Anwendung finde, sei die Leistung der Beklagten aufgrund des Einreiseverbots und des damit einhergehenden Beherbergungsverbotes für deutsche Touristen unmöglich gewesen.

8Die Beklagte hat behauptet, ihre Reisebedingungen seien wirksam in den Vertrag mit der Klägerin einbezogen worden. Ohne das Einverständnis mit den als Hyperlink hinterlegten, als Popup-Fenster angezeigten sowie ausdruck- und speicherbaren AGB durch das Setzen eines „Haken“ könne eine Online-Buchung eines Hotels rein technisch nicht abgeschlossen werden (siehe zum behaupteten Buchungs-Ablauf Bl. 116 ff. d. A.). Die Inanspruchnahme der vereinbarten Unterbringung sei zum Zeitpunkt der Stornierung durch die Klägerin ohne Einschränkungen möglich gewesen. Das Hotel sei geöffnet, die Unterbringung dort prinzipiell möglich gewesen.

9Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, mangels zweier verschiedener Reiseleistungen seien die §§ 651a ff. BGB und damit auch § 651h Abs. 3 BGB nicht anwendbar. Eine analoge Anwendung sei bewusst nicht in das Gesetz überführt worden. Es handele sich um nicht dispositives Recht. Es sei dementsprechend von einem Beherbergungsvertrag auszugehen. Im Rahmen dessen Trage der Mieter das Verwendungsrisiko gemäß § 537 BGB. Die Reisewarnung reiche nicht aus, um eine Nichtdurchführbarkeit der Reise substantiiert zu begründen.

10Das Amtsgericht hat die Beklagte durch Urteil vom 5.9.2022 antragsgemäß zur Rückerstattung der Anzahlung und der Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt. Die Leistung der Beklagten im Rahmen des angenommenen Beherbergungsvertrages sei ihr als Minus zum Einreiseverbot im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB unmöglich gewesen. Dementsprechend entfalle auch die Gegenleistung der Klägerin gemäß § 326 Abs. 1 S. 1 BGB. Pauschalreiserecht finde keine Anwendung.

11Die Beklagte hat gegen das ihr am 7.9.2022 zugestellte Urteil am 7.10.2022 Berufung eingelegt und diese mit ihrem Schriftsatz vom 7.11.2022 begründet. Das Amtsgericht habe zu Recht die Anwendung der §§ 651a ff. BGB verneint. Die Leistung der Beklagten sei indes nicht unmöglich gewesen. Aus einem Einreiseverbot könne nicht auf die Unmöglichkeit der Leistung der Beklagten geschlossen werden. Das Leistungshindernis habe damit in der Person der Klägerin bestanden. Sie trage das Verwendungsrisiko im Sinne des § 537 BGB. Auch eine Kündigung im Sinne des § 543 BGB scheide aus, da ein Konnex zwischen dem Einreiseverbot und dem Mietobjekt fehle.

12Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 5.9.2022, Az. 30 C 1141/21 (20) abzuändern und die Klage abzuweisen.

13Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

14Die Klägerin verteidigt das Urteil des Amtsgerichts als richtig.

II.

15Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet.

16Das Amtsgericht hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht zur Rückzahlung der Anzahlung in Höhe von 655,00 Euro verurteilt.

17Die Klägerin hat gegen die Beklagte ungeachtet der vertragscharakterlichen Einordnung des gegenseitigen Vertrages und des Bestehens eines gesetzlichen Rücktrittsgrundes einen Anspruch auf Rückerstattung der Anzahlung gemäß § 346 Abs. 1 BGB i. V. m. Ziffern 4.1., 4.2. Satz 1 der AGB der Beklagten, dem die Beklagte keine Entschädigung gemäß Ziffer 4.2. Satz 2 mit Erfolg entgegenhalten kann.

