Der Umstand, dass der Teilnehmer einer Motorradreise bei einer geführten Motorradtour stürzt und sich verletzt, ist für sich nicht geeignet, eine mangelnde Eignung der Reise für den gewöhnlichen Nutzen oder eine Abweichung der Reise von der üblichen Beschaffenheit i.S.v. § 651i BGB zu begründen.
OLG Stuttgart 10.11.2023 – 3 U 23/23
Aus den Gründen:
… Eine Beschaffenheitsvereinbarung nach § des Inhalts, dass die Beklagte zu 1) dem Geschädigten die „schadlose Rückkehr von der Reise“ schuldete, ist nicht zustande gekommen. Wie für den verständigen Reisenden ohne weiteres ersichtlich ist, will kein Reiseveranstalter verschuldensunabhängig dafür einstehen, dass ein Reisender während der Reise nicht zu Schaden kommt, da ein solcher Schaden durch Umstände eintreten kann, auf die der Reiseveranstalter keinen Einfluss hat. Von einem solchen Willen des Reiseveranstalters ginge ein verständiger Reisender auch dann nicht aus, wenn er die Werbung der Beklagten zu 1) auf ihrer Website zur Kenntnis genommen hat. Angaben der Beklagten zu 1) wie „Motorradreisen […] mit Schulungscharakter“; „Motorradreise mit Fahrtraining“, „geführte Motorradtouren“, „Wir möchten Dir Freude am Motorradfahren vermitteln sowie besseres Verständnis der Kurventechnik“, „nebenbei kannst Du Deinen Fahrstil verbessern“, „fahren in Deinem Lieblingstempo“, „profitiere von jahrelanger Schulungserfahrung“ oder „geben die Tourguides hilfreiche Tipps, die gleich in die Tat umgesetzt werden können – denn bei Fahrspaß und Sicherheitstechnik lernt man bekanntlich nie aus!“ sind nicht geeignet, daran etwas zu ändern. Derartige Angaben können Einfluss auf das Maß an Schutz- und Fürsorgepflichten haben, zu deren Einhaltung sich der Reiseveranstalter dem Reisenden gegenüber verpflichtet, aber keine Grundlage für die Vereinbarung einer weitergehenden (Miss-) Erfolgshaftung sein. Aus denselben Gründen ist auch keine Beschaffenheitsvereinbarung dahingehend zustande gekommen, dass der Geschädigte sich während der Pauschalreise „wohlfühlt“.
Der Umstand, dass der Geschädigte bei der Ausfahrt am 21.9.2019 verletzt worden ist, ist für sich auch nicht geeignet, eine mangelnde Eignung der Reise für den gewöhnlichen Nutzen oder eine Abweichung von der üblichen Beschaffenheit i.S.v. § zu begründen. Das Zurücklegen der Strecke von G. nach K. durch den Geschädigten stellte keine Reiseleistung dar, die aufgrund des Unfalls ungeeignet gewesen wäre bzw. nicht der üblichen Beschaffenheit entsprochen hätte.
Soweit die Klägerin sich auf eine zu § a.F. ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung beruft, die allein die Realisierung einer objektiv vorhandenen Gefahr als Reisemangel sieht, ohne dass es darauf ankäme, dass diese Gefahr für den Reiseveranstalter erkennbar war ([Hoteltransfer], ; Urt. [Pferdetritt], ), greift das hier nicht durch. Nach der genannten Rechtsprechung verpflichtet sich der Reiseveranstalter bei Abschluss des Reisevertrags nicht nur zur Erbringung der im Vertrag aufgeführten Teilleistungen; vielmehr umfasst der Pauschalreisevertrag die Reise selbst. Gegenstand des Reisevertrags sind daher alle Leistungen, die der Reiseveranstalter Reiseinteressenten nach einem vorher festgelegten und ausgeschriebenen Reiseprogramm anbietet. Der Reiseveranstalter verspricht damit eine bestimmte Gestaltung der Reise und übernimmt die Haftung für deren Erfolg, soweit dieser von seinen Leistungen abhängt.
