(25.9.2020) Viele Reisende und Reiseveranstalter einer Pauschalreise fragen sich, welche Voraussetzungen nach § 651h III BGB für einen kostenfreien Rücktritt des Reisenden oder eine Reiseabsage nach § 651h IV BGB durch den Reiseveranstalter vorliegen müssen. Da hier bei beiden Vertragspartnern wegen der nicht abänderbaren Vorschrift  § 651h BGB des neuen Pauschalreiserechts Unsicherheit herrscht, stellt Prof. Dr. Führich die Voraussetzungen eines stornokostenfreien Rücktritts vom Reisevertrag zusammen (Aktualisiert 25.9.2020)

  • Pauschalreisevertrag 

Nach § 651a II BGB liegt eine Pauschalreise vor, wenn mindestens 2 verschiedene Reiseleistungen (z. B. Flug, Unterbringung im Hotel oder Ferienhaus, Mietwagen oder sonstige touristische Leistung wie Ferienkurs) für den Zweck derselben Reise gebucht werden. Unerheblich ist, ob der Reisende Verbraucher oder Geschäftsreisender ist (Führich/Staudinger, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 5 Rn 1ff).

Daher ist bei der Anwendung des § 651h BGB in der Praxis streng darauf zu achten, dass unter den Begriff der Pauschalreise nicht nur das klassische Paket von Flug und Unterkunft fällt, sondern auch Geschäftsreisen im Rahmen des § 651a V Nr. 3 BGB, dynamisch gepackte Reisen (Dynamic Packaging), Bausteinreisen mit einer Bündelung durch Reiseportale oder Reisebüros (§ 651b BGB) und verbundene Online-Buchungsverfahren nach § 651c BGB.

Andererseits haben zahlreiche Reiseveranstalter unter dem Begriff der „Gewillkürten Pauschalreise  oder durch künstliche Servicepakete nach § 651a III Nr. 4 BGB als sonstige touristische Leistungen versucht, den Anwendungsbereich des Pauschalreiserechts durch Schaffung neuer Konstruktionen zu erweitern. Wenn Reiseveranstalter auch auf Ihre Einzelleistungen wie Nur-Hotels das Pauschalreiserecht anwenden und ihrem Kunden einen Sicherungsschein und das Formblatt der Anlage 11 zu Art. 250 § 2 I EGBGB ausgehändigt haben, ist davon auszugehen, dass auch § 651h BGB zu Anwendung kommt.

Eine Einzelreiseleistung wie Flug oder Hotelunterkunft ist grundsätzlich eine Individualreise und unterliegt nicht dem Pauschalreiserecht. Insoweit greift bei Anwendung deutschen Rechts im Inland, das allgemeine Schuldrecht des BGB in §§ 275, 326 BGB ein. Wenn die Unterkunft oder der Flug objektiv wegen Unmöglichkeit der Leistung nicht nutzbar ist, wird der Reisende von seiner Zahlungspflicht frei ohne dass es einer Kündigung bedarf (Führich in Führich/Staudinger, Reiserecht, 8. Saul. 2019, § 47 Rn. 50).

  • Unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände (aU)

Unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände liegen vor, wenn sie nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich darauf beruft, und sich ihre Folgen auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären (§ 651h III 2 BGB). Der Begriff der höheren Gewalt „force majeure“ wird nach dem neuen EU-Pauschalreiserecht nicht mehr verwendet. Bei der gegenwärtigen Covis-19-Pandemie ist unzweifelhaft das Vorliegen von unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umständen zu bejahen, da auch die Erwägungsgründe 31 der Pauschalreiserichtlinie den Ausbruch einer schweren Erkrankung ausdrücklich als Beispiel nennen.

  • Eintritt am Bestimmungsort oder in dessen Nähe

§ 651h II 1 BGB fordert, dass der aU am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe auftritt. Nach zutreffender Rechtsauslegung gehören dazu auch Orte, die während der An- und Abreise zum Bestimmungsort notwendigerweise durchquert werden müssen. Nach Erwägungsgrund 31 soll ein kostenfreier Rücktritt auch dann gewährt werden, wenn eine sichere Reise an das vereinbarte Reiseziel unmöglich ist. Ist die Panepidemie daher bereits bei der Anreise oder Zwischenlandung z. B. in Mailand ausgebrochen, erfüllt dies auch die Voraussetzungen der unmittelbaren Nähe zum einem Reiseziel wie New York.