18Die Parteien haben das vertragliche Rücktrittsrecht, wie es Ziffer 4.1. der AGB der Beklagten vorsieht, wirksam vereinbart. Die AGB der Beklagten wurden in das Vertragsverhältnis gemäß § 305 Abs. 2 BGB wirksam einbezogen. AGB werden insbesondere dann Bestandteil eines Vertrags, wenn der Verwender bei Vertragsschluss auf diese ausdrücklich hinweist, die andere Vertragspartei die Möglichkeit verschafft wird, in zumutbarer Weise von ihrem Inhalt Kenntnis zu nehmen und mit ihrer Geltung einverstanden ist. Die Beklagte hat ungeachtet der Frage eines vorherigen substantiierten Vorbringens zu den Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB jedenfalls in ihrem Schriftsatz vom 6.1.2022 ab S. 2 ff. dezidiert vorgetragen, dass die AGB der Beklagten bei der Buchung bei dem Online-Reisebüro über einen Hyperlink aufrufbar sowie speicherbar und ausdruckbar waren. Zudem hat sie ausgeführt, dass der Kunde ohne eine Zustimmung zu den AGB systembedingt die Buchung nicht abschließen konnte, wenn er nicht zuvor seine Zustimmung zu diesen erteilte. Die Klägerin hat in ihrem Schriftsatz vom 4.2.2022 dazu lediglich ausgeführt, dass es auf die AGB der Beklagten nicht ankomme. Sie ist damit dem Vorbringen der Beklagten nicht substantiiert entgegengetreten mit der Folge, dass dieses als zugestanden anzusehen ist, § 138 Abs. 2 ZPO.

19Das Rücktrittsrecht im Sinne der Ziffer 4.1. der AGB der Beklagten findet kraft Vereinbarung der Parteien – wie hier – auch auf die Buchung eines bloßen Hotelaufenthalts Anwendung. Der Vereinbarung einer Pauschalreise im Sinne der §§ 651a ff. BGB bedurfte es insoweit nicht. Dies folgt nach Auffassung der Kammer ohne Zweifel aus den von der Beklagten vorgelegten AGB selbst. In der Präambel der AGB der Beklagten erweitert diese den Anwendungsbereich ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen zunächst ausdrücklich auf einzelne Reiseleistungen außerhalb eines Pauschalreisevertrages, das heißt einer Vereinbarung von mindestens zwei verschiedenen Reiseleistungen im Sinne des § 651a Abs. 3 BGB. Der Begriff der Reise in Ziffer 4.1. ist dementsprechend so auszulegen, dass er auch einzelne Reiseleistungen außer Luftbeförderungsleistungen erfasst. Darüber hinaus nimmt die Beklagte entgegen ihrer selbst eröffneten Möglichkeit die Ziffer 4 von dieser Erweiterung des eigenen Anwendungsbereiches ihrer Bedingungen nicht – als Rückausnahme – wieder aus oder macht im Rahmen der Ziffer 4 kenntlich, dass bei einem Rücktritt von einem Vertrag über einen Hotelaufenthalt vor Reisebeginn durch den Vertragspartner in der Präambel erwähnte Besonderheiten gelten sollen. Der Vertragspartner der Beklagten, hier in der Person der Klägerin, konnte und durfte mithin davon ausgehen, dass ein vertragliches Rücktrittsrecht auch bei einem vereinbarten Hotelaufenthalt besteht.

20Die Klägerin hat das ihr eröffnete vertragliche Rücktrittsrecht der Ziffer 4.1. der AGB der Beklagten mit ihrer Erklärung am 16.7.2020 gegenüber der Beklagten ausgeübt. Die Folge dieses erklärten Rücktritts vom Vertrag ist, dass die Beklagte gemäß Ziffer 4.2. Ziffer 1 den Anspruch auf den Reisepreis verliert und – über § 346 Abs. 1 BGB – an die Klägerin zurückzahlen muss.

21Die Beklagte kann dem Anspruch auf Rückerstattung keine Entschädigung gemäß Ziffer 4.2. Ziffer 2 i. V. m. Ziffer 19.3 ihrer AGB entgegenhalten, weil diese Klausel gemäß § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2Nr. 1 BGB wegen Verstoßes gegen das Leitbild der § 651h Abs. 23 S. 1 BGB unwirksam bzw. die Entschädigung selbst bei einer Auslegung zugunsten der Beklagten ausgeschlossen ist.

22Gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist eine Klausel unangemessen und dementsprechend unwirksam, wenn sie mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Die Norm geht von der Vorstellung aus, dass das dispositive Recht für jeden Vertragstyp einen an der Gerechtigkeit orientierten Ausgleich der Interessen der Vertragspartner enthält, an der sich Allgemeine Geschäftsbedingungen als Leitbild orientieren müssen (vgl. BeckOGK/Eckelt, 1.7.2022, BGB § 307 Rn. 150). Welche gesetzlichen Regelungen das Leitbild für die Bewertung der abändernden Klausel bilden, hängt von dem von den Parteien gewählten Vertragstyp ab (Grüneberg/Grüneberg, BGB-Kommentar, 82. Aufl. 2023, § 307 Rz. 28; MüKoBGB/Wurmnest, 9. Aufl. 2022, BGB § 307 Rn. 72).

23Nach Auffassung der Kammer haben die Parteien vorliegend entsprechend der, wie ausgeführt, einbezogenen AGB der Beklagten und auch der Inhalte der Anlage K1 die Regelungen des Pauschalreiserechts im Sinne der §§ 651a ff. BGB zum vertraglichen Leitbild erhoben – auch außerhalb des eigentlichen Anwendungsbereiches der Richtlinie (EU) 2015/2302 (im Folgenden nur Pauschalreiserichtlinie) und des § 651a Abs. 3 BGB; mit anderen Worten auch außerhalb einer Vereinbarung von zwei verschiedenen Reiseleistungen. Unter Bezugnahme auf das Gesagte ergibt sich dies neben den Inhalten der Anlage K1, die ebenfalls auf eine Pauschalreise hindeuten, bereits aus der Präambel der AGB der Beklagten, wonach diese zunächst die §§ 651a ff. BGB ergänzen und ausfüllen und sodann auch für einzelne Reiseleistungen außerhalb von Luftbeförderungsverträgen Geltung entfalten sollten. Die Beklagte hat sich selbst dementsprechend auch für einzelne Reiseleistungen dem Regelungsregime der §§ 651a ff. BGB unterworfen, wenn und soweit sie selbst gegenüber dem Vertragspartner keine (Rück-) Ausnahmen oder Besonderheiten vorgibt. Dies hat sie, wie bereits ausgeführt, vorliegend nicht getan. Sie hat damit gegenüber ihrem Vertragspartner, hier der Klägerin, hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass insbesondere auch die Schutzvorschriften der §§ 651a ff. BGB dem Vertragspartner der Beklagten zugutekommen sollen. Die Klägerin konnte und durfte sich darauf verlassen.

24Die Pauschalreise-Richtlinie oder die §§ 651a ff. BGB stehen einer Vereinbarung einer sog. „gewillkürten Pauschalreise“ (zum Begriff: MüKoBGB/Tonner, 9. Aufl. 2023, BGB § 651a) als gewähltem Vertragstyp nicht entgegen. Es mag in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung der Beklagten zunächst richtig sein, dass die Pauschalreiserichtlinie vollharmonisierend ist, mithin den Mitgliedsstaaten im Rahmen ihres Anwendungsbereiches grundsätzlich keine Möglichkeit der Abweichung durch nationale Rechtsvorschriften eröffnet (siehe Art. 4 der Pauschalreise-Richtlinie). Adressat der Richtlinie ist jedoch, anders als bei einer EU-Verordnung im Sinne des Art. 288 Abs. 2 AEUV, nicht der Einzelne. Die Richtlinie ist ein Auftrag an die Mitgliedsstaaten, die Regelungen der Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Privatpersonen ist es dementsprechend nicht verboten, außerhalb von nicht vorliegenden Regelungsverboten, etwa im Sinne des § 134 BGB durch die nationalen Gesetzgeber, hiervon durch Vereinbarung abzuweichen. Ein solches Regelungsverbot besteht im deutschen Recht nicht. Zwar ist der Beklagten noch insoweit zuzustimmen, als der nationale Gesetzgeber die Öffnungsklausel in der Pauschalreiserichtlinie für andere Vereinbarungen bewusst nicht in die §§ 651a ff. BGB überführen wollte (vgl. BT-Drs. 18/10822 S. 66). Hierdurch hat der Gesetzgeber jedoch nur zum Ausdruck gebracht und bringen können, dass nationale Gerichte nunmehr keine analoge Anwendung des Pauschalreiserechts mangels planwidriger Regelungslücke auch bei nur einer Reiseleistung annehmen können. Nach Auffassung der Kammer schließt jedoch dies eine Vereinbarung und damit eine Erweiterung des Schutzbereiches der Pauschalreise-Richtlinie kraft Vereinbarung nicht aus (so auch Staudinger/Ruks, RRa 2018, 24), gerade wenn der Vertragspartner des Reisenden dessen Schutz erweitert. Eine unzulässige Umgehung im Sinne von § 651y liegt in einer solchen Vereinbarung auch im Rahmen von AGB nicht, weil, wie ausgeführt, der gesetzliche Anwendungsbereich der Pauschalreiserichtlinie bereits nicht eröffnet ist (BeckOGK/Alexander, 1.11.2022, BGB § 651a Rn. 442.2; vgl. dazu auch Führich, NJW 2018, 2926, der dann jedoch ein Verstoß gegen das Leitbild der Richtlinie erkennen will). Zudem sieht § 651y BGB nur ein Verbot der Abweichung von den §§ 651a ff. BGB zulasten des Reisenden vor, um die es vorliegend aber nicht geht. Eine Besserstellung durch die Anwendung der Schutzvorschriften der §§ 651a ff. BGB ist möglich, so dass auch das Argument der Beklagten, die §§ 651 ff. BGB seien zwingend und nicht dispositiv, nicht greift (so auch: Staudinger/Ruks, RRa 2018, 25).