Dem Pauschalreisevertrag zwischen der Beklagten zu 1) und dem Geschädigten lag die Abrede zugrunde, dass der Geschädigte die Strecke von G. nach K. selbst auf seinem eigenen Motorrad zurücklegt. Die Beklagte zu 1) hatte es nicht übernommen, den Geschädigten auf einem Motorrad von G. nach K. zu transferieren, und sie hatte es auch nicht übernommen, dem Geschädigten ein Verkehrsmittel für einen solchen Transfer MDR 2024, 355zur Verfügung zu stellen. Der Umstand, dass die Durchführung der Motorradreise das selbständige Zurücklegen der Strecke durch den Geschädigten mit seinem Motorrad voraussetzte, machte dieses Zurücklegen nicht zum geschuldeten Gegenstand der Pauschalreise. Der Geschädigte war bei dem Zurücklegen der Strecke nicht Erbringer einer Fremdleistung, für deren Erfolg die Beklagte zu 1) die Gewähr übernehmen müsste. Bei einer anderen Betrachtungsweise hätte die Beklagte zu 1) nicht nur für den verletzungsbedingten Verlust der Fähigkeit eines Reiseteilnehmers, sein Motorrad zu führen, sondern auch für einen krankheitsbedingten Verlust dieser Fähigkeit und für einen technischen Defekt des Motorrads eines Reiseteilnehmers gehaftet; das kann nicht richtig sein. … Auch die Pauschalreise-Richtlinie 2015/3202/EU erfordert nicht, den Begriff des Reisemangels in der Weise auszulegen, dass er auch unzureichende „Leistungen“ des Reisenden, deren Erbringung im Reisevertrag vorausgesetzt wird, erfasst. Der in der Richtlinie verwendete Begriff der „Vertragswidrigkeit“ ist ebenso wie der Mangelbegriff der §§ auf die Reiseleistung des Reiseveranstalters bezogen (vgl. Art. 13 Abs. 3 S. 1 RL 2015/3202/EU).
Ob ein Reisemangel durch eine Verletzung von Obhuts- und Fürsorgepflichten seitens der Beklagten zu 1) begründet worden ist, kann im Ergebnis offen bleiben. Es lässt sich jedenfalls kein auf die Verletzung solcher Pflichten gründender Reisemangel feststellen, auf den sich der unfallbedingte Schaden des Geschädigten zurückführen ließe. … Eine Verletzung der Obhuts- und Fürsorgepflicht kann nicht darin gesehen werden, dass die Beklagte zu 1) eine Aufklärungspflicht gegenüber dem Geschädigten bezüglich seiner Pflichten bei der Führung eines Motorrads in Kroatien verletzt hätte. Es bedurfte grundsätzlich keiner Aufklärung des Geschädigten darüber, dass es in Kroatien Verkehrsregeln gibt und dass man sich auch dort sowohl im Interesse anderer Verkehrsteilnehmer als auch im eigenen Interesse an der Vermeidung einer Selbstgefährdung an die Verkehrsregeln zu halten hat. Nachdem der Geschädigte sich unter Angabe der Motorradbezeichnung Ducati Multistrada 1200 S zu einer Motorradreise angemeldet hatte, konnte die Beklagte zu 1) voraussetzen, dass der Geschädigte über den „großen“ Motorradführerschein verfügt, die zum Erwerb der Fahrerlaubnis erforderlichen theoretischen Kenntnisse besitzt und auch tatsächlich in der Lage ist, das bezeichnete Motorrad im Straßenverkehr zu führen. Ebenso konnte die Beklagte zu 1) ein Bewusstsein des Geschädigten, als Motorradfahrer für die Einhaltung der Verkehrsregeln selbst verantwortlich zu sein, voraussetzen. …
Eine Verletzung der Obhuts- und Fürsorgepflicht kann auch nicht darin gesehen werden, dass die Beklagte zu 1) eine Pflicht zu einer ständigen Überwachung des Geschädigten bei der Führung des Motorrads verletzt hätte. Als Inhaber des „großen“ Motorradführerscheins war der Geschädigte bei dem Führen eines Motorrads grundsätzlich nicht überwachungsbedürftig. Es darf unterstellt werden, dass der Geschädigte auch vor der streitgegenständlichen Pauschalreise nicht von einem Dritten überwacht wurde, wenn er Motorrad gefahren ist. Die Pauschalreise erforderte von den Reiseteilnehmern auch keine erweiterten Fähigkeiten, die erst während der Motorradtour erlernt werden sollten. Die Touren fanden auf öffentlichen Straßen in „normalem“ Zustand statt. [Wird ausgeführt.]
Quelle: MDR 2024 Heft 6