  • Erhebliche Beeinträchtigung 

Die wichtigste Voraussetzung ist das Vorliegen einer erheblichen Beeinträchtigung der Durchführung der Reise. Diese liegt vor, wenn im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung bei objektiver Betrachtung eine sichere Reisedurchführung unmöglich ist, der Reisezweck also insgesamt in Frage steht, Auf die subjektive Einschätzung oder Angst des Reisenden kommt es nicht an (Führich, Basiswissen Reiserecht, Rn 123). Die Beeinträchtigung kann sich auf die Undurchführbarkeit wesentliche Reiseleistungen wie abgesagte Flüge, geschlossene Hotels oder behördlichen Einreisesperren beziehen, aber auch die persönliche Sicherheit des Reisenden hinsichtlich seines Infektionsrisikos betreffen. Folgende Indizien sprechen für das Vorliegen einer erheblichen Beeinträchtigung:

  1. Ein wesentliches Indiz für eine erhebliche Beeinträchtigung der Reisedurchführung und für ein persönliches Infektionsrisiko ist der Warnhinweis des Auswärtiges Amts (AA) vor Reisen in das betreffende Zielgebiet (LG Frankfurt a.M., RRa 2015, 225). Bei der derzeitigen Corona-Pandemie hat das AA erstmals eine weltweite Reisewarnung bis 14.6.2020 ausgesprochen und nicht nur für ein Reisegebiet!
  2. Die Benennung eines Reiseziels als Risikogebiet durch das RKI ist ein wesentliches Indiz für die Gefährdung der Reisedurchführung.
  3. Auch Reisewarnungen anderer EU-Staaten wie aus Österreich stellen ein Indiz für eine erhebliche Beeinträchtigung der Reisedurchführung dar.
  4. Quarantänemaßnahmen, Hotelschließungen und massenweise Flugausfälle lassen eine erhebliche Beeinträchtigung der geplanten Reiseleistungen als wahrscheinlich erscheinen.
  5. Die derzeitige Warnung der Weltgesundheitsorganisation (WTO) für den Bestimmungsort und den Weg zum Zielgebiet der Reise ist ein wichtiges Indiz für eine zu erwartende erhebliche Beeinträchtigung.
  6. Ebenfalls ist die laufende Berichterstattung in den Medien ein Kriterium. Hierbei muss auch eine mit unter politisch gefärbte Informationspolitik autoritärer Staaten berücksichtigt werden, welche die Gefahrenlage beschönigen kann.
  7. Letztlich kommt es aber auch darauf an, ob der konkrete Reisende zu einem Risikopersonenkreis mit einem höheren Lebensalter oder Vorerkrankungen gehört (Führich, VersR 2004, 445, 448).

Derjenige, der sich auf diese Indizien beruft, in der Regel der Reisende, hat damit glaubhaft gemacht, dass mit der Pandemie ein außergewöhnlicher Umstand vorliegt. Davon geht auch das BMJV aus, welches in einer offiziellen Mitteilung vom 29. April 2020 erklärt hat, dass Reisende kostenfrei bei Vorliegen der Reisewarnung den Reisevertrag stornieren können. Wer das bestreitet, muss den Gegenbeweis führen, der bei einer Reisewarnung fast nicht zu widerlegen ist.

Aber auch wenn der Reisebeginn nach dem 14. Juni 2020 liegt und lediglich ein bloßer Reisehinweis des AA für das Urlaubsziel vorliegen sollte, ist es nach Meinung der meisten Reise­rechts-Experten und der aktuellen Rechtsprechung möglich, ohne Stornoentschädigung vom Reisevertrag wegen den Auswirkungen der Pandemie im Urlaubsgebiet zurückzutreten, wenn wesentliche Indizien für eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise durch die Folgen der Pandemie sprechen.