25Unter Berücksichtigung des gesetzlichen Leitbildes der §§ 651a ff. BGB ist Ziffer 4.2. Satz 2 der AGB der Beklagten unwirksam, weil sie § 651h Abs. 3 S. 1 BGB in sein Gegenteil verkehrt. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind einheitlich, ausgehend von den Verständnismöglichkeiten eines rechtlich nicht vorgebildeten Durchschnittskunden so auszulegen, wie ihr Wortlaut von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Kreise verstanden werden (BGH, Urteil vom 19.4.2018 – III ZR 255/17 = NJW 2018, 21172118 m. w. N.). Äußere Umstände, die zum Vertragsschluss geführt und für einen verständigen und redlichen Vertragspartner Anhaltspunkte für eine bestimmte Auslegung des Vertrags gegeben haben, dürfen berücksichtigt werden. Insoweit kommen jedoch nur allgemeine Umstände in Betracht, die auf einen verallgemeinerbaren Willen des Verwenders schließen lassen (BGH a. a. O.). Aus § 305c Abs. 2 BGBfolgt fernerhin, dass Zweifel bei der Auslegung zulasten des Verwenders der Vertragsbedingungen gehen (Grundsatz der kundenfeindlichsten Auslegung).

26Nach § 651h Abs. 1 S. 1 BGB kann der Reisende jederzeit vor Reiseantritt den Rücktritt von dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Pauschalreisevertrag im Sinne des § 651a BGB erklären. Eine solche Rücktrittserklärung hat zur Folge, dass der Reiseveranstalter den Anspruch auf den Reisepreis verliert (§ 651h Abs. 1 S. 2 BGB) und diesen an den Reisenden zurückerstatten muss. Der Reiseveranstalter kann allerdings gemäß § 651h Abs. 1 S. 3i.V. m. Abs. 2 BGB diesem Anspruch eine auch in AGB pauschalierbare Rücktrittsentschädigung entgegenhalten und damit aufrechnen. Nach § 651h Abs. 3 S. 1 BGB ist der Anspruch des Reiseveranstalters auf Zahlung einer Rücktrittsentschädigung nur ausgeschlossen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Umstände sind unvermeidbar und außergewöhnlich im Sinne dieses Untertitels, wenn sie nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich hierauf beruft, und sich ihre Folgen auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären (§ 651h Abs. 3 S. 2 BGB). Nach der kundenfeindlichsten Auslegung des Satz 2 der Ziffer 4.2. der AGB der Beklagten entsteht im diametralen Gegensatz zur gesetzlichen Vorschrift des § 651h Abs. 3 S. 1 BGB ein Anspruch zugunsten der Beklagten, soweit am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Reise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Durch die Begriffe „soweit“ und „oder“ wird eine Aufzählung im Rahmen des Satzes zwei für den rechtlich nicht vorgebildeten Durchschnittskunden vorgenommen. Die erste Alternative ist durch das „nicht“ eine Ausnahme von der Entschädigungspflicht, im Rahmen der zweiten Alternative fehlt jedoch der Hinweis auf den Ausschluss der Entschädigungspflicht, so dass der Kunde davon ausgehen muss und im Rahmen der kundenfeindlichsten Auslegung auch davon ausgehen kann, dass er eine Entschädigung zahlen muss, wenn am Bestimmungsort außergewöhnliche, die Reise erheblich beeinträchtigende Umstände vorliegen. Diese Klausel ist unter Berücksichtigung dieses Verständnisses unangemessen, § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. In § 651h Abs. 3 S. 1 BGB ist eine Ausnahme vom Grundsatz der Entschädigungsmöglichkeit zugunsten des Reiseveranstalters normiert. Es kommt in der Vorschrift eine Risikoverteilung die Gegenleistung des Reisenden dergestalt zum Ausdruck, dass der Reiseveranstalter das Risiko des Eintritts außergewöhnlicher Umstände zu tragen hat, wenn dadurch die Pauschalreise erheblich beeinträchtigt wird. Die Norm ist damit Ausdruck der Erfolgsbezogenheit der Pauschalreise. Die von der Beklagten verwendete Klausel kehrt diese Risikoverteilung contra legem um und will, sich vom Grundsatz der Erfolgsbezogenheit vollständig entfernend, dem Reisenden das Risiko der Undurchführbarkeit oder erheblichen Beeinträchtigung der Durchführung der Pauschalreise auferlegen und eine Gegenleistung für eine Reise erhalten, bei deren Durchführung es gemäß § 651m Abs. 1 BGB ohne Möglichkeit einer Enthaftung bei Einschränkungen aufgrund außergewöhnlicher unvermeidbarer Umstände zu einer Minderung des Reisepreises gekommen wäre (vgl. EuGH, Urt. v. 12.1.2023 – C-396/21 = BeckRS 2023, 73). Die Ausnahme der Entstehung der Entstehung wäre nach der Formulierung der Beklagten Tatbestandsvoraussetzung für die Entstehung der Entschädigung.

27Die Unangemessenheit und Unwirksamkeit der Klausel hat zur Folge, dass zugunsten der Beklagten keine pauschalierte Entschädigung im Sinne der Ziffer 4.2. Satz 2 entstanden ist und es entsprechend der Ziffer 4.2. Satz 1 dabei bleibt, dass die Beklagte bei einem Rücktritt des Vertragspartners den Anspruch auf den Reisepreis verliert und die Anzahlung an die Klägerin in Höhe von 655,00 Euro erstatten muss.

28Selbst wenn man Ziffer 4.2. Satz 2 der AGB der Beklagten so auslegen würde, dass die Entschädigung in Übereinstimmung mit § 651h Abs. 3 S. 1 BGB beim Vorliegen außergewöhnlicher Umstände ausgeschlossen wäre, wenn diese die vereinbarte Hotelleistung erheblich beeinträchtigen, liegen diese Voraussetzungen hier nach dem zwischen den Parteien unstreitigen Vorbringen vor. Die Beklagte muss sich nach Auffassung der Kammer daran festhalten lassen, dass Einschränkungen am Bestimmungsort der Hotelleistung in Los Angeles (USA) für eine erhebliche Beeinträchtigung der Unterbringungsleistung ausreichend sind. Es ist zwischen den Parteien unstreitig geblieben, dass es sowohl Mitte Juli 2020 zum Zeitpunkt des Rücktritts der Klägerin, als auch zum Zeitpunkt der Reise eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für die gesamte USA und damit auch für Kalifornien gab und ebenfalls ein Einreiseverbot für Personen, die sich zuvor wie die Klägerin im Schengenraum aufgehalten hatten. Nach Auffassung der Kammer ist die Beklagte fernerhin dem klägerischen Vortrag zu gestiegenen Infektionszahlen, der Situation um die angespannte gesundheitliche Versorgung in den USA und auch der Einschränkungen des täglichen Lebens nicht in erheblicher Weise entgegengetreten, § 138 Abs. 3 ZPO.