  • Zeitpunkt der Rücktritts

Starke Verunsicherung herrscht, ab welchem Zeitpunkt der Reisende seinen kostenfreien Rücktritt erklären kann. Im Gegensatz zum alten Recht des § 651j BGB aF fehlt im neuen § 651h III BGB das Tatbestandsmerkmal der Vorhersehbarkeit bei Vertragsschluss. Das Gesetz trifft ausdrücklich keine Aussage darüber, zu welchem Zeitpunkt vor Reisebeginn die unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände vorzuliegen haben; sie müssen lediglich „auftreten“ (Staudinger in Führich/Staudinger, Reiserecht, § 16 Rn. 19). Damit ist es nach neuem Recht unerheblich, ob der außergewöhnliche Umstand bei Vertragsschluss oder bei der Kündigungserklärung oder kurz vor Reiseantritt vorliegt. Es kann durchaus sein, dass der Reisende in Erwartung bucht, dass sich die Situation bis zum Reiseantritt derart verbessert, dass es zu keiner Beeinträchtigung mehr kommt. Festzuhalten ist daher, dass die Rücktrittserklärung jederzeit zwischen Vertragsschluss und Reisebeginn abgegeben werden kann und ein bestimmter Zeitpunkt nicht einzuhalten ist. 

Wenn der Reisende seine Rücktrittserklärung unter Berufung aus den außergewöhnlichen Umstand der Corona-Pandemie im Zielgebiet abgibt, muss lediglich eine erhebliche Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung vorliegen. Die Beeinträchtigung muss nämlich in einer Prognoseentscheidung auch noch im Zeitpunkt des Reisebeginns bestehen. Insoweit hilft dem Reisenden die bisherige Rechtsprechung des BGH zu der alten Vorschrift des § 651j BGB aF in seiner Hurrikan-Entscheidung (15.10.2002, NJW 2002, 3700), der Gerichte (AG Augsburg, 9.11.2003, RRa 2005, 84: SARS in China) und der herrschenden Lehre (MüKoBGB/Tonner, § 651h, Rn. 44). Wenn mindestens zu 25 % wahrscheinlich ist, dass die Pauschalreise erheblich beeinträchtigt ist, kann der Reisende von einer gebuchten Pauschalreise zurücktreten und muss keine Restzahlung auf den Reisepreis leisten (Führich/Staudinger, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 16 Rn 19; Führich, Basiswissen Reiserecht, Rn, 123; MüKoBGB/Tonner, § 651h, Rn. 44). Dieser Prozentsatz muss als Prognose bei der Rücktrittserklärung des Reisenden vorliegen.  Diese niedrige Schwelle ist wegen der Gefahr für Leib und Leben des Reisenden durch die Corona-Pandemie gerechtfertigt. Ist diese Schwelle der erheblichen Wahrscheinlichkeit nicht erreicht und tritt der Reisende aus bloßer Angst zurück, muss er mit einer Stornoentschädigung seines Reiseveranstalters rechnen.

  • 4 Wochen vor Reisebeginn

Ein Rücktrittserklärung des Kunden eines Reiseveranstalters ist daher mit größter Wahrscheinlichkeit 4 Wochen vor Reisebeginn erreicht und nicht übereilt. Zudem gilt, je kürzer die verbleibende Frist bis zum Reisebeginn ist, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Covid-19-Pandemie auch noch im Zeitpunkt der Reise besteht. Es wird jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese nur eine Empfehlung des Verfassers ist. Aus dem Gesetz ergibt sich keine Rücktrittsfrist. 

  • Fälligkeit des Reisepreises und Unsicherheitseinrede

Von dem kostenfreien Rücktritt nach § 651h III BGB ist die Fälligkeit des Reisepreises insbesondere des Restpreises vor einem Rücktritt des Reisenden zu unterscheiden.  Vielfach will der Reisende an seiner Pauschalreise in der Hoffnung festhalten, dass sich die Corona-Situation verbessert. Wird der Rücktritt vom Vertrag nicht erklärt, ist nach der Rechtsprechung des BGH der Reisepreis frühestens 30 Tage vor Reisebeginn fällig und der Reisende müsste vertragsgemäss zahlen.

Sollte der Reiseveranstalter die vereinbarte Restzahlung vor Reisebeginn verlangen und ist der Rücktritt vom Vertrag noch nicht erklärt, kann der Reisende die Fälligkeit und damit die Verzugsfolgen wie Mahnkosten abwenden, indem er vor seiner Rücktrittserklärung die sog. „Unsicherheitseinrede“ nach § 321 BGB erhebt. Der Reisende muss diese Erklärung zur Leistungsverweigerung ausdrücklich abgeben, wenn vor dem geplantem Reisebeginn erkennbar wird, dass die Reise durch mangelnde Leistungsfähigkeit des Veranstalters gefährdet ist. Diese Voraussetzungen liegen dann vor, wenn ein Einreiseverbot, Hotelschließung oder Quarantäne  oder sonstige Hindernisse für die Reisedurchführung vorliegen.

Wenn der Reisende sich allerdings entschließt umsonst vom Reisevertrag zurückzutreten und er sich zu Recht auf die Pandemie als außergewöhnlichen Umstand beruft, verliert der Reiseveranstalter den Anspruch auf den Reisepreis. Mit dem Rücktritt hat sich dann auch eine Unsicherheitseinrede erledigt, da damit die Fälligkeit des Restpreises ohnehin entfällt.

Absage der Reise durch Veranstalter

Auch der Reiseveranstalter kann bis zum Beginn der Pauschalreise bei Vorliegen unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände, die ihn an der Durchführung der Reise hindern, entschädigungslos vom Reisevertrag zurücktreten (Absage der Reise nach § 651h IV 1 Nr. 2 BGB). Das wird insbesondere dann der Fall sein, wenn die Reise unmöglich wird wegen Einstellung des Flugbetriebs, behördliche Sperrung des Staats durch Einreiseverbote, Hotelschließungen oder andere Maßnahmen zur Bekämpfung der Epidemie).

Wenn damit 4 Wochen vor dem geplanten Reisebeginn eine erhebliche Beeinträchtigung der Pauschalreise zu erwarten ist, können der Reisende, aber auch der Reiseveranstalter vom Reisevertrag zurücktreten. Der Veranstalter darf nach einem Rücktritt des Reisenden keine Stornoentschädigung verlangen (§ 651h III BGB). Tritt der Veranstalter vom Vertrag zurück (Reiseabsage), verliert er den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis (§ 651 IV BGB).

Erstattungsanspruch in Geld – Zwangsgutscheine sind bisher rechtswidrig

Nach § 651h V BGB hat der Reiseveranstalter unverzüglich, auf jeden Fall aber innerhalb von 14 Tagen nach dem Rücktritt des Reisenden bzw. des Veranstalters (Absage) den gezahlten Reisepreis in Geld zu erstatten.

Soweit Reiseveranstalter aus Gründen der Erhaltung ihrer Liquidität dem Reisenden einen Gutschein anbieten, ist der Kunde nicht gezwungen, diesen anzunehmen. Der Reisende hat ein Wahlrecht und kann auf der Erstattung in Geld bestehen. Eine von der Bundesregierung geplante Gutschein-Regelung ist von dem zuständigen EU-Gesetzgeber nicht genehmigt worden. Das bei vielen Reiseveranstaltern zu beobachtende Aufdrängen eines Zwangsgutscheins widerspricht der Regelung des § 651h V BGB. Daher hat auch die EU-Kommission einem Antrag der Bundesregierung nicht entsprochen, da die zwingende Pauschalreiserichtlinie in Art. 13 IV nur einen Erstattungsanspruch in Geld vorsieht. Wenn der Reisende allerdings einen preislich attraktiven Gutschein freiwillig akzeptiert und er das Risiko eingeht, dass sein Reiseveranstalter möglicherweise insolvent wird, kann er nicht damit rechnen, dass sein Sicherungsschein des früheren, aufgelösten Reisevertrags einen Gutschein einer neuen Reise gegen Insolvenz absichert. Der Veranstalter darf also seinem Kunden einen ungesicherten Gutschein anbieten, er darf aber den Erstattungsanspruch in Geld nicht ausschließen.

Weitere empfohlene Beiträge zum Thema Rücktritt vom Reisevertrag in der Corona-Krise:

www.cruisetricks.de/restzahlung-leisten-obwohl-absage-der-kreuzfahrt-absehbar-ist/

Stiftung Warentest