Quelle: BeckRS 2023, 4126

Anmerkung Führich von Professor Dr. Ernst Führich*

Der Entscheidung des Berufungsgerichts kann nur im Ergebnis, nicht aber in der Begründung zugestimmt werden. Europarechtlich erscheint es mir verfehlt, wenn in dem Urteil die Rücktrittsvorschrift des Pauschalreiserechts § 651h III BGB auf die Einzelreiseleistung der Beherbergung in einem Hotel über eine AGB-Konstruktion einer sog. „gewillkürten Pauschalreise“ angewendet wird. Richtigerweise hatte das Landgericht wie das Amtsgericht das Beherbergungs- und Mietrecht anwenden und im Ergebnis die Rückerstattung der Anzahlung gem. § 326 I BGB wegen Unmöglichkeit der Beherbergung in den USA wegen des Einreiseverbots bestätigen müssen (Vgl. nur Führich/Achilles-Pujol, Basiswissen Reiserecht, 5. Aufl. 2022, § 20 Rn. 314).

Ich habe stets die frühere, analoge Anwendung des Pauschalreiserechts auf die touristische Einzelleistung einer Hotel- und Ferienunterkunft eines Reiseveranstalters vertreten und die Rechtsprechung des BGH hierzu ausdrücklich im Namen des Verbraucherschutzes begrüßt (Führich ReiseR-HdB 7. Aufl. 2015 § 5 Rn. 48 ff.) Auf Druck der Touristikbranche wurde im endgültigen Regierungsentwurf zur neuen Pauschalreiserichtlinie (EU) 2015/2302 eine ursprünglich vorgesehene analoge Anwendung gestrichen und nicht in die neuen §§ 651a bis y BGB überführt (Führich NJW 2017, 2945, 2946). Daher findet nach dem Willen des Gesetzgebers das Pauschalreiserecht der §§ 651a bis y BGB seit 1.7.2018 auf Hotel- und Ferienwohnungsaufenthalte keine Anwendung mehr. Diese Unterbringungsleistung unterliegt seither dem Beherbergungs- und Mietrecht (BT-Drs. 18/10822, 67). Trotz der Öffnungsklausel der vollharmonisierenden Pauschalreise-RL, die in Erwägungsgrund 21 diese Erweiterung auf einzelne Reiseleistungen, wie etwa die Vermietung von Ferienwohnungen oder Hotelaufenthalte, zulassen würde, entschied sich der Gesetzgeber ausdrücklich gegen diese Lösung. Daher widerspricht eine nur im deutschen Recht von Staudinger und Ruks diskutierte vertragliche Erweiterung des Pauschlreiserechts über AGB-Klauseln auf das Pauschalreiserecht (Führich/Staudinger ReiseR-HdB/Staudinger 9. Aufl. 2024 § 5 Rn. 9, § 28 Rn. 4; Staudinger/Ruks RRa 2018, 2, 4) nicht nur dem zwingenden Recht der vollharmonisierenden Richtlinie, sondern auch dem gesetzlichen Leitbild der §§ 651a ff. BGB. § 651a III Nr. 2 BGB normiert ausdrücklich die Beherbergung als eine der vier gesetzlichen Reiseleistungen einer Pauschalreise, die gekennzeichnet ist mit zwei verschiedenen Arten von Reiseleistungen für den Zweck derselben Reise. Wenn ein Reiseveranstalter auch in einer AGB-Klausel seine Beherbergungsleistung als Einzelleistung gleichwohl dem Pauschalreiserecht unterstellen will, fehlt es an der notwendigen zweiten Reiseleistung zusätzlich zur Beherbergung. Die Vertragsfreiheit geht nicht soweit, dass eine Reiseveranstalter einseitig in seinen AGB einen neuen „Pauschalreisetyp“ (so zutreffend Bergmann, ReiseRFD 2024, 182) kreiert, der klar dem gesetzlichen Leitbild der Pauschalreise widerspricht (§ 307 II Nr. 2 BGB) und, in dem hier zu entscheidenden Fall, auch gegen § 651y BGB verstößt, der von §§ 651a ff. BGB abweichende Vereinbarungen zum Nachteil des Reisenden zwingend verbietet.

* Der Autor ist Prof. em. für Wirtschaft- und Reiserecht